Ralph Schock: Kaffeeschmuggler und Steckdosenmäuse. Eine Kindheit in den 50ern
Verbrecher Verlag, Berlin 2017
144 Seiten, 19 Euro
Der fremde Zeitzeuge
Es geht um "Kriech spielen", Demütigung im Dorfladen oder Prügel im Kohlenkeller - Ralph Schock wächst im Saarland der 1950er-Jahren auf. In "Kaffeeschmuggler und Steckdosenmäuse" erzählt er, wie er die Welt erlebt – ohne sie zu verstehen.
"Eine Kindheit in den 50ern" – nach dem Untertitel würde man einen Kindheitsroman erwarten. Doch Ralph Schock, bis vor kurzem Literaturredakteur beim Saarländischen Rundfunk, hat seine Kindheit nicht als Geschichte aufgeschrieben, sondern in Form von Miniaturen. Er lässt uns in Schubladen stöbern: "Umzug", "Plumpsklo", "Prüfung", "M.": Die Kapitelüberschriften wirken wie Etiketten. Manche dieser Vignetten umfassen nur einen einzigen Satz, und kein Kapitel ist länger als zwei Seiten. Jedes Kapitel ist ein Artefakt, eine Nachricht aus einer fremden Welt.
"Die gehn jetzt Kriech spielen"
"Lieblingshöhle": ein Verschlag unter der Flurtreppe – und ein Geborgenheitsgefühl, das jeder Leser aus der eigenen Kindheit kennt. Die Lektüre dieses schmalen Bandes hat einen doppelten Reiz: Wie in allen Kindheitsberichten erkennt man das Vertraute, doch wir begegnen hier auch einer seltsamen Exotik. Denn Ralph Schock ist 1952 im Saarland geboren. Damals gehörte das "Saargebiet" noch nicht zur Bundesrepublik, erst 1957 wurde es als zehntes Bundesland in die BRD eingegliedert, 1959 löste die D-Mark den französischen Franc als Zahlungsmittel ab. Ralph Schocks Kindheitsminiaturen werden von diesen historischen Tatsachen grundiert. Ganz selbstverständlich heißt es mit Blick auf Deutschland "drüben im Reich", man bezahlt mit "Franken", und als französische Soldaten vorbeimarschieren, sagt die Mutter: "Die gehn jetzt Kriech spielen." Der kindliche Ich-Erzähler ist ein fremder Zeitzeuge, er nimmt wahr, ohne zu verstehen. Manche Soldaten sind in "Gefangelschaft", der älteste Bruder des Vaters ist beim Kriechspielen gefallen. Das Kind möchte gern fragen, ob er sich dabei wehgetan habe. Aber wenn er nach ihm fragt, heißt es nur: "Achkind, der ist doch gefallen."
Aus der Perspektive eines Kindes
Ralph Schock erklärt nichts, er evoziert Situationen. "Show, don’t tell" – der Leitspruch des Kreativen Schreibens ist hier Programm. Gerade in der Unauffälligkeit des Erzählens besteht die Raffinesse dieses Buchs, deshalb kann man es leicht übersehen. Der Autor bleibt konsequent in der Perspektive des Kindes. Dieser Ich-Erzähler beurteilt nicht, er erlebt und erfährt: manchmal mit Schrecken, dann mit Freude, oft mit Staunen. Ebenso unverwandt erzählt er von der Demütigung im Dorfladen, von der Hausschlachtung oder vom "Tag X", an dem der Vater endlich die Zeltplane vom goldfarbenen Volkswagen abzieht, der nun "das alte Cremeschnittchen" ersetzt. Diskret zieht Ralph Schock manchmal einen doppelten Boden in seine Miniaturen ein. "Liebe" heißt ein Kapitel, doch die Liebeserklärung an die Tochter des Metzgers im ersten Satz ist eine Finte, es geht um eine andere Liebe. Am Ende der Seite führt der Vater den Sohn in den Kohlenkeller, auf Geheiß der Mutter. "Es war das einzige Mal, dass er mich schlug, aber nicht heftig. Und es tat nicht sehr weh."
Erzählt Ralph Schock uns von einer glücklichen Kindheit? Das müssen wir beim Lesen selbst entscheiden. Die Miniaturen folgen einander chronologisch, und auf den letzten Seiten des Buchs ist der Ich-Erzähler ein Konfirmand. Die Magie ist verflogen, denn der Reiz dieses Erzählens besteht in der vorbehaltlosen Gegenwärtigkeit, der Unschuld, wie sie nur Kindern eigen ist.
Erzählt Ralph Schock uns von einer glücklichen Kindheit? Das müssen wir beim Lesen selbst entscheiden. Die Miniaturen folgen einander chronologisch, und auf den letzten Seiten des Buchs ist der Ich-Erzähler ein Konfirmand. Die Magie ist verflogen, denn der Reiz dieses Erzählens besteht in der vorbehaltlosen Gegenwärtigkeit, der Unschuld, wie sie nur Kindern eigen ist.