150. Geburtstag von Ralph Vaughan Williams

Der erste regelrecht englische Komponist

Eine Fotografie in schwarz weiß. Darauf zu sehen ist ein Mann, der einen langen Mantel trägt. Er steht vor einem Hauseingang mit Treppe. Es ist der englische Komponist Ralph Vaughan Williams.
Der englische Komponist Ralph Vaughan Williams starb 1958, mit 85 Jahren in London. © imago images / UIG
Moderation: Volker Michael |
"Er empfand immer eine soziale Pflicht", sagt Sir Roger Norrington über Ralph Vaughan Williams. Im ersten Weltkrieg arbeitete er als Sanitäter und sah dort so großes Leid, dass er noch Jahre später unter Alpträumen litt. Worte hat Vaughan Williams dafür nicht gefunden, sagt Norrington, aber seine Musik spricht davon.
Am 12. Oktober 1872 wurde der englische Komponist Ralph Vaughan Williams geboren, vor genau 150 Jahren. Der Dirigent Sir Roger Norrington hat Vaughan Williams gut gekannt und dessen Musik gern und häufig dirigiert. Nicht zuletzt beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, wo er fast alle Sinfonien Vaughan Williams‘ aufgeführt hat.
„Er war ein sehr musikalischer Junge, aber in vielen Punkten nicht ausgebildet. Er sah sich später selbst immer als etwas ungebildet an. Er bat andere Leute um Hilfe, um seine Arbeiten zu verbessern. Er hat noch bei den alten viktorianischen Komponisten am Royal College of Music in London studiert, zusammen mit Gustav Holst und mit meiner Großmutter, die ihn aus dieser Zeit gekannt hat", erzählt der heute 87-jährige Dirigent. Der junge Roger erlebte Ralph Vaughan Williams als Dirigenten, als er in verschiedenen Laienorchestern in Oxford spielte. Vaughan Williams stellt sich in den Dienst dieser Amateure. Allerdings mit einem entscheidenden Manko: Wie der ältere Beethoven oder Smetana oder die ältere Ethel Smyth konnte auch Vaughan Williams quasi nichts mehr hören!

„Ich erinnere mich an eine einschneidende Erkenntnis, die ich damals gewonnen habe: Ein gehörloser Mensch kann nicht dirigieren, weil er die Musiker nicht hört. Es reicht nicht, dass der Dirigent nur Bewegungen macht und das Metrum vorschlägt. Man muss das ja hörend koordinieren: Die einen kommen zu früh, die anderen zu spät. Man muss mit den Musikern arbeiten. Dirigieren heißt nicht nur anleiten, sondern auch hören! Diese Lehre habe ich in meiner Karriere immer beherzigt.“

Sir Roger Norrington, Dirigent

Erste Erfolge als Komponist, dann Ausbruch des 1. Weltkriegs

Mit einigen Werken gelang Ralph Vaughan Williams der Durchbruch als Komponist. Das waren vor allem seine Fantasie auf ein Thema von Thomas Tallis für geteilte Streicher und seine erste Sinfonie, eine große Sinfonie für Soli, Chor und Orchester. Beide Stücke erschienen im 38. Lebensjahr des Komponisten. Einen Einschnitt stellte der 1. Weltkrieg dar. Vaughan Williams ging freiwillig ins Kriegsgebiet, obwohl er eigentlich schon zu alt war. Roger Norrington erklärt das mit Vaughan Williams Gesinnung: „Er empfand immer eine soziale Pflicht. Er hatte eine sozialistische Lebenseinstellung. So wurde er im ersten Weltkrieg Sanitäter. Seine Witwe Ursula habe ich gut gekannt. Sie erzählte mir, dass Ralph damals alle Arten miterleben musste, wie ein Mensch zu Grunde gehen kann. Er hat nie über seine Erlebnisse gesprochen. Selbst in ihren gemeinsamen Jahren nach 1950 wachte er häufig alptraumgeplagt auf. Das waren seine Erlebnisse aus dem Krieg, die wirkten noch vierzig Jahre später. Worte hat er nie darüber verloren, aber seine Musik handelt davon.“

Aufstieg zum englischen Nationalkomponisten

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges erhielt Ralph Vaughan Williams wegen der Beliebtheit seine früheren Werke eine Rolle, die er eigentlich nie angestrebt hatte. Er wurde so etwas wie ein Messias für das Land, das ein deutscher Publizist zu einem „Land ohne Musik“ erklärt hatte. Vor allem England sehnte sich nach einer nationalen Schule, wie sie andere Länder von Tschechien bis Finnland bereits ausgeprägt hatten. Vaughan Williams wurde der erste regelrecht englische Komponist, eine Funktion, die damals noch problematisch war, heute aber ein Vorteil sei, meint Sir Roger Norrington.
Aufzeichnungen aus den Jahren 2009, 2012, 2016 und 2017, aus der Philharmonie Berlin

Ralph Vaughan Williams
"The Lark Ascending", Romanze für Violine und Orchester
"Job - A Masque for Dancing" für großes Orchester (Ausschnitte)
Sinfonie Nr. 2 "A London Symphony" (Ausschnitt)
Sinfonie Nr. 3 "Pastoral" (Ausschnitt)
Sinfonie Nr. 6 (Ausschnitt)

Ilya Gringolts, Violine
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Roger Norrington

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