"Toleranz in den Vordergrund stellen"
Soll in der Verfassung Bezug auf Gott genommen werden? Darüber wird in Schleswig-Holstein gestritten. SPD-Fraktionsvorsitzender Ralf Stegner hat ein Kompromiss vorgelegt: Gottesbezug plus eine Demutsformel, die die Unvollkommenheit des Menschen betont.
Kirsten Dietrich: Von der Heiligen Kümmernis kommen wir jetzt am Schluss der Sendung noch zu einem ganz anderen Thema. Wir wandern in die politische Debatte und zur Frage, welche Rolle die Religion in unserer Gesellschaft eigentlich spielen soll. Und nein, jetzt geht es nicht um den Islam, es geht auch nicht um Terror oder Gewalt. Es geht schlicht um: Gott.
"Für Gott in Schleswig-Holstein" - unter diese durchaus selbstbewusste Forderung haben seit einem guten Jahr mehr als 40.000 Menschen ihre Unterschrift gesetzt, Christen, Muslime und Juden gleichermaßen, und sie haben damit erreicht, dass die Debatte um die Präambel der Landesverfassung von Schleswig-Holstein wieder aufgenommen wird. Diese Präambel war nämlich im Oktober 2014 neu beschlossen worden, und das ohne einen ausdrücklichen Bezug auf Gott. Das hält übrigens die knappe Mehrheit der deutschen Länderverfassungen so.
In Schleswig-Holstein wird also jetzt die Debatte darüber wieder aufgenommen, ob und in welcher Form ein Bezug auf Gott in die Verfassung gehört. Neben strikter Ablehnung gibt es einen fraktionsübergreifenden Entwurf, der sich an einer Kompromissformel versucht. Ralf Stegner, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Kieler Landtag, ist federführend für diesen Entwurf. Ich habe ihn vor der Sendung gesprochen und gefragt, warum es eigentlich nicht mehr so einfach wie im deutschen Grundgesetz geht mit dessen Formel "im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen".
Ralf Stegner: Na ja, das ist natürlich ein Verfassungstext, der auch in der ganzen Bundesrepublik Deutschland natürlich gilt, weil das Grundgesetz überall gilt, und der zu einem Zeitpunkt formuliert worden ist, wo es diese Debatten, ob man das in der Verfassung haben sollte oder nicht, in der Weise noch nicht gegeben hat.
Ich glaube, die Gesellschaft ist insgesamt pluraler geworden, vielleicht auch säkularer geworden, und heute diskutiert man eben darüber, wie so eine Präambel am besten aussieht. In Schleswig-Holstein ist es nun so, dass wir durch eine Volksinitiative, die sich gewünscht hat, dass ein Gottesbezug in die Präambel der Landesverfassung kommt, die Debatte haben.
Diese Volksinitiative hatte keinen Formulierungsvorschlag gemacht, sondern hat einfach den Landtag aufgefordert, sich selbst darüber Gedanken zu machen. Das hat er getan. Da gab es verschiedene Anträge zu, und diese Anträge, die bisher auf dem Tisch lagen, bei denen war erkennbar, dass sie keine Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten hinter sich kriegen werden, sodass also eine Verfassungsänderung nicht funktioniert.
Respekt vor anderem Glauben
Das ist die Vorgeschichte, die uns zu dem gebracht hat, wo wir jetzt sind, nämlich darüber zu sprechen, ob es uns gelingen kann, mit zwei Dritteln der Abgeordneten einen Text zu finden, der in die Präambel der Landesverfassung aufgenommen wird und der zum Ausdruck bringt, dass wir eine Formulierung finden, die Toleranz ausdrückt gegenüber allen - gegenüber denjenigen, die an Gott glauben, gegenüber denjenigen, die möglicherweise anderen Religionen, also nicht an den christlichen Gott glauben, sondern anderen Religionen folgen, oder eben auch solche, die Atheisten sind oder eben ganz andere Quellen haben, auf die sie sich stützen in ihren Überzeugungen.
Dietrich: Das geht natürlich dann nicht mal einfach mit der "Verantwortung vor Gott" oder den Menschen. Ihr Vorschlag ist ein Stückchen länger. Wie ist der?
Stegner: Unser Vorschlag ist einer, der den Toleranzgedanken in den Vordergrund stellt, der auf den Gottesglauben abstellt, der viel prägt, auch unsere Kultur durchaus prägt, aber der auch sagt, wir respektieren auch, und zwar ohne Hierarchie, sondern gleichermaßen diejenigen, die ihre Orientierung aus anderen Quellen beziehen.
Es bringt aber auch zum Ausdruck die Formulierung, dass wir eine Demutsformel haben, die nämlich sagt, Menschen machen Fehler. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass gerade Politiker dieses sagen und wissen, dass wir nicht perfekt sind in dem, was wir tun, und dass das auch ausgedrückt wird, und dass wir zweitens die Toleranz in den Vordergrund stellen, unabhängig von dem, woran man selbst glaubt, wovon man selbst überzeugt ist, dass man hohen Respekt für diejenigen hat, die entweder andere Religionen haben oder eben auch gar nicht an Gott glauben.
Bekenntnis zu Grundwerten
Das ist deswegen wichtig, weil wir in einer Zeit leben, wo das mit dieser Toleranz in Teilen nicht so weit her ist. Wir haben eigentlich täglich Angriffe auf die Toleranz, indem Menschen attackiert werden, weil sie bestimmten Religionen folgen oder aus ganz anderen Gründen, weil sie anders sind. Da gibt es ganz viel, wie ich glaube, auch öffentlich durchaus rohe Diskussionen darüber, und deswegen wäre es ein gutes Zeichen, wenn dieser Landtag in der Lage wäre, eine solche Toleranzformel mit einer Demutsformel verbunden und dem Bekenntnis zu bestimmten Grundwerten - Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden, die Menschenrechte -, das sind Grundwerte, zu denen wir uns auch ausdrücklich bekennen.
Was vielleicht auch noch erwähnenswert ist: Der Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, ist auch einer, der nicht in der Sprache der Verfassungsjuristen geschrieben ist, wie in Teilen früherer Entwürfe, sondern der in klaren verständlichen Worten geschrieben ist, sodass Menschen, die diese Debatte folgen, und viele interessieren sich dafür, nicht nur aus der Volksinitiative, sondern auch anderen, dass die sehen können, da gibt es Grundwerte, zu denen wir uns bekennen. Das ist zwar sehr plural, aber schließt eben ausdrücklich zum Beispiel Extremisten nicht mit ein.
Dietrich: Nun sind das - Entschuldigung -, aber das klingt natürlich dann trotzdem relativ sperrig. Sie reden dann von Werten, die sich aus dem Glauben an Gott oder aus anderen universellen Quellen ergeben. Das klingt ein bisschen so, als ob Gott schon reinkommen soll, aber man trotzdem auch einen großen Respekt vor dieser Religion hat und die soweit wie möglich auch, ja, kleinhalten, einbetten, von sich fernhalten möchte?
Stegner: In der letzten Formulierung haben wir das Wort universell noch gestrichen, weil wir von anderen Werten gesprochen haben. Damit wird einfach ausgedrückt, dass Menschen ganz verschiedene Quellen dafür haben, woran sie sich orientieren. Für manche ist das der christliche Glaube, ist das die Bibel, ist das ihr Gottesglaube, für andere sind das philosophische Quellen oder manch einer holt sich seine Orientierung auch aus dem Dialog mit anderen, aus ganz persönlichen Bezügen, die vielleicht gar nicht universell sind.
"Menschen sind nicht perfekt"
Ich finde, da wir ja ein Grundgesetz haben, was gilt, in dem zum Beispiel im Artikel Eins Absatz Eins drinsteht, "die Würde des Menschen ist unantastbar", das ist etwas, was für uns alle gilt, gehört eben für mich dazu. Zu der Würde gehört auch, Menschen zu respektieren, aus welchen Gründen auch immer sie zu ihren Überzeugungen kommen, dass wir das respektieren können, und gleichzeitig den Gottesglauben als eine sehr wichtige Quelle zu benennen, der natürlich auch unsere Kultur hier geprägt hat. Das kann man gar nicht verleugnen, und ich finde es ein bisschen schade, es gibt ein paar, die das sehr stark ablehnen - die Piratenfraktion zum Beispiel, mit einer Ausnahme, die sich öffentlich geäußert hat und sagt, es ging hier um die Trennung von Kirche und Staat oder etwas Ähnliches, das sei intolerant, so etwas in die Verfassung hineinzuschreiben, und das ist natürlich Unsinn. Es geht nicht um die Trennung von Kirche und Staat, das ist alles im Grundgesetz richtig geregelt, wie das sein muss, sondern es geht um individuelle Überzeugung, es geht um Werte, und es geht eben darum, dass Menschen nicht perfekt sind.
Dietrich: Ist das nicht fast so weit gefasst, dass es dann wirklich fast sinnlos ist, das irgendwie versuchen zu wollen, festzulegen?
Stegner: Nein, das glaube ich nicht, weil es ja sehr stark auf eine Werteorientierung abstellt. Also zum Beispiel Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, sich für Menschenrechte und Frieden einzusetzen, sich für Toleranz einzusetzen, das ist ja nicht irgendwas. Ich glaube, dass Christen zum Beispiel sich da gut aufgehoben fühlen können, aber eben auch andere. Was wir heute nicht mehr brauchen, ist, dass man das eine über das andere stellt.
Dietrich: Was kann dann der Gottesbezug schaffen, was vielleicht ein Bezug auf Menschenwerte, auf andere humanistische Quellen, die ja auch zum Beispiel in der europäischen Verfassung genannt werden, die auch in dem Entwurf genannt werden, der eben dezidiert sich nicht auf Gott bezieht, was also diese allgemeineren Werte ohne Gottesbezug nicht können. Warum ist es Ihnen dann so wichtig, dass dieser Gott dann doch in der Präambel auftaucht?
Stegner: Individuell gesehen gilt für mich, dass ich an Gott glaube und dass ich diese Demutsformel, die da sagt, es gibt etwas Höheres als die Menschen, dass ich das richtig und wichtig finde, weil es eben das einordnet, was wir da als Politiker tun, aber es ist eben auch so, dass ich respektiere, dass das eben eine von mehreren möglichen Haltungen ist.
"Formulierung, die andere nicht ausschließt"
Wir leben nicht mehr in einer Zeit, wo die Menschen, die nicht an Gott geglaubt haben, verfolgt worden sind. Die Zeiten gab es ja auch in unserer Geschichte. So darf das Kirche auch heute nicht mehr tun, und so wie für meine eigene Partei - ich bin Sozialdemokrat - gilt, dass wir immer gesagt haben, wir respektieren alle, egal aus welchen Gründen sie zu uns gekommen sind, ob sie von der Bergpredigt kommen oder ob sie von ganz anderen Haltungen her kommen. Wichtig für uns ist, dass sie unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität respektieren oder jetzt in diesem Fall, bezogen auf alle Abgeordnetenkollegen gemünzt, das, was im Grundgesetz steht über die Menschenwürde.
Ich finde, dass es gute Gründe geben kann für Christen, wir wollen diese Demutsformel bezogen auf den Gott haben, an den wir glauben, aber das muss in einer Form ausgeprägt sein, die andere nicht ausschließt.
Dietrich: "Es geht nicht allein um den Gottesbezug, sondern darum, was Gott in unserer Gesellschaft bedeutet." Das hat die Initiative gesagt, die diese nochmalige Debatte angestoßen hat mit ihren 40.000 Stimmen, die sie gesammelt hat. Ist das so, geht es bei der Debatte auch darum, ob Religion überhaupt noch selbstverständlich eine Kraft ist, von der man Gutes für die Gesellschaft erwartet, wie das im Grundgesetz noch angenommen wurde?
Stegner: Ich glaube ja, weil die Religion in all ihrer Verschiedenheit ja auch eine orientierende, eine friedensstiftende Funktion haben kann. Das hatten die Religionen in ihrer Geschichte, wie wir wissen, nicht immer. Da wurden früher Waffen gesegnet, da gab es Kriege, die deswegen ausgebrochen sind, es gibt auch heute noch welche, die Religion ja missbrauchen für Gewalttaten zum Beispiel.
Umso mehr, glaube ich, ist es wichtig, dass in einer Zeit, in der wir eine 24-Stunden-Gesellschaft haben und mit Dingen berieselt werden rund um die Uhr in allen möglichen Medien, auf sozialen Netzwerken, wo den Menschen Orientierung verloren geht, dass es eben sinnstiftende, orientierende Dinge gibt, und dazu gehört die Religion, und für die, die christlichen Glaubens sind, ist das zum Beispiel eine Orientierungsquelle, die ihnen hilft zu sagen, wie mache ich das eigentlich, dass ich mich für mehr Gerechtigkeit einsetze.
Dietrich: In Ihrer Partei, in der SPD, ist seit jeher auch der Laizismus recht stark vertreten. Ist es wirklich so einfach dann als SPD-Politiker für einen deutlichen Bezug auf Gott, der ja zum Beispiel dann auch der islamische Gott sein kann, einzutreten?
Stegner: Nein, das ist nicht einfach, und ich habe ja auch gemerkt, als wir die Debatte jetzt geführt haben, dass viele gerade mich angeguckt haben und gesagt haben, die SPD müsse doch, weil die CDU habe eine klare Haltung, und andere haben eine - wie die Piraten - klare Gegenhaltung, und die CDU habe das C im Namen und sei dann klar dafür, und jetzt sei der Druck bei uns.
"Wir sind eine liberale, plurale Gesellschaft"
Ich habe das sehr ernst gemeint, wenn ich gesagt habe, da darf es keinen Druck geben, weil ich ausdrücklich respektiere die Gewissenshaltung jedes einzelnen Kollegen, ob er dafür ist oder sie dagegen ist, das muss man respektieren. Laizismus finde ich dann schwierig, wenn er in aggressiver Form vorgetragen wird gegenüber denjenigen, die an Gott glauben.
Genauso finde ich es umgekehrt nicht gut und lehne das auch ab, wenn diejenigen, die an die christliche Religion glauben, meinen, sie müssen das in sehr offensiver oder aggressiver Weise gegenüber anderen tun, die nicht an Gott glauben. Wir sind ja nicht in Gefahr. Manchmal klingt die Debatte so, als stünden wir davor, hier einen Gottesstaat zu errichten in Deutschland. Davon sind wir weit entfernt. Wir sind eine purale, liberale Gesellschaft, aber diese Liberalität heißt eben auch die Religionsfreiheit, die bei uns im Grundgesetz auch steht, zu respektieren und Menschen zu erlauben, ihre Religion ausüben zu können und nicht zu kritisieren, dass es das gibt.
Ich finde die Trennung von Kirche und Staat in Deutschland ist nicht so, dass man sagen könnte, da gäbe es nun riesige Probleme, die aufgearbeitet werden müssten. Da gibt es ganz andere Teile der Welt, wo das so ist. Bei uns geht das ganz gut. Die Gesellschaft ist in der Tat säkularer geworden. Ob das überall ein Fortschritt ist, das lasse ich mal dahingestellt, aber auch da respektiere ich, dass das meine individuelle Haltung ist. Das kann man auch anders sehen.
Dietrich: Ralf Stegner, der Fraktionsvorsitzende der SPD im schleswig-holsteinischen Landtag. Er hat mit 29 Abgeordneten aus allen Parteien einen Entwurf für eine Präambel mit Gottesbezug vorgelegt. Der Entwurf braucht 46 von 69 Stimmen im Landtag, um Verfassungsrealität zu werden. Der Landtag von Schleswig-Holstein entscheidet in der nächsten Woche.
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