Kalter Krieg auf der Ballettbühne
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Ralph Fiennes hat mit unbekannten französischen und russischen Schauspielern einen Film über den Tänzer Rudolf Nurejew gedreht. Auch er selbst spielt darin mit. Die Dreharbeiten seien eine finanzielle Herausforderung gewesen, erzählt Fiennes.
Seit 20 Jahren schon befasst sich der britische Schauspieler und Regisseur Ralph Fiennes mit der Geschichte des russischen Ballett-Ausnahmetalents Rudolf Nurejew. Warum es dennoch so lange gedauert hat, bis Fiennes nun einen Film zu Nurejew gemacht hat, erzählt er im Gespräch.
Ralph Fiennes: Mir wurden damals die ersten sechs Kapitel einer neuen Biographie zu Rudolf Nurejew zugeschickt. Die haben mich sehr beeindruckt und ich sah auch sofort einen Film vor mir. Aber ich hatte damals keine Ambition, selber Regie zu führen.
Ich fand Nurejews Geschichte nur eine gute Idee für einen Film. Zehn Jahre später habe ich "Coriolanus" gemacht – meine erste Regiearbeit – und dann "The Invisible Woman". Gaby Tana, die die Produzentin war und ursprünglich vom Ballett kommt, wusste von meinem Interesse an Nurejew. Sie fragte mich, ob ich einen Film machen wollte. Und da habe ich beschlossen, es weiterzuverfolgen. Die Geschichte hat mich nie losgelassen.
Tänzer, Schauspieler, Double?
Ich hatte auch eine Riesenangst, weil Nurejew so bekannt ist und es schon so viel über ihn gibt. Die große Herausforderung war das Casting. Wen nimmt man? Einen Schauspieler und ein Double für die Tanzszenen plus Gesichtsersatz – was teuer ist. Oder nimmt man einen Tänzer? Ich dachte, wenn ich einen Tänzer finde, der auch spielen kann, dann wäre es machbar. Aber die Finanzierung war immer so unsicher. Denn es war mir wichtig, so viele russische und französische Schauspieler wie möglich zu engagieren, die im Film ihre eigene Sprache sprechen.
Ich fand großartige Schauspieler, die aber recht unbekannt waren und auch einen Tänzer, der nicht bekannt war. Das half nicht. Ich wich nicht von meiner Idee ab, aber die Schwierigkeiten waren groß. Wir hofften, russische Investoren zu finden, aber wir haben es nicht geschafft.
Susanne Burg: Sie erzählen die Geschichte von Rudolf Nurejew bis zum Jahr 1961. Da war er gerade mal 23 Jahre alt. Was hat Sie so sehr am jungen Nurejew interessiert? Und wieviel wollten Sie vom soziopolitischen Kontext der Zeit miterzählen?
Fiennes: Ich habe mich gefragt, ob ich eine Filmbiographie über sein ganzes Leben machen sollte. Das wäre spannend gewesen, hätte aber für mich nicht die gleiche dramatische Kraft gehabt, die mit dieser begrenzten Zeit einherging.
Nun erzähle ich die Geschichte von einem Jungen aus einer sehr armen Familie, der in eine der renommiertesten Ballettschulen der Welt geht. Er fühlt sich in gewisser Weise auserwählt. Er reist mit dem Leningrader Kirow-Ballett nach Paris – und soll dort plötzlich bestraft werden und nach Hause zurückkehren. Aber er beschließt, in Paris zu bleiben und seiner Heimat den Rücken zu kehren. Nichts hat mich überzeugt, die Geschichte zu erweitern.
Einige meinten: Aber was ist mit Margot Fonteyn? Und was ist mit seiner Liebesaffäre mit Erik Bruhn? Und mit seinem sehr offen ausgelebtem, promiskuitiven Lebensstil und seinem AIDS-Tod? Ja, vielleicht macht jemand anderes einen Film. Für mich ging es darum, die fundamentalen Entscheidungen zu zeigen, die ein Künstler treffen muss, wenn es um Identität und Freiheit geht.
Es war eine sehr klare Gegenüberstellung: Auf der einen Seite ein politisches Regime, das die Position vertritt: Es geht ausschließlich um die Gemeinschaft und nicht um das Individuum. Und auf der anderen Seite eine liberale Demokratie, die sagt: Wir müssen die Rechte des Individuums verteidigen. Diese Gegenüberstellung ist sehr stark und dramatisch – und es gibt diesen wilden, künstlerischen Geist, der dazwischen gefangen ist, und das schien mir eine sehr starke Geschichte zu sein.
Burg: Sie sprechen im Film Russisch. Wie schwer war es, die Sprache zu lernen?
Fiennes: Meine Russischkenntnisse sind recht basal. Aber ich habe sehr hart daran gearbeitet, meine russischen Texte richtig zu sprechen. Und ich konnte meine Fehler auch noch nach dem Dreh korrigieren. Mein Russisch in einer Unterhaltung ist also bei weitem nicht so gut wie das im Film.
Doppeltes Spiel
Burg: Sie spielen Nurejews Lehrer, Alexander Puschkin. Und als Tanzlehrer sind Sie in gewisser Weise im Film auch ein Regisseur, denn Sie geben Ihrem Studenten sehr genaue Anweisungen. Nun führen Sie ja auch Regie beim Film. War dies doppelte Spiel so beabsichtigt?
Fiennes: Nein. Ich wollte lange nicht selber in dem Film mitspielen. Und das hat auch zu unseren finanziellen Schwierigkeiten beigetragen. Denn es hieß: Wenn Sie so viele unbekannte Schauspieler haben, die alle Russisch und Französisch sprechen, und Sie sich weigern im Film mitzuspielen, dann haben wir ein wirkliches Problem.
Dann kam auch der russische Produzent und fragte mich, warum ich nicht im Film mitspiele. Er sagte, wenn ich Puschkin spielte, gäbe es vielleicht russische Investoren. Daraufhin habe ich die Rolle übernommen. Es gab dann zwar doch kein russisches Geld, aber ich mochte die Rolle. Und Gaby Tana hat schließlich gesagt: Schau doch mal, das ist geradezu poetisch, dass du Oleg Ivenko als Filmregisseur beibringst zu Schauspielen und im Film bist du sein Lehrer.
Burg: Warum war es so schwierig, russische Finanzierung zu bekommen?
Fiennes: Ich glaube, weil es ganz klar ein künstlerischer Film war, und russische Investoren – wie andere Investoren auch – wollen wissen, wer die großen Stars des Films sind. Und weil ich mit Unbekannten arbeiten wollte – Oleg Ivenko ist unbekannt – war das ein großes Risiko. Und Nurejew ist auch eine ambivalente Figur für das russische Establishment. Ich versuche das selbst noch zu verstehen.
Er wird auf der einen Seite als großer Balletttänzer verehrt. Aber er hat Russland verlassen, was auch als Verrat angesehen wird. Er hat nie wieder in Russland gelebt. Und er war offen schwul. Russland ist in dieser Hinsicht sehr konservativ. Und ich glaube, in dem aktuellen politischen Klima in Russland ist jede sexuelle Orientierung außerhalb der heterosexuellen Norm eine Herausforderung. Es ist zwar nicht illegal, aber wird auch nicht unbedingt gut geheißen. Ich glaube, das war auch ein Problem.