Ramadan

"Eine Zeit mit Feiern und Spiritualität"

Muslime in Palästina beim abendlichen Fastenbrechen im Ramadan
Muslime in Palästina beim abendlichen Fastenbrechen im Ramadan © dpa picture-alliance / epa / Mahfouz Abu Turk Abu
Moderation: Kirsten Dietrich |
Vor zehn Tagen hat der Ramadan begonnen, der Monat, in dem die Muslime zwischen Sonnenauf- und untergang fasten. Keine Speisen, kein Wasser. Nurhan Soykan, Generalsekretärin des Zentralrates der Muslime, erklärt, welche Bedeutung der Ramadan hat.
Kirsten Dietrich: Wie sich das Fasten für Muslime unter den hiesigen Klimabedingungen anfühlt, unter anderem darüber habe ich mit Nurhan Soykan gesprochen. Sie ist die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Ich habe sie gefragt, wie sie als Muslimin den Ramadan erlebt!
Nurhan Soykan: Bevor er da ist, hat man schon ein bisschen Befürchtungen, es wird wieder schwer oder so. Aber wenn er dann da ist, dann gibt Gott die Leichtigkeit und das ist kein Problem. Auf der anderen Seite freuen wir uns auch, es ist eine Zeit der Entbehrungen, aber es ist auch eine ganz andere Zeit mit anderen Tagesabläufen, mit viel Gemeinschaftlichkeit, mit viel Feiern und mit viel Spiritualität.
Dietrich: Das heißt aber, es ist schon auch schwer, die Anforderungen des Ramadan zu erfüllen?
Soykan: Ja, gerade jetzt im Sommer ist es nicht einfach. Ich meine, wir sind auch nur Menschen, das kann man nicht verschweigen, dass der Hunger und der Durst einen schon mitnimmt.
Dietrich: Man hört immer wieder, dass Lehrer oder Lehrerinnen zum Beispiel auch klagen, dass es mit den Schülern so schwer ist in der Zeit, weil, tagsüber sind sie unkonzentriert und dann kommen sie dazu auch noch nicht ins Bett, weil sie dann abends lange sitzen und feiern und essen und mit der Familie zusammen sind. Irgendwie ein sehr unpraktisches Gebot für die Moderne, oder?
Soykan: Ja, wenn man das so nennen will, mag das schon sein, es passt vielleicht nicht in die Zeit und auch nicht die Anforderungen, die wir in der Gesellschaft haben, das bringt noch mal größere Probleme und Hürden mit sich. Aber wir haben ja das Glück, dass der größte Teil des Ramadan sowieso in die Sommerferien fällt, man muss erst ab der Pubertät fasten und die meisten sind schon aus der Schulzeit dann draußen, wenn sie voll fasten. Die meisten Kinder fasten in den Eingangsjahren nicht die kompletten 30 Tage, sondern vielleicht nur am Wochenende oder so.
Dietrich: Warum ist der Ramadan so wichtig für Muslime?
Soykan: Weil das eine der fünf Säulen unserer Religion ist. Und wenn man jetzt ganz praktisch beachtet, jetzt argumentieren würde, kann man sagen, man hört anders, man schmeckt anders, man fühlt anders. Und das ist ein ganz anderes Erlebnis, womit man sich auch viel besser in die Menschen hineinversetzen kann, die das jeden Tag erleiden, die jeden Tag Hunger haben müssen, die jeden Tag Entbehrungen machen müssen. Und wir erleiden ja nur den Hunger und den Durst, aber so können wir noch ein bisschen besser erahnen, wie sich zum Beispiel Kriegsflüchtlinge fühlen, was sie für schlimme Erfahrungen haben müssen. Das sensibilisiert uns eben für die Schwachen.
Ein pakistanischer Muslim liest den Koran während des Fastenmonats Ramadan in Peshawar.
Ein pakistanischer Muslim liest den Koran während des Fastenmonats Ramadan in Peshawar.© picture alliance / dpa / Bilawal Arbab
"Ich habe einen ganz anderen Blick auf unsere Konsumwirtschaft"
Dietrich: Diese direkte Verbindung zu wirklich konkret und ganz ohne Wahlmöglichkeit Leidenden oder eben Hungernden oder so, die ist präsent im Ramadan?
Soykan: Auf jeden Fall! Das ist Sinn und Zweck, eben auch die Solidarität zu üben, nachzuvollziehen. Und man kann etwas am besten nachvollziehen, wenn man es am eigenen Leib erlebt hat. Ich habe einen ganz anderen Blick auf unsere Konsumwirtschaft, auf Verschwendung. Und ich weiß, mit wie wenig man eigentlich satt werden kann und wie viel wir essen einfach nur aus Frust oder aus Luxus.
Dietrich: Tragen diese Veränderungen dann über den Ramadan hinaus?
Soykan: Ja, zum Glück gibt es den ja jedes Jahr, dass, sobald wir ihn vergessen haben, er wieder da ist und uns noch mal daran erinnert. Von daher hat das schon seinen Sinn und Zweck. Und die Tage, die man dann im Ramadan nicht fasten konnte, weil man zum Beispiel krank war oder auf Reisen war oder aus anderen Gründen, die fastet man dann im Jahr noch mal nach, und so kommt man nicht so ganz aus dem Rhythmus.
Dietrich: Wenn in der deutschen Gesellschaft über Fasten die Rede ist, dann hat das meistens eher so einen Wellness-Aspekt, oder Fasten ist was für Körperbewusste. Da hat das islamische Fasten aber nichts mit zu tun, oder? Ich habe irgendwo gelesen, dass man da eher zunimmt als abnimmt!
Soykan: Ja, wenn man es falsch macht, dann stimmt das! Dafür sollte man sich aber schämen, dann hat man den Sinn des Ramadan nicht ganz verstanden. Man darf abends essen, aber man sollte trotzdem auch in dem Modus bleiben, dass man sich bewusst ist und dass man die geistige Nahrung höher schätzen soll als die körperliche. Ramadan ist auch in erster Linie Nahrung für den Geist, für die Spiritualität. Und eine Zeit des Zusammenkommens, eine Zeit der Versöhnung, eine Zeit der Gemeinschaft.
Dietrich: Hat sich das verändert, wie intensiv Muslime in Deutschland den Ramadan feiern?
Soykan: Das kann ich nicht beurteilen, dazu gibt es keine Statistiken. Es gibt immer Leute, die durchfasten, es gibt viele, die gelegentlich fasten, und es gibt auch viele, die grundsätzlich nicht fasten. Aber wie das Verhältnis ist, das kann ich nicht so sagen, das hängt natürlich auch von meiner Sozialisation, von meiner Umgebung ab und ich bin eher mit praktizierenden Muslimen zusammen, und von denen fasten die meisten. Aber ich würde schon sagen, der Ramadan in Deutschland hat sich entwickelt im Sinne von, dass wir mehr auch mit unseren Nachbarn, mit unseren nicht muslimischen Kollegen, mit den Kirchen, mit den Politikern zusammen Iftar feiern. Das ist mittlerweile schon zu einem schönen Brauch geworden und am Dienstag sind wir zum Beispiel bei der Staatsministerin zum Fastenbrechen eingeladen im Beisein der Bundeskanzlerin. Und das ist auch ein Novum und da sind wir auch ganz glücklich drüber.
Dietrich: Also das Fastenbrechen, das erste Essen dann am Abend.
Soykan: Genau.
Im Vordergrund stehen die religiösen Inhalte
Dietrich: Was steht denn mehr so im Vordergrund, können Sie das einschätzen? Die religiöse Praxis oder der Charakter als Familienfest?
Soykan: Ich würde sagen, natürlich der religiöse. Man kann sich das andere drum herum nicht vorstellen, ohne diesen religiösen Inhalt. Und es gibt auch sehr viele eben, die ziemlich alleine sind und vielleicht nicht so diese Gemeinschaft und diese große Familie haben, aber trotzdem Ramadan feiern. Vielen ist das auf jeden Fall aufgrund ihrer individuellen Bedürfnisse wichtig.
Dietrich: Fasten ist ein sichtbares Zeichen des Islam, in Deutschland eins, für das man vielleicht ein bisschen genauer hinschauen muss. Ein anderes, meist viel heftiger diskutiertes Zeichen ist das Kopftuch, das ein Teil der Musliminnen als Zeichen des Glaubens trägt. Dieses Zeichen ist in den letzten Wochen immer wieder einmal heftig diskutiert worden, als es nämlich in Berlin Streit um eine angehende Juristin gab und darum, ob und wie sie mit Kopftuch die in der Ausbildung vorgeschriebene Station in der staatlichen Verwaltung durchlaufen darf. Frau Soykan, Sie sind Juristin, Sie arbeiten als Anwältin und Sie tragen ein Kopftuch. Wie haben Sie das eigentlich gemacht?
Soykan: Also, zu meiner Zeit war das noch ganz anders, das war eigentlich ganz neu und da gab es keine Regelungen dazu. Bei mir wurde es eigentlich ganz unproblematisch anfangs aufgenommen. Ich durfte neben dem Richter sitzen, ich durfte also alles machen, was andere auch gemacht haben. Bis ich dann in die Staatsanwaltsstage kam und dann die Sitzungsvertretung als Staatsanwältin machen musste. Da gab es eine große Diskussion und dann wurde ein Runderlass erlassen, aufgrund der Kleidervorschriften wurde ich gebeten, das Kopftuch abzulegen. Das habe ich abgelehnt, habe dagegen Widerspruch eingelegt. Das war zur gleichen Zeit, wo Fereshta Ludin auch betroffen war von diesen Verboten.
Dietrich: Das heißt, Anfang ... So um das Jahr 2000 herum, 2003 ging das Kopftuch-Urteil gegen Fereshta Ludin.
Soykan: Genau, ich habe es verdrängt, wann es genau war, aber da war dann eine große Diskussion. Und mein Widerspruch, den ich auch sehr emotional geschrieben habe, weil ich ziemlich spät angefangen habe, das Kopftuch zu tragen ... Ich war 26 und hatte bis dahin auch keine großen Diskriminierungserfahrungen und das war so der erste Schlag ins Gesicht, dass ich mich eben anders behandelt gefühlt habe und nicht gleichwertig gefühlt habe. Dementsprechend habe ich auch einen sehr emotionalen Widerspruch geschrieben und mein Ausbilder im Oberlandesgericht Köln hat dann mich unterstützt und hat gesagt, also, das ist eine wichtige Frage, die geklärt werden muss, wollen Sie denn nicht klagen!
Dietrich: Sie haben aber nicht geklagt.
Soykan: Ich habe nicht geklagt und im Nachhinein sage ich, das war auch gut so. Weil, Fereshta Ludin hat geklagt und das hat ein Kopftuchverbot zur Folge gehabt, das zwölf Jahre lang gedauert hat und wo sehr viele Frauen drunter gelitten haben, ihre Arbeit verloren haben, manche auch unter dem psychischen Druck gelitten haben, Therapien in Anspruch nehmen mussten und, und, und. Und ich habe dann auch immer angehenden Referendarinnen gesagt, das ist nicht so schlimm, die Staatsanwaltsstage dauert sechs Monate, man kann dann trotzdem beim Staatsanwalt arbeiten, wenn man jetzt nicht vorhat, Richter oder Staatsanwältin zu werden, sondern als Anwältin zu arbeiten, dann sollte man das nicht provozieren. Und das ein Prozess, das muss man erst mal ... den Menschen auch die Gewöhnungsphase gönnen. Und so habe ich das eben hingenommen, meine Kommilitonen waren auch etwas erschreckt und ... ja, mit unserer Naivität, die wir damals hatten. Mittlerweile sind wir ja Schlimmeres gewohnt, von daher schockt uns eigentlich nicht mehr viel. Aber damals hat es mich schon sehr mitgenommen.
Dietrich: Dabei ist doch jetzt Anfang des Jahres ein neues Urteil erlassen worden, das sagt, es geht nicht so generell. Man kann das Kopftuch, man kann überhaupt religiöse Bekleidung nicht generell ausgrenzen, sondern man muss die Situation mehr betrachten. Das klingt doch eigentlich nach einer Entwicklung zum Positiven hin, oder?
Soykan: Ja, das ist eine positive Entwicklung, aber die bezieht sich insbesondere auf Lehrerinnen und das Schulleben. Und die Justiz ist wieder eine andere Sache. Wie Sie wissen, auf der See und vor Gericht ist man in Gottes Hand, man weiß nie so genau, wie es da ausgehen kann. Da kann es mit anderen Argumenten wieder dazu kommen, dass wieder ein lästiges Kopftuchverbot kommt, was ich sehr schade finden würde, weil ich sehr viele Kolleginnen mit Kopftuch habe, die ohne Probleme arbeiten. Die Mandanten suchen sich uns speziell aus, weil sie da Vertrauen haben, weil sie sich verstanden fühlen. Also, wir haben da irgendwo auch eine Doppelrolle als Psychologe und Rechtsbeistand, dass wir uns da auch sehr viele Familienprobleme anhören, weil die Leute wissen, wir können uns in ihre Lage hineinversetzen.
Die Klägerin spricht mit ihren Begleitern vor dem Bundesarbeitsgericht.
Krankenschwester, die im September 2014 vor dem Bundesarbeitsgericht durchsetzen wollte, in einer evangelischen Klinik das Kopftuch tragen zu dürfen.© dpa / Martin Schutt
Die Diskussion um das Kopftuch - ein gesellschaftlicher Prozess
Dietrich: Aber wäre es da nicht umso notwendiger, doch noch mal den Weg vor Gericht zu gehen und zu sagen, wir wollen das grundsätzlich geregelt haben, dass eben Musliminnen nicht nur diese Ausbildung machen und sich ja für staatliche Belange, für gesellschaftliche Belangen interessieren, sondern da wirklich arbeiten dürfen?
Soykan: Ich fände es schade, wenn es auf dem Gerichtswege passieren müsste. Ich finde, das ist ein gesellschaftlicher Prozess, dazu muss man alle mitnehmen. Wenn man es sich immer erkämpfen muss, wird das nicht langwierig sein, man wird immer wieder große Diskussionen in den Medien haben, in der Öffentlichkeit haben. Was dann noch mehr zu Islamfeindlichkeit führt und so weiter. Ich möchte eigentlich diesen Diskussionen aus dem Weg gehen und einen friedlichen Prozess des gemeinsamen Kennenlernens, des Vertrauensaufbaus würde ich bevorzugen. Aber natürlich, wenn es nicht anders geht und wenn Frauen in ihrem Berufsleben oder in ihrem Zugang zum Berufsleben dadurch verhindert werden, dann muss man auch klagen.
Dietrich: Sie sind Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime und Sie sind noch bis zum Herbst die Sprecherin des Koordinierungsrates der Muslime, mit dem die verschiedenen muslimischen Verbände ihre Interessen in Staat und Gesellschaft vertreten wollen. Was tut denn diese muslimische Interessenvertretung in Sachen Kopftuch und staatliche Organe? Also der Fall Betül Ulusoy und ihr Streit mit dem Bezirksamt Neukölln in Berlin, das wird ja absehbar nicht der letzte Fall gewesen sein!
Soykan: Ganz am Anfang bei Fereshta Ludin haben wir sie unterstützt bei ihrer Klage, auch finanziell, und wir stehen da natürlich auch immer zur Verfügung. Ich war auch im Vorstand des Aktionsbündnisses muslimischer Frauen, das Aktionsbündnis hat auch Stellungnahmen an das Bundesverfassungsgericht geschrieben in Bezug auf das Kopftuch. Also, wir versuchen schon, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um da auch die Interessen der muslimischen Frauen zu unterstützen und auch ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu sensibilisieren, dass man eigentlich den Frauen mehr schadet, indem man es verbietet, als wenn man es zulässt und sie gleichberechtigte Bürger dieser Gesellschaft sein lässt und dadurch auch mehr Emanzipation zulässt.
Dietrich: Fördern Sie es, dass junge Musliminnen und Muslime diese staatlichen Aufgaben übernehmen? Das drückt natürlich – ganz praktisch – das Angekommensein von Muslimen in der deutschen Gesellschaft aus, aber das verändert ja auch die muslimischen Gemeinden. Das fordert Veränderung, es fordert Anpassung. Die Kirchen zum Beispiel, die ändern sich ja auch oder haben sich auch verändert durch ihre Rolle in Staat und Gesellschaft.
Soykan: Wir fördern natürlich die Selbstbestimmung der Frau, dass sie Chancengleichheit im Schulleben und im Berufsleben bekommt. Das sind natürlich unsere Ziele als Religionsgemeinschaften und das ist auch unser großes Ziel, da aktive Bürgerinnen auszubilden, sie in Positionen zu bringen, wo sie dann auch sprachfähig sind. Also, im Augenblick wird ja viel über muslimische Frauen gesprochen, aber wenig mit ihnen, und noch weniger lässt man sie zu Wort kommen. Und da fehlt es sehr daran. Und ich finde, am authentischsten kann die Interessen einer muslimischen Frau eine muslimische Frau erklären und vertreten. Und von daher setze ich mich sehr dafür ein, dass auch in unserem Verband starke Frauen was zu sagen haben.
Dietrich: Noch bis zum 18. Juli dauert der Ramadan. In der christlichen Weihnachtszeit wünscht einem jeder, ob gläubig oder nicht, frohe Weihnachten. Gibt es ein Äquivalent? Also, wie grüßt man Muslime zum oder im Ramadan?
Soykan: Ja, man wünscht gesegneten Ramadan oder sagt Ramadan mübarek ((klein oder groß?)). Und ja, das wär's
Dietrich: Nurhan Soykan war das, Anwältin, Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime und Sprecherin des Koordinierungsrats der Muslime in Deutschland.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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