Ralf Brauksiepe: Kein flächendeckender Fachkräftemangel
Der Parlamentarische Staatsekretär im Bundesarbeitsministerium, Ralf Brauksiepe (CDU), hat den Beschluss der Bundesregierung verteidigt, die Zuwanderung für Fachkräfte durch die Aussetzung der sogenannten Vorrangprüfung nur für Ärzte, Maschinenbauer und Elektroingenieure zu erleichtern.
Deutschlandradio Kultur: "Der deutsche Arbeitsmarkt ist kerngesund und topfit." Das sagen nicht wir, sondern das sagt Ihre Chefin, die Bundesarbeitsministerin. Ja, wenn das denn so ist, brauchen wir überhaupt noch Arbeitsmarktreformen?
Ralf Brauksiepe: Nichts ist ja so gut, dass man es nicht noch besser machen kann. Das machen wir mit dem arbeitsmarktpolitischen Instrumentarium. Und ansonsten hat Ministerin von der Leyen natürlich völlig Recht. Der Arbeitsmarkt ist in sehr guter Verfassung. Wir sind durch die Krise nicht nur besser rausgekommen als fast alle anderen in einer ähnlichen Situation befindlichen Ländern, sondern auch deutlich besser als uns das vorhergesagt wurde.
Deutschlandradio Kultur: Auch wenn die Zahl der Arbeitslosen sinkt oder gesunken ist, noch sind über vier Millionen Menschen ohne feste Arbeit, sagt die Bundesagentur für Arbeit. Ist das nicht – gelinde gesagt – eine kleine Formschwäche?
Ralf Brauksiepe: Ich weiß nicht, woher Sie diese Zahl haben. Wir haben weniger als 3 Millionen Arbeitslose.
Deutschlandradio Kultur: Offiziell gemeldete.
Ralf Brauksiepe: Die deutsche Arbeitslosenstatistik ist die strengste, die ich kenne. Und die Menschen, die in sinnvollen Maßnahmen sind, werden auch in der Statistik ausgewiesen. Unsere Statistik ist transparent. Wir beschönigen da nichts. Also, wenn wir sagen, wir haben etwas weniger als drei Millionen Arbeitslose, dann ist da eine seriöse Zahl.
Deutschlandradio Kultur: In der Bundesagentur, sagt Herr Becker, dass wir in der Tat unter drei Millionen offiziell gemeldete Arbeitslose haben, aber wir haben natürlich auch viele Menschen in Maßnahmen, in Qualifizierungsmaßnahmen, die im Moment ...
Ralf Brauksiepe: Das ist auch gut. Das wird auch weiter so sein.
Deutschlandradio Kultur: Ja, ja, aber deshalb ist es keine Unterstellung von falschen Zahlen, sondern die Vorstellung, dass wir eben nicht jetzt mit drei Millionen arbeiten, sondern wir haben deutlich mehr, weil Menschen eben noch in Maßnahmen sind – das ist ja auch gut so.
Ralf Brauksiepe: Wir hatten, als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, über fünf Millionen Arbeitslose. Und jetzt haben wir unter drei Millionen Das ist das Ergebnis von vielen Menschen, die dazu beigetragen haben. Dass wir so gut durch die Krise gekommen sind, hat etwas damit zu tun, dass einerseits Politik Angebote gemacht hat – insbesondere mit dem Kurzarbeitergeld und anderen Maßnahmen –, und es hatte damit zu tun, dass wir Tarifvertragsparteien hatten und haben, die diese Angebote auch wahrgenommen haben, mit Beschäftigungssicherungstarifverträgen und vielen anderen Vereinbarungen.
Also, wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass unser Modell der Sozialen Marktwirtschaft anderen wirtschaftsordnungspolitischen Vorstellungen überlegen ist, dann hätte es diese Krise erbracht. Also, das hat Politik nicht allein gemacht. Politik ist auf dem Arbeitsmarkt weder allmächtig noch ohnmächtig.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem erwartet die Kanzlerin jetzt von der Wirtschaft, dass die Unternehmen Arbeitsbedingungen und Löhne verbessern, um Fachkräfte im Land halten zu können. Außerdem sollten junge Menschen ordentlich bezahlt werden von den Wirtschaftsunternehmen und nicht immer wieder befristete Verträge anbieten.
Was aber, wenn die Unternehmen den Ratschlägen der Kanzlerin nicht folgen? Was dann?
Ralf Brauksiepe: Zunächst mal ist das beste Mittel gegen niedrige Löhne ein hoher Beschäftigungsstand – und auf dem Weg sind wir. Und ich finde, die Bundeskanzlerin erwartet zu Recht, dass sich der wirtschaftliche Aufschwung, dass sich auch die verstärkte Arbeitskräftenachfrage dann in entsprechend höheren Löhnen auch niederschlägt. Mein Eindruck ist, dass das auch stattfindet in den Tarifverhandlungen. Wir haben jetzt nach der Krise deutlich bessere Abschlüsse als wir das in der Krise beispielsweise hatten. Da haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Opfer gebracht. Und deswegen hat die Kanzlerin mit ihrer Erwartung aus meiner Sicht völlig Recht.
Das ändert aber natürlich nichts daran, falls das der Hintergrund Ihrer Frage sein sollte, dass wir nichts von Lohndiktaten halten. Das heißt, nicht die Politik wird Löhne festsetzen. Das ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien. Damit sind wir im Großen und Ganzen in diesem Land gut gefahren.
Deutschlandradio Kultur: Ein bisschen klingt das auch wie eine Presseerklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, was Sie gerade gesagt haben.
Ralf Brauksiepe: Na, das ist doch mal schön. Da sehen Sie mal, wie nah wir in vielen praktischen Fragen beieinander sind. Das ist auch so.
Deutschlandradio Kultur: In dieser Woche hat die Bundesregierung mit den Gewerkschaften und mit den Unternehmen geredet. Es ging um Facharbeitskräftemangel und wie man das beheben kann. Jetzt gibt’s eine Entscheidung. Man sagt: Okay, Ärzte, Maschinenbauer, Elektroingenieure können weltweit in Deutschland nachfragen, ob sie Arbeit kriegen. Wir machen nicht mehr diese Vorrangprüfung innerhalb der EU.
Warum eigentlich nur für drei Gruppen, wenn wir von einer Million Fachkräftemangel reden und sagen, perspektivisch werden wir es noch viel mehr haben? Warum nur drei Gruppen? Da könnte man doch sagen: Wir machen auf.
Ralf Brauksiepe: Wir haben eben darüber gesprochen, wie viele Arbeitslose wir noch haben. Ich habe drauf hingewiesen. Wir haben immer noch knapp drei Millionen Arbeitslose. Und wir haben deswegen einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Eingliederungschancen von arbeitslosen Menschen auf den Weg gebracht, um diesen Menschen jetzt zu helfen. Wir bekennen uns ganz klar dazu, dass wir den Menschen, die Arbeit suchen, helfen müssen auch in Beschäftigung zu kommen.
Das ist die Situation, die wir jetzt akut haben. Wir gehen nicht davon aus, dass wir in Deutschland zurzeit einen flächendeckenden Fachkräftemangel haben, sondern wir haben ihn in manchen Regionen. Und wir haben ihn in Bezug auf manche Berufsgruppen. Da haben wir heute und absehbar erkennbar in allernächster Zeit auch einen Fachkräftemangel. Sie haben verschiedene, Ingenieurgruppen und Ärzte, angesprochen. Deswegen wird an dieser Stelle jetzt die Vorrangprüfung abgeschafft, damit dieser jetzt akut bestehende Fachkräftemangel beseitigt werden kann.
Deutschlandradio Kultur: Was diese drei Berufsgruppen betrifft, scheint die Hoffnung aber nicht so groß zu sein, dass viele kommen. Selbst Ihre Ministerin hat gesagt: Es werden nicht viele kommen, denn Deutschland hat lange signalisiert, dass wir niemanden brauchen.
Ralf Brauksiepe: In der Tat ist es so, dass wir in der Vergangenheit diese Signale gesetzt haben, von denen die Ministerin gesprochen hat. Und deswegen ist ja auch diese Maßnahme ein Mosaikstein in einem Bündel von Maßnahmen zur Fachkräftesicherung.
In der Tat versprechen wir uns davon nicht die Hauptlösung, sondern man muss die verschiedenen Ansätze kombinieren, die es da gibt. Das ist das, was sich die Bundesregierung mit ihrem Gesamtkonzept vorgenommen hat. Es ist ein Gesamtkonzept, das Anstrengungen erfordert, wo Maßnahmen enthalten sind, die kurzfristig greifen können und sollen. Es ist eben kurzfristig möglich, an manchen Stellen jetzt schon bestehenden Fachkräftebedarf zu decken. Aber wir müssen in einer Zeit, wo wir wissen, dass wir im Jahr 2025 rund sechs Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter weniger haben, also, wir haben heute im Jahr 2011 andere Dringlichkeiten als wir im Jahr 2025 haben werden.
Und das Gesamtkonzept der Regierung dient dazu, auf all diese Fragen Antworten zu geben.
Deutschlandradio Kultur: Aber dieser Sicherungspfad, von dem Sie reden, manche Agenturen schreiben, das sind unverbindliche Erklärungen, die wir im Moment in dieser Woche von der Bundesregierung erfahren haben. Bringen Sie mal Butter an die Fische. Sagen Sie mal konkret, wenn wir tatsächlich langfristig diesen Facharbeiterkräftemangel haben, was die Bundesregierung konkret einbringen möchte, um das Stück für Stück zu sichern und nicht nur Verlautbarungen zu machen, wo man das Gefühl hat, ja, das ist gut gesagt, das hat schon die SPD früher gesagt, Rot-Grün wollte das. Wo ist der qualitative Unterschied heute?
Ralf Brauksiepe: Also, ich finde, dass wir mit der Abschaffung der Vorrangprüfung für konkrete Mangelberufe doch einen ganz konkreten Punkt gesetzt haben an der Stelle.
Deutschlandradio Kultur: Obwohl die Bayern das übrigens nicht wollen. CSU-Innenminister Herrmann sagt, wir machen da nicht mit.
Ralf Brauksiepe: Es ist ein Konzept der Bundesregierung, das jetzt verabredet worden ist und das auf den Weg gebracht wird. Wir haben in dem Bereich noch diverse andere Baustellen. Wir arbeiten daran, dass auch die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen hier bei uns erleichtert wird. Da sind viele Detailprobleme mit verbunden, aber wir haben eben gesagt, wir reden nicht nur darüber, wir gehen sie an. Entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen sind doch da auf dem Weg.
Deutschlandradio Kultur: Nun ist das ja eine Vereinbarung der Bundesregierung, haben Sie gesagt. Die Regierung wird gestellt von drei Parteien, von der CDU, von der CSU, von der FDP. Die FDP fordert, Bewerber ohne konkretes Jobangebot nach einem Punktesystem auszuwählen. Die Punkte können zum Beispiel für Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnisse vergeben werden. Das klingt doch vernünftig. Warum machen wir das nicht?
Ralf Brauksiepe: Dies ist nicht das Konzept, das die Bundesregierung in dieser Woche beschlossen hat. Aber dass die Debatte weitergeht über viele Fragen, das ist auch eine selbstverständliche Erfahrung. Und das, was in dieser Woche beschlossen worden ist, ist gleichzeitig eben auch Konsens in der Bundesregierung.
Es geht uns jetzt darum, dass wir auch eine neue Willkommenskultur etablieren wollen, dass wir auch als Land interessant werden für die Menschen, nach denen wir hier Bedarf haben. Also, es darf in Zukunft nicht darum gehen, woher jemand kommt, sondern was jemand mitbringt an Qualifikation, an Fähigkeiten, um auch hier im Land Erfolg zu haben und unser Land damit auch mit voranzubringen. Das ist das, worum es geht.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn eine Vorstellung, über welche Zahl wir reden, wenn wir über die Anwerbung von Fachkräften außerhalb der EU reden? Die Kanzlerin sagt, wir sind etwas spät dran mit diesen Überlegungen. Deshalb sind sie nicht falsch. Aber reden wir perspektivisch über 2000 Fachkräfte, die aus diesen drei Bereichen in einem Jahr kommen werden? Wären wir dann schon zufrieden? Oder reden wir über 20.000?
Ralf Brauksiepe: Ich glaube, man sollte vorsichtig sein mit dem Spekulieren mit Zahlen, auch mit der Frage, was man da realistisch erwarten kann.
Es geht jetzt zunächst mal drum, dass wir den Rechtsrahmen anders setzen. Und dann hoffen wir, dass wir damit einen Beitrag zur Behebung von akutem Fachkräftemangel in diesem Bereich leisten.
Deutschlandradio Kultur: Dann will ich das noch mal aufgreifen, was Sie gerade gesagt haben. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet damit, dass 2025 in Deutschland rund 6,5 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Das hat die Kanzlerin am Mittwoch ja auch bestätigt. Die Devise heißt dann Qualifizieren, Weiterbilden, Fördern, aber die Bundesregierung will in den nächsten vier Jahren bei den Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit sparen. Wie passt das zusammen?
Ralf Brauksiepe: Wir haben deutlich weniger Arbeitslose jetzt schon als wir vor Jahren hatten. Und die Maßnahmen, die vorgesehen sind, erlauben ganz eindeutig, dass die Bundesagentur für Arbeit – um es mal so zu sagen –, die für die Kurzzeitarbeitslosen zuständig ist, genauso wie die Jobcenter, die vereinfacht gesagt für die Langzeitarbeitslosen zuständig sind, dass die jeweils arbeitsmarktpolitisch handlungsfähig bleiben.
Wir haben ein klares Konzept. Und wenn wir die Arbeitslosenzahlen nehmen, die wir heute haben, wenn wir die Prognosen haben für den Arbeitsmarkt, die ja günstig sind, deswegen reden wir ja über Fachkräftemangel und über Fachkräftesicherung, dann ist doch selbstverständlich, wenn ich weniger Arbeitslose habe, muss ich auch weniger Geld ausgeben, um die Menschen dann in Arbeit zu bringen. Aber das Geld, was gebraucht wird, um die Menschen weiter zu qualifizieren, um ihnen Chancen zu geben, in Beschäftigung zu kommen, das Geld steht zur Verfügung – bei den Arbeitsagenturen wie auch bei den Jobcentern.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt also, die Kürzungen bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen werden nicht so drastisch ausfallen, wie sie beispielsweise der Münchner Kardinal Marx befürchtet, der sagt, das ist hier ein Kahlschlag, das sei menschenunwürdig, was da stattfindet.
Ralf Brauksiepe: Sehen Sie, wir haben im Jahr 2006 für die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen bundesweit 8,1 Milliarden Euro ausgegeben. Das war das Ist im Jahr 2006. Und wir planen für das Jahr 2013 Ausgaben von acht Milliarden Euro, also praktisch die gleiche Summe wie 2006 in einer Zeit, als wir noch weit über vier Millionen Arbeitslose hatten. Wir können fest davon ausgehen, dass wir im Jahr 2013 deutlich weniger Arbeitslose haben, auch weniger Langzeitarbeitslose.
Wir sind jetzt in einem Kürzungspfad, der auch anstrengend ist. Das bestreite ich nicht. Es musste aber jedem klar sein, und das ist auch jedem klar, und auch Erzbischof Marx ist klar, dass wir die Anstrengungen, die wir auf dem Höhepunkt der Krise unternommen haben, zurecht unternommen haben, um Menschen in Arbeit zu bringen bzw. in Arbeit zu halten, dass wir natürlich auf dem Niveau nicht unbegrenzt weitermachen können, das war doch völlig klar. Wir hatten vor zwei Jahren die größte Wirtschaftsschrumpfung mit 4,7 Prozent Minus, die wir in der Geschichte der Bundesrepublik hatten. Dass wir bei einem deutlichen Aufschwung dann an dieser Stelle nicht mehr die gleichen Anstrengungen unternehmen können und müssen, das ist doch vollkommen klar.
Aber wenn Sie diese Zahlen nehmen, dass wir im Jahr 2013, wenn der Anpassungspfad abgeschlossen ist und wenn die Ausgaben dann stabilisiert werden auf dem Niveau von acht Milliarden Euro, dass wir dann pro Kopf mehr Geld zur Verfügung stellen, als wir 2006 hatten bei deutlich mehr Arbeitslosen, das – finde ich – ist die entscheidende Botschaft.
Also, natürlich wird man mit gut 2,5 Millionen Arbeitslosen oder knapp drei Millionen Arbeitslosen nicht mehr die Strukturen alle aufrechterhalten können und aufrechterhalten müssen, die man bei über fünf Millionen Arbeitslosen ...
Deutschlandradio Kultur: Also, es gibt keine Verlierer. Alle werden gut ausgestattet versuchen können sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, keine Kürzungen?
Ralf Brauksiepe: Menschen, die keine Arbeit haben, sind in einer schwierigen Situation und wir müssen ihnen helfen. Das ist völlig klar. Aber ich kann es nur noch mal betonen: Wir sind jetzt auf einem Anpassungspfad nach Rekordausgaben in der Krise. Wir sind durch die Krise in einer Art und Weise durchgekommen, dass wir überall auf der Welt danach gefragt werden, wie wir das eigentlich gemacht haben. Also, ich bestreite ja nicht, dass wir noch Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, dass wir soziale Probleme in Deutschland haben, an die wir rangehen müssen, aber wir müssen auch nicht in Sack und Asche gehen dafür, wie wir durch diese Krise gekommen sind.
Deutschlandradio Kultur: Das wollen wir ja auch nicht, Herr Brauksiepe, aber trotzdem bleibt das Problem, das Sie selbst angesprochen haben, das Problem mit den Langzeitarbeitslosen.
Wäre es nicht in einer solchen Zeit, in der wir darüber reden, wie bringen wir Leute, die lange ohne Arbeit sind, wieder in Beschäftigung, vernünftiger zu sagen, wir investieren dort noch mehr Geld anstatt das Signal zu senden, wir sparen eher Geld ein?
Ralf Brauksiepe: Wir können uns immer wünschen, dass wir für alles noch mehr Geld ausgeben. Aber ich sage noch mal: Bezogen auf die Zahl der Menschen, die noch arbeitslos sind, und die stehen für uns im Mittelpunkt. Es steht für uns nicht im Mittelpunkt das Sozialkaufhaus als Einrichtung. Und es steht für uns auch nicht im Mittelpunkt der einzelne Wohlfahrtsverband als segensreicher Träger solcher Maßnahmen.
Wenn weniger Menschen da sind zum Glück, die langzeitarbeitslos sind, dann freuen wir uns darüber, dass weniger da sind. Und für die, die noch da sind, tun wir das, was nötig ist.
Deutschlandradio Kultur: Würden Sie denn eigentlich heute sagen, wir haben einen zweigespaltenen Arbeitsmarkt – auf der einen Seite Leute, die tatsächlich rein- und rausgehen in kurzer Verweildauer, und die anderen, die sehr lange gering beschäftigt arbeiten, Aufstocker sind und eigentlich überhaupt nicht in den Arbeitsmarkt reinkommen? Wir haben das doch, oder nicht?
Ralf Brauksiepe: Ich stelle fest, dass wir deutlich weniger Arbeitslose haben als vor Jahren, aber immer noch knapp drei Millionen Arbeitslose. Mein Eindruck ist, dass der liebe Gott diese Menschen alle ganz unterschiedlich geschaffen hat. Insofern sehe ich keine Spaltung, sondern wir haben mehrere Millionen Menschen, die ohne Arbeit sind und die ganz unterschiedliche Vorzüge und Schwächen mitbringen.
Und deswegen gehen wir als Bundesregierung auch davon aus, dass wir einen Arbeitsmarkt haben. Deswegen haben wir auch grundsätzlich einen Instrumentenkasten mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten, um Menschen in Arbeit zu bringen – mit ein paar Ausdifferenzierungen für Kurzzeitarbeitslose, wie auch für Langzeitarbeitslose. Für den Bereich organisieren und finanzieren wir auch weiterhin öffentlich geförderte Beschäftigung. Aber ich sehe nicht, dass wir sozusagen zwei Schubladen von Menschen haben und dass jeder dieser Arbeitslosen entweder in die eine oder in die andere Schublade passt.
Es gibt Menschen, die haben es schwerer wieder in Arbeit zu kommen. Und es gibt diejenigen, die es leichter haben wieder in Arbeit zu kommen. Und wir müssen versuchen, jedem ein für ihn passendes Angebot zu machen. Und ich glaube, das gibt unser Instrumentenkasten auch her. Und das geben auch die finanziellen Möglichkeiten her, die wir bereitstellen.
Deutschlandradio Kultur: Dann lassen Sie uns doch mal über die reden, die in Arbeit sind. Da haben wir seit langem das Dauerthema Niedriglohnsektor. Wird die Koalition noch in dieser Legislaturperiode der Einführung einer gesetzlichen Lohnuntergrenze zustimmen?
Ralf Brauksiepe: Also, zunächst mal hat weder eine frühere Regierung noch die jetzige Regierung ja beschlossen, dass wir einen Niedriglohnsektor haben wollen. Richtig ist, dass unter den vielen Millionen Arbeitsplätzen, die in der Regierungszeit von Angela Merkel zusätzlich geschaffen worden sind, besser und schlechter bezahlte sind.
Und natürlich wünschen wir uns viele gut bezahlte Arbeitsplätze. Aber wir haben in den letzten Jahren, beginnend in der Großen Koalition, viele Millionen Menschen über tariflich vereinbarte Lohnuntergrenzen über das Arbeitnehmerentsendegesetz vor Lohndrückerei geschützt. Und diesen Prozess haben wir auch in der christlich-liberalen Regierung fortgesetzt.
Deutschlandradio Kultur: Flächendeckender Mindestlohn, wird es den noch geben mit der schwarz-gelben Koalition? Es gibt ja mittlerweile schon Forderungen von Seiten des wirtschaftspolitischen Sprechers der CSU, Herrn Nüßlein. Der sagt, ja, das sollten wir machen.
Ralf Brauksiepe: Wir haben in Deutschland natürlich das Problem, dass die Verhältnisse nach wie vor sehr unterschiedlich sind. Sie sind an unseren Westgrenzen, was die Löhne angeht, anders als an den Ostgrenzen. Darauf müssen wir natürlich insgesamt auch Rücksicht nehmen.
In der Tat ist es ein gewaltiger Fortschritt aus meiner Sicht, dass wir jetzt die Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit vereinbart haben. Das war ein Thema, das uns lange beschäftigt hat und wo der CDU-CSU-Teil der Bundesregierung auch schon früh Handlungsbedarf gesehen hat. Und ich bin froh, dass jetzt diese Vereinbarung über eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit zustande gekommen ist. Die CDA hat in der Tat auf ihrer letzten Tagung beschlossen, dass sie diese tariflich vereinbarte Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit auch zu einer allgemeinen Lohnuntergrenze in Deutschland machen will. Das ist die Beschlusslage der CDA. Das was CDA-Beschlusslage ist, ist nicht – jedenfalls noch nicht – Beschlusslage der Bundesregierung. Von daher kann ich da auch nicht für die Bundesregierung sprechen. Aber wir haben auf dem Gebiet der Mindestlohnpolitik, der Absicherung von Menschen gegen Lohndrückerei Fortschritte erzielt – gerade mit dieser Regelung zur Zeitarbeit und nicht nur da.
Wir haben jetzt seit Anfang dieses Monats eine entsprechend allgemeinverbindliche Mindestlohnverordnung im Wach- und Sicherheitsgewerbe. Da haben wir in der Großen Koalition die Branche aufgenommen. Da hat's dann aber noch einige Zeit gedauert, auch entsprechende Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien, bis es dann einen Tarifvertrag gab, der jetzt auch für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Das haben wir im Bundesarbeitsministerium getan. Die Bundesarbeitsministerin hat dafür gesorgt, dass auch seit diesem Monat diese Lohnuntergrenze gilt. Und so kommen wir in der praktischen Realität in Deutschland Stück für Stück voran dabei, Menschen gegen ungebührliche Lohdrückerei zu schützen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie davon sprechen, dass Sie das peu á peu in verschiedenen Branchen einführen, das heißt, früher oder später wird es zum Beispiel auch beim Friseurhandwerk der Fall sein, wo diejenigen, die dort arbeiten, ja extrem schlecht bezahlt sind und immer aufstocken müssen.
Ralf Brauksiepe: Ich kann jetzt nicht darüber spekulieren, worauf wir uns in Zukunft noch verständigen werden. Ich kann nur wiederholen, dass wir im Koalitionsvertrag die Evaluierung unserer Mindestlohnregelungen vereinbart haben. Das wird auch stattfinden. Und ich glaube, dass wir im Bundesarbeitsministerium gute Argumente haben für die Sinnhaftigkeit der Regelungen, die wir haben. Das werden wir in der Koalition diskutieren.
Es wird aber immer dabei bleiben, dass wir die Tarifvertragsparteien brauchen, wenn wir entsprechende Tarifvereinbarungen zur Basis für Lohnuntergrenzen machen wollen. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat der frühere Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, der CDA-Bundesvorsitzende, in seiner Zeit als Landesarbeitsminister einen Tariflohn im Friseurgewerbe für allgemeinverbindlich erklärt. Also, in Nordrhein-Westfalen haben wir das. Die Tarifvertragsparteien wollten das. Und der damalige Arbeitsminister Laumann wollte es auch und er hat es dann gemacht. Er brauchte die Hilfe der Tarifvertragsparteien. Und eine entsprechende Situation haben wir bundesweit in diesem Bereich bisher leider nicht.
Deutschlandradio Kultur: Werden wir irgendwann, wenn ich dem folge, was Sie sagen, dann von der CDU, von der Union hören, gleicher Lohn für gleiche Arbeit?
Ralf Brauksiepe: Na ja, das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit, wenn Sie es jetzt auf die Zeitarbeit beziehen, steht's ja im Gesetz.
Deutschlandradio Kultur: Grundsätzlich.
Ralf Brauksiepe: Wir müssen mal sehen, wie da die Lage ist. Rot-Grün hat die Regelungen eingeführt, die dort gelten, dass grundsätzlich Equal Pay gilt, also, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Rot-Grün hat es aber den Tarifvertragsparteien ermöglicht, davon nach unten abzuweichen, und zwar zeitlich unbegrenzt. Das haben Schröder und Clement so durchgesetzt.
Deutschlandradio Kultur: Das kann man ja ändern, wenn man will.
Ralf Brauksiepe: Ja, ich will es nur sagen. Ich will nur sagen: Wir haben damals dagegen gestimmt, CDU und CSU. Das ist in dem Gesetz Hartz I gemacht worden. Man redet ja heute viel über Hartz IV, aber diese Regelungen, die heute für die Zeitarbeitsbranche gelten, die sind von der damaligen Rot-Grün-Regierung in dem Hartz-I-Gesetz gemacht worden.
Und in der Tat, man kann das ändern. Wir haben klar gesagt, wir erwarten von den Tarifvertragsparteien, dass sie selbst Vorschläge machen, und zwar noch im Laufe dieses Jahres, wie lang aus ihrer Sicht überhaupt durch tarifliche Vereinbarungen von diesem Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit abgewichen werden kann.
Ich kann natürlich sagen, dass jemand, der lange arbeitslos war, und die Zeitarbeit ist ja eine Branche, die zum Glück auch Langzeitarbeitslosen Perspektiven bietet, ich kann natürlich sagen, wenn jemand lange arbeitslos war, dann muss er erst mal eingearbeitet werden, dann ist er vielleicht vom ersten Tag an noch nicht in der Lage, sozusagen die gleiche Arbeit zu bringen wie jemand, der in der Stammbelegschaft eingearbeitet, eingeübt ist. Aber von Tag zu Tag ist es natürlich schwieriger zu begründen, dass jemand, der aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommt, sich dann eingearbeitet hat, dass er nicht die gleiche Arbeitsleistung erreicht und man deswegen abweichen kann. Also, Abweichungen von Equal Pay sind umso schwieriger unter Gerechtigkeitsaspekten zu begründen, je länger jemand eben die gleiche Arbeit erbringt, wie der Kollege, mit dem er am Band steht.
Und von daher ist das, glaub ich, völlig richtig, dass die Bundesregierung diese Erwartung hat, dass die Tarifvertragsparteien da demnächst einen Vorschlag machen, wie lange Abweichungen von Equal Pay durch Tarifvertrag überhaupt noch möglich sind. Also, wir als Union sind für gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Deutschlandradio Kultur: Herr Brauksiepe, zum Schluss dieser Sendung würden wir Sie bitten, ein paar Sätze zu ergänzen. Ich fange mal mit einem an.
Die Sozialpolitik der Union unterscheidet sich von der der Sozialdemokratie, weil...
Ralf Brauksiepe: ... wir den Menschen mehr zutrauen, weil wir den Menschen, die für Arbeitsvermittlung zuständig sind, zutrauen, dass sie wissen, was für die Menschen, die ihre Hilfe brauchen, das jeweils geeignete Instrument ist, und weil wir eben über die Reduzierung von Arbeitslosigkeit nicht nur reden, sondern sie auch in der Praxis erreichen.
Deutschlandradio Kultur: Unser Koalitionspartner, die FDP hat sozialpolitische Vorstellungen, die ...
Ralf Brauksiepe: ... nicht mit unseren übereinstimmen in allen Punkten. Und deswegen müssen wir eben Kompromisse machen. Und ich finde, wir haben gute Kompromisse insgesamt in dieser Regierung bisher erreicht. Und der Erfolg am Arbeitsmarkt gibt uns Recht.
Deutschlandradio Kultur: Und die sozialpolitischen Konzepte der Union und der Grünen sind ...
Ralf Brauksiepe: ... in einigen Bereichen jedenfalls weit voneinander entfernt. Und insbesondere haben die Grünen in ihren sieben Jahren der Regierungsbeteiligung keine vergleichbaren Erfolge in der Praxis auf dem Arbeitsmarkt erzielt wie wir.
Deutschlandradio Kultur: Herr Brauksiepe, herzlichen Dank für das Gespräch.
Ralf Brauksiepe: Nichts ist ja so gut, dass man es nicht noch besser machen kann. Das machen wir mit dem arbeitsmarktpolitischen Instrumentarium. Und ansonsten hat Ministerin von der Leyen natürlich völlig Recht. Der Arbeitsmarkt ist in sehr guter Verfassung. Wir sind durch die Krise nicht nur besser rausgekommen als fast alle anderen in einer ähnlichen Situation befindlichen Ländern, sondern auch deutlich besser als uns das vorhergesagt wurde.
Deutschlandradio Kultur: Auch wenn die Zahl der Arbeitslosen sinkt oder gesunken ist, noch sind über vier Millionen Menschen ohne feste Arbeit, sagt die Bundesagentur für Arbeit. Ist das nicht – gelinde gesagt – eine kleine Formschwäche?
Ralf Brauksiepe: Ich weiß nicht, woher Sie diese Zahl haben. Wir haben weniger als 3 Millionen Arbeitslose.
Deutschlandradio Kultur: Offiziell gemeldete.
Ralf Brauksiepe: Die deutsche Arbeitslosenstatistik ist die strengste, die ich kenne. Und die Menschen, die in sinnvollen Maßnahmen sind, werden auch in der Statistik ausgewiesen. Unsere Statistik ist transparent. Wir beschönigen da nichts. Also, wenn wir sagen, wir haben etwas weniger als drei Millionen Arbeitslose, dann ist da eine seriöse Zahl.
Deutschlandradio Kultur: In der Bundesagentur, sagt Herr Becker, dass wir in der Tat unter drei Millionen offiziell gemeldete Arbeitslose haben, aber wir haben natürlich auch viele Menschen in Maßnahmen, in Qualifizierungsmaßnahmen, die im Moment ...
Ralf Brauksiepe: Das ist auch gut. Das wird auch weiter so sein.
Deutschlandradio Kultur: Ja, ja, aber deshalb ist es keine Unterstellung von falschen Zahlen, sondern die Vorstellung, dass wir eben nicht jetzt mit drei Millionen arbeiten, sondern wir haben deutlich mehr, weil Menschen eben noch in Maßnahmen sind – das ist ja auch gut so.
Ralf Brauksiepe: Wir hatten, als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, über fünf Millionen Arbeitslose. Und jetzt haben wir unter drei Millionen Das ist das Ergebnis von vielen Menschen, die dazu beigetragen haben. Dass wir so gut durch die Krise gekommen sind, hat etwas damit zu tun, dass einerseits Politik Angebote gemacht hat – insbesondere mit dem Kurzarbeitergeld und anderen Maßnahmen –, und es hatte damit zu tun, dass wir Tarifvertragsparteien hatten und haben, die diese Angebote auch wahrgenommen haben, mit Beschäftigungssicherungstarifverträgen und vielen anderen Vereinbarungen.
Also, wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass unser Modell der Sozialen Marktwirtschaft anderen wirtschaftsordnungspolitischen Vorstellungen überlegen ist, dann hätte es diese Krise erbracht. Also, das hat Politik nicht allein gemacht. Politik ist auf dem Arbeitsmarkt weder allmächtig noch ohnmächtig.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem erwartet die Kanzlerin jetzt von der Wirtschaft, dass die Unternehmen Arbeitsbedingungen und Löhne verbessern, um Fachkräfte im Land halten zu können. Außerdem sollten junge Menschen ordentlich bezahlt werden von den Wirtschaftsunternehmen und nicht immer wieder befristete Verträge anbieten.
Was aber, wenn die Unternehmen den Ratschlägen der Kanzlerin nicht folgen? Was dann?
Ralf Brauksiepe: Zunächst mal ist das beste Mittel gegen niedrige Löhne ein hoher Beschäftigungsstand – und auf dem Weg sind wir. Und ich finde, die Bundeskanzlerin erwartet zu Recht, dass sich der wirtschaftliche Aufschwung, dass sich auch die verstärkte Arbeitskräftenachfrage dann in entsprechend höheren Löhnen auch niederschlägt. Mein Eindruck ist, dass das auch stattfindet in den Tarifverhandlungen. Wir haben jetzt nach der Krise deutlich bessere Abschlüsse als wir das in der Krise beispielsweise hatten. Da haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Opfer gebracht. Und deswegen hat die Kanzlerin mit ihrer Erwartung aus meiner Sicht völlig Recht.
Das ändert aber natürlich nichts daran, falls das der Hintergrund Ihrer Frage sein sollte, dass wir nichts von Lohndiktaten halten. Das heißt, nicht die Politik wird Löhne festsetzen. Das ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien. Damit sind wir im Großen und Ganzen in diesem Land gut gefahren.
Deutschlandradio Kultur: Ein bisschen klingt das auch wie eine Presseerklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, was Sie gerade gesagt haben.
Ralf Brauksiepe: Na, das ist doch mal schön. Da sehen Sie mal, wie nah wir in vielen praktischen Fragen beieinander sind. Das ist auch so.
Deutschlandradio Kultur: In dieser Woche hat die Bundesregierung mit den Gewerkschaften und mit den Unternehmen geredet. Es ging um Facharbeitskräftemangel und wie man das beheben kann. Jetzt gibt’s eine Entscheidung. Man sagt: Okay, Ärzte, Maschinenbauer, Elektroingenieure können weltweit in Deutschland nachfragen, ob sie Arbeit kriegen. Wir machen nicht mehr diese Vorrangprüfung innerhalb der EU.
Warum eigentlich nur für drei Gruppen, wenn wir von einer Million Fachkräftemangel reden und sagen, perspektivisch werden wir es noch viel mehr haben? Warum nur drei Gruppen? Da könnte man doch sagen: Wir machen auf.
Ralf Brauksiepe: Wir haben eben darüber gesprochen, wie viele Arbeitslose wir noch haben. Ich habe drauf hingewiesen. Wir haben immer noch knapp drei Millionen Arbeitslose. Und wir haben deswegen einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Eingliederungschancen von arbeitslosen Menschen auf den Weg gebracht, um diesen Menschen jetzt zu helfen. Wir bekennen uns ganz klar dazu, dass wir den Menschen, die Arbeit suchen, helfen müssen auch in Beschäftigung zu kommen.
Das ist die Situation, die wir jetzt akut haben. Wir gehen nicht davon aus, dass wir in Deutschland zurzeit einen flächendeckenden Fachkräftemangel haben, sondern wir haben ihn in manchen Regionen. Und wir haben ihn in Bezug auf manche Berufsgruppen. Da haben wir heute und absehbar erkennbar in allernächster Zeit auch einen Fachkräftemangel. Sie haben verschiedene, Ingenieurgruppen und Ärzte, angesprochen. Deswegen wird an dieser Stelle jetzt die Vorrangprüfung abgeschafft, damit dieser jetzt akut bestehende Fachkräftemangel beseitigt werden kann.
Deutschlandradio Kultur: Was diese drei Berufsgruppen betrifft, scheint die Hoffnung aber nicht so groß zu sein, dass viele kommen. Selbst Ihre Ministerin hat gesagt: Es werden nicht viele kommen, denn Deutschland hat lange signalisiert, dass wir niemanden brauchen.
Ralf Brauksiepe: In der Tat ist es so, dass wir in der Vergangenheit diese Signale gesetzt haben, von denen die Ministerin gesprochen hat. Und deswegen ist ja auch diese Maßnahme ein Mosaikstein in einem Bündel von Maßnahmen zur Fachkräftesicherung.
In der Tat versprechen wir uns davon nicht die Hauptlösung, sondern man muss die verschiedenen Ansätze kombinieren, die es da gibt. Das ist das, was sich die Bundesregierung mit ihrem Gesamtkonzept vorgenommen hat. Es ist ein Gesamtkonzept, das Anstrengungen erfordert, wo Maßnahmen enthalten sind, die kurzfristig greifen können und sollen. Es ist eben kurzfristig möglich, an manchen Stellen jetzt schon bestehenden Fachkräftebedarf zu decken. Aber wir müssen in einer Zeit, wo wir wissen, dass wir im Jahr 2025 rund sechs Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter weniger haben, also, wir haben heute im Jahr 2011 andere Dringlichkeiten als wir im Jahr 2025 haben werden.
Und das Gesamtkonzept der Regierung dient dazu, auf all diese Fragen Antworten zu geben.
Deutschlandradio Kultur: Aber dieser Sicherungspfad, von dem Sie reden, manche Agenturen schreiben, das sind unverbindliche Erklärungen, die wir im Moment in dieser Woche von der Bundesregierung erfahren haben. Bringen Sie mal Butter an die Fische. Sagen Sie mal konkret, wenn wir tatsächlich langfristig diesen Facharbeiterkräftemangel haben, was die Bundesregierung konkret einbringen möchte, um das Stück für Stück zu sichern und nicht nur Verlautbarungen zu machen, wo man das Gefühl hat, ja, das ist gut gesagt, das hat schon die SPD früher gesagt, Rot-Grün wollte das. Wo ist der qualitative Unterschied heute?
Ralf Brauksiepe: Also, ich finde, dass wir mit der Abschaffung der Vorrangprüfung für konkrete Mangelberufe doch einen ganz konkreten Punkt gesetzt haben an der Stelle.
Deutschlandradio Kultur: Obwohl die Bayern das übrigens nicht wollen. CSU-Innenminister Herrmann sagt, wir machen da nicht mit.
Ralf Brauksiepe: Es ist ein Konzept der Bundesregierung, das jetzt verabredet worden ist und das auf den Weg gebracht wird. Wir haben in dem Bereich noch diverse andere Baustellen. Wir arbeiten daran, dass auch die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen hier bei uns erleichtert wird. Da sind viele Detailprobleme mit verbunden, aber wir haben eben gesagt, wir reden nicht nur darüber, wir gehen sie an. Entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen sind doch da auf dem Weg.
Deutschlandradio Kultur: Nun ist das ja eine Vereinbarung der Bundesregierung, haben Sie gesagt. Die Regierung wird gestellt von drei Parteien, von der CDU, von der CSU, von der FDP. Die FDP fordert, Bewerber ohne konkretes Jobangebot nach einem Punktesystem auszuwählen. Die Punkte können zum Beispiel für Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnisse vergeben werden. Das klingt doch vernünftig. Warum machen wir das nicht?
Ralf Brauksiepe: Dies ist nicht das Konzept, das die Bundesregierung in dieser Woche beschlossen hat. Aber dass die Debatte weitergeht über viele Fragen, das ist auch eine selbstverständliche Erfahrung. Und das, was in dieser Woche beschlossen worden ist, ist gleichzeitig eben auch Konsens in der Bundesregierung.
Es geht uns jetzt darum, dass wir auch eine neue Willkommenskultur etablieren wollen, dass wir auch als Land interessant werden für die Menschen, nach denen wir hier Bedarf haben. Also, es darf in Zukunft nicht darum gehen, woher jemand kommt, sondern was jemand mitbringt an Qualifikation, an Fähigkeiten, um auch hier im Land Erfolg zu haben und unser Land damit auch mit voranzubringen. Das ist das, worum es geht.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn eine Vorstellung, über welche Zahl wir reden, wenn wir über die Anwerbung von Fachkräften außerhalb der EU reden? Die Kanzlerin sagt, wir sind etwas spät dran mit diesen Überlegungen. Deshalb sind sie nicht falsch. Aber reden wir perspektivisch über 2000 Fachkräfte, die aus diesen drei Bereichen in einem Jahr kommen werden? Wären wir dann schon zufrieden? Oder reden wir über 20.000?
Ralf Brauksiepe: Ich glaube, man sollte vorsichtig sein mit dem Spekulieren mit Zahlen, auch mit der Frage, was man da realistisch erwarten kann.
Es geht jetzt zunächst mal drum, dass wir den Rechtsrahmen anders setzen. Und dann hoffen wir, dass wir damit einen Beitrag zur Behebung von akutem Fachkräftemangel in diesem Bereich leisten.
Deutschlandradio Kultur: Dann will ich das noch mal aufgreifen, was Sie gerade gesagt haben. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet damit, dass 2025 in Deutschland rund 6,5 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Das hat die Kanzlerin am Mittwoch ja auch bestätigt. Die Devise heißt dann Qualifizieren, Weiterbilden, Fördern, aber die Bundesregierung will in den nächsten vier Jahren bei den Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit sparen. Wie passt das zusammen?
Ralf Brauksiepe: Wir haben deutlich weniger Arbeitslose jetzt schon als wir vor Jahren hatten. Und die Maßnahmen, die vorgesehen sind, erlauben ganz eindeutig, dass die Bundesagentur für Arbeit – um es mal so zu sagen –, die für die Kurzzeitarbeitslosen zuständig ist, genauso wie die Jobcenter, die vereinfacht gesagt für die Langzeitarbeitslosen zuständig sind, dass die jeweils arbeitsmarktpolitisch handlungsfähig bleiben.
Wir haben ein klares Konzept. Und wenn wir die Arbeitslosenzahlen nehmen, die wir heute haben, wenn wir die Prognosen haben für den Arbeitsmarkt, die ja günstig sind, deswegen reden wir ja über Fachkräftemangel und über Fachkräftesicherung, dann ist doch selbstverständlich, wenn ich weniger Arbeitslose habe, muss ich auch weniger Geld ausgeben, um die Menschen dann in Arbeit zu bringen. Aber das Geld, was gebraucht wird, um die Menschen weiter zu qualifizieren, um ihnen Chancen zu geben, in Beschäftigung zu kommen, das Geld steht zur Verfügung – bei den Arbeitsagenturen wie auch bei den Jobcentern.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt also, die Kürzungen bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen werden nicht so drastisch ausfallen, wie sie beispielsweise der Münchner Kardinal Marx befürchtet, der sagt, das ist hier ein Kahlschlag, das sei menschenunwürdig, was da stattfindet.
Ralf Brauksiepe: Sehen Sie, wir haben im Jahr 2006 für die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen bundesweit 8,1 Milliarden Euro ausgegeben. Das war das Ist im Jahr 2006. Und wir planen für das Jahr 2013 Ausgaben von acht Milliarden Euro, also praktisch die gleiche Summe wie 2006 in einer Zeit, als wir noch weit über vier Millionen Arbeitslose hatten. Wir können fest davon ausgehen, dass wir im Jahr 2013 deutlich weniger Arbeitslose haben, auch weniger Langzeitarbeitslose.
Wir sind jetzt in einem Kürzungspfad, der auch anstrengend ist. Das bestreite ich nicht. Es musste aber jedem klar sein, und das ist auch jedem klar, und auch Erzbischof Marx ist klar, dass wir die Anstrengungen, die wir auf dem Höhepunkt der Krise unternommen haben, zurecht unternommen haben, um Menschen in Arbeit zu bringen bzw. in Arbeit zu halten, dass wir natürlich auf dem Niveau nicht unbegrenzt weitermachen können, das war doch völlig klar. Wir hatten vor zwei Jahren die größte Wirtschaftsschrumpfung mit 4,7 Prozent Minus, die wir in der Geschichte der Bundesrepublik hatten. Dass wir bei einem deutlichen Aufschwung dann an dieser Stelle nicht mehr die gleichen Anstrengungen unternehmen können und müssen, das ist doch vollkommen klar.
Aber wenn Sie diese Zahlen nehmen, dass wir im Jahr 2013, wenn der Anpassungspfad abgeschlossen ist und wenn die Ausgaben dann stabilisiert werden auf dem Niveau von acht Milliarden Euro, dass wir dann pro Kopf mehr Geld zur Verfügung stellen, als wir 2006 hatten bei deutlich mehr Arbeitslosen, das – finde ich – ist die entscheidende Botschaft.
Also, natürlich wird man mit gut 2,5 Millionen Arbeitslosen oder knapp drei Millionen Arbeitslosen nicht mehr die Strukturen alle aufrechterhalten können und aufrechterhalten müssen, die man bei über fünf Millionen Arbeitslosen ...
Deutschlandradio Kultur: Also, es gibt keine Verlierer. Alle werden gut ausgestattet versuchen können sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, keine Kürzungen?
Ralf Brauksiepe: Menschen, die keine Arbeit haben, sind in einer schwierigen Situation und wir müssen ihnen helfen. Das ist völlig klar. Aber ich kann es nur noch mal betonen: Wir sind jetzt auf einem Anpassungspfad nach Rekordausgaben in der Krise. Wir sind durch die Krise in einer Art und Weise durchgekommen, dass wir überall auf der Welt danach gefragt werden, wie wir das eigentlich gemacht haben. Also, ich bestreite ja nicht, dass wir noch Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, dass wir soziale Probleme in Deutschland haben, an die wir rangehen müssen, aber wir müssen auch nicht in Sack und Asche gehen dafür, wie wir durch diese Krise gekommen sind.
Deutschlandradio Kultur: Das wollen wir ja auch nicht, Herr Brauksiepe, aber trotzdem bleibt das Problem, das Sie selbst angesprochen haben, das Problem mit den Langzeitarbeitslosen.
Wäre es nicht in einer solchen Zeit, in der wir darüber reden, wie bringen wir Leute, die lange ohne Arbeit sind, wieder in Beschäftigung, vernünftiger zu sagen, wir investieren dort noch mehr Geld anstatt das Signal zu senden, wir sparen eher Geld ein?
Ralf Brauksiepe: Wir können uns immer wünschen, dass wir für alles noch mehr Geld ausgeben. Aber ich sage noch mal: Bezogen auf die Zahl der Menschen, die noch arbeitslos sind, und die stehen für uns im Mittelpunkt. Es steht für uns nicht im Mittelpunkt das Sozialkaufhaus als Einrichtung. Und es steht für uns auch nicht im Mittelpunkt der einzelne Wohlfahrtsverband als segensreicher Träger solcher Maßnahmen.
Wenn weniger Menschen da sind zum Glück, die langzeitarbeitslos sind, dann freuen wir uns darüber, dass weniger da sind. Und für die, die noch da sind, tun wir das, was nötig ist.
Deutschlandradio Kultur: Würden Sie denn eigentlich heute sagen, wir haben einen zweigespaltenen Arbeitsmarkt – auf der einen Seite Leute, die tatsächlich rein- und rausgehen in kurzer Verweildauer, und die anderen, die sehr lange gering beschäftigt arbeiten, Aufstocker sind und eigentlich überhaupt nicht in den Arbeitsmarkt reinkommen? Wir haben das doch, oder nicht?
Ralf Brauksiepe: Ich stelle fest, dass wir deutlich weniger Arbeitslose haben als vor Jahren, aber immer noch knapp drei Millionen Arbeitslose. Mein Eindruck ist, dass der liebe Gott diese Menschen alle ganz unterschiedlich geschaffen hat. Insofern sehe ich keine Spaltung, sondern wir haben mehrere Millionen Menschen, die ohne Arbeit sind und die ganz unterschiedliche Vorzüge und Schwächen mitbringen.
Und deswegen gehen wir als Bundesregierung auch davon aus, dass wir einen Arbeitsmarkt haben. Deswegen haben wir auch grundsätzlich einen Instrumentenkasten mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten, um Menschen in Arbeit zu bringen – mit ein paar Ausdifferenzierungen für Kurzzeitarbeitslose, wie auch für Langzeitarbeitslose. Für den Bereich organisieren und finanzieren wir auch weiterhin öffentlich geförderte Beschäftigung. Aber ich sehe nicht, dass wir sozusagen zwei Schubladen von Menschen haben und dass jeder dieser Arbeitslosen entweder in die eine oder in die andere Schublade passt.
Es gibt Menschen, die haben es schwerer wieder in Arbeit zu kommen. Und es gibt diejenigen, die es leichter haben wieder in Arbeit zu kommen. Und wir müssen versuchen, jedem ein für ihn passendes Angebot zu machen. Und ich glaube, das gibt unser Instrumentenkasten auch her. Und das geben auch die finanziellen Möglichkeiten her, die wir bereitstellen.
Deutschlandradio Kultur: Dann lassen Sie uns doch mal über die reden, die in Arbeit sind. Da haben wir seit langem das Dauerthema Niedriglohnsektor. Wird die Koalition noch in dieser Legislaturperiode der Einführung einer gesetzlichen Lohnuntergrenze zustimmen?
Ralf Brauksiepe: Also, zunächst mal hat weder eine frühere Regierung noch die jetzige Regierung ja beschlossen, dass wir einen Niedriglohnsektor haben wollen. Richtig ist, dass unter den vielen Millionen Arbeitsplätzen, die in der Regierungszeit von Angela Merkel zusätzlich geschaffen worden sind, besser und schlechter bezahlte sind.
Und natürlich wünschen wir uns viele gut bezahlte Arbeitsplätze. Aber wir haben in den letzten Jahren, beginnend in der Großen Koalition, viele Millionen Menschen über tariflich vereinbarte Lohnuntergrenzen über das Arbeitnehmerentsendegesetz vor Lohndrückerei geschützt. Und diesen Prozess haben wir auch in der christlich-liberalen Regierung fortgesetzt.
Deutschlandradio Kultur: Flächendeckender Mindestlohn, wird es den noch geben mit der schwarz-gelben Koalition? Es gibt ja mittlerweile schon Forderungen von Seiten des wirtschaftspolitischen Sprechers der CSU, Herrn Nüßlein. Der sagt, ja, das sollten wir machen.
Ralf Brauksiepe: Wir haben in Deutschland natürlich das Problem, dass die Verhältnisse nach wie vor sehr unterschiedlich sind. Sie sind an unseren Westgrenzen, was die Löhne angeht, anders als an den Ostgrenzen. Darauf müssen wir natürlich insgesamt auch Rücksicht nehmen.
In der Tat ist es ein gewaltiger Fortschritt aus meiner Sicht, dass wir jetzt die Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit vereinbart haben. Das war ein Thema, das uns lange beschäftigt hat und wo der CDU-CSU-Teil der Bundesregierung auch schon früh Handlungsbedarf gesehen hat. Und ich bin froh, dass jetzt diese Vereinbarung über eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit zustande gekommen ist. Die CDA hat in der Tat auf ihrer letzten Tagung beschlossen, dass sie diese tariflich vereinbarte Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit auch zu einer allgemeinen Lohnuntergrenze in Deutschland machen will. Das ist die Beschlusslage der CDA. Das was CDA-Beschlusslage ist, ist nicht – jedenfalls noch nicht – Beschlusslage der Bundesregierung. Von daher kann ich da auch nicht für die Bundesregierung sprechen. Aber wir haben auf dem Gebiet der Mindestlohnpolitik, der Absicherung von Menschen gegen Lohndrückerei Fortschritte erzielt – gerade mit dieser Regelung zur Zeitarbeit und nicht nur da.
Wir haben jetzt seit Anfang dieses Monats eine entsprechend allgemeinverbindliche Mindestlohnverordnung im Wach- und Sicherheitsgewerbe. Da haben wir in der Großen Koalition die Branche aufgenommen. Da hat's dann aber noch einige Zeit gedauert, auch entsprechende Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien, bis es dann einen Tarifvertrag gab, der jetzt auch für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Das haben wir im Bundesarbeitsministerium getan. Die Bundesarbeitsministerin hat dafür gesorgt, dass auch seit diesem Monat diese Lohnuntergrenze gilt. Und so kommen wir in der praktischen Realität in Deutschland Stück für Stück voran dabei, Menschen gegen ungebührliche Lohdrückerei zu schützen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie davon sprechen, dass Sie das peu á peu in verschiedenen Branchen einführen, das heißt, früher oder später wird es zum Beispiel auch beim Friseurhandwerk der Fall sein, wo diejenigen, die dort arbeiten, ja extrem schlecht bezahlt sind und immer aufstocken müssen.
Ralf Brauksiepe: Ich kann jetzt nicht darüber spekulieren, worauf wir uns in Zukunft noch verständigen werden. Ich kann nur wiederholen, dass wir im Koalitionsvertrag die Evaluierung unserer Mindestlohnregelungen vereinbart haben. Das wird auch stattfinden. Und ich glaube, dass wir im Bundesarbeitsministerium gute Argumente haben für die Sinnhaftigkeit der Regelungen, die wir haben. Das werden wir in der Koalition diskutieren.
Es wird aber immer dabei bleiben, dass wir die Tarifvertragsparteien brauchen, wenn wir entsprechende Tarifvereinbarungen zur Basis für Lohnuntergrenzen machen wollen. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat der frühere Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, der CDA-Bundesvorsitzende, in seiner Zeit als Landesarbeitsminister einen Tariflohn im Friseurgewerbe für allgemeinverbindlich erklärt. Also, in Nordrhein-Westfalen haben wir das. Die Tarifvertragsparteien wollten das. Und der damalige Arbeitsminister Laumann wollte es auch und er hat es dann gemacht. Er brauchte die Hilfe der Tarifvertragsparteien. Und eine entsprechende Situation haben wir bundesweit in diesem Bereich bisher leider nicht.
Deutschlandradio Kultur: Werden wir irgendwann, wenn ich dem folge, was Sie sagen, dann von der CDU, von der Union hören, gleicher Lohn für gleiche Arbeit?
Ralf Brauksiepe: Na ja, das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit, wenn Sie es jetzt auf die Zeitarbeit beziehen, steht's ja im Gesetz.
Deutschlandradio Kultur: Grundsätzlich.
Ralf Brauksiepe: Wir müssen mal sehen, wie da die Lage ist. Rot-Grün hat die Regelungen eingeführt, die dort gelten, dass grundsätzlich Equal Pay gilt, also, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Rot-Grün hat es aber den Tarifvertragsparteien ermöglicht, davon nach unten abzuweichen, und zwar zeitlich unbegrenzt. Das haben Schröder und Clement so durchgesetzt.
Deutschlandradio Kultur: Das kann man ja ändern, wenn man will.
Ralf Brauksiepe: Ja, ich will es nur sagen. Ich will nur sagen: Wir haben damals dagegen gestimmt, CDU und CSU. Das ist in dem Gesetz Hartz I gemacht worden. Man redet ja heute viel über Hartz IV, aber diese Regelungen, die heute für die Zeitarbeitsbranche gelten, die sind von der damaligen Rot-Grün-Regierung in dem Hartz-I-Gesetz gemacht worden.
Und in der Tat, man kann das ändern. Wir haben klar gesagt, wir erwarten von den Tarifvertragsparteien, dass sie selbst Vorschläge machen, und zwar noch im Laufe dieses Jahres, wie lang aus ihrer Sicht überhaupt durch tarifliche Vereinbarungen von diesem Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit abgewichen werden kann.
Ich kann natürlich sagen, dass jemand, der lange arbeitslos war, und die Zeitarbeit ist ja eine Branche, die zum Glück auch Langzeitarbeitslosen Perspektiven bietet, ich kann natürlich sagen, wenn jemand lange arbeitslos war, dann muss er erst mal eingearbeitet werden, dann ist er vielleicht vom ersten Tag an noch nicht in der Lage, sozusagen die gleiche Arbeit zu bringen wie jemand, der in der Stammbelegschaft eingearbeitet, eingeübt ist. Aber von Tag zu Tag ist es natürlich schwieriger zu begründen, dass jemand, der aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommt, sich dann eingearbeitet hat, dass er nicht die gleiche Arbeitsleistung erreicht und man deswegen abweichen kann. Also, Abweichungen von Equal Pay sind umso schwieriger unter Gerechtigkeitsaspekten zu begründen, je länger jemand eben die gleiche Arbeit erbringt, wie der Kollege, mit dem er am Band steht.
Und von daher ist das, glaub ich, völlig richtig, dass die Bundesregierung diese Erwartung hat, dass die Tarifvertragsparteien da demnächst einen Vorschlag machen, wie lange Abweichungen von Equal Pay durch Tarifvertrag überhaupt noch möglich sind. Also, wir als Union sind für gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Deutschlandradio Kultur: Herr Brauksiepe, zum Schluss dieser Sendung würden wir Sie bitten, ein paar Sätze zu ergänzen. Ich fange mal mit einem an.
Die Sozialpolitik der Union unterscheidet sich von der der Sozialdemokratie, weil...
Ralf Brauksiepe: ... wir den Menschen mehr zutrauen, weil wir den Menschen, die für Arbeitsvermittlung zuständig sind, zutrauen, dass sie wissen, was für die Menschen, die ihre Hilfe brauchen, das jeweils geeignete Instrument ist, und weil wir eben über die Reduzierung von Arbeitslosigkeit nicht nur reden, sondern sie auch in der Praxis erreichen.
Deutschlandradio Kultur: Unser Koalitionspartner, die FDP hat sozialpolitische Vorstellungen, die ...
Ralf Brauksiepe: ... nicht mit unseren übereinstimmen in allen Punkten. Und deswegen müssen wir eben Kompromisse machen. Und ich finde, wir haben gute Kompromisse insgesamt in dieser Regierung bisher erreicht. Und der Erfolg am Arbeitsmarkt gibt uns Recht.
Deutschlandradio Kultur: Und die sozialpolitischen Konzepte der Union und der Grünen sind ...
Ralf Brauksiepe: ... in einigen Bereichen jedenfalls weit voneinander entfernt. Und insbesondere haben die Grünen in ihren sieben Jahren der Regierungsbeteiligung keine vergleichbaren Erfolge in der Praxis auf dem Arbeitsmarkt erzielt wie wir.
Deutschlandradio Kultur: Herr Brauksiepe, herzlichen Dank für das Gespräch.