Ramadan - für Muslime die aufregendste Zeit des Jahres

Von Lamya Kaddor · 10.08.2010
Kleinen Kindern wird bis heute überall erzählt, im Ramadan man solle fasten, um nachzuempfinden, wie es anderen, ärmeren Menschen auf dieser Welt geht. Doch eigentlich geht es um Mäßigung, um Disziplin, um Geduld, aber vor allem um die Selbstläuterung.
Die religiöse Vorschrift zu fasten, gehört zu den fünf Säulen des Islam und wird von der Mehrheit der Gläubigen weltweit eingehalten. Die meisten beginnen schon in der Kindheit. In den klassischen islamischen Ländern, ist das Fasten gut auszuhalten. Der Fastentage sind dort etwa zwölf Stunden lang und weitgehend mit dem Alltag verbunden.

Die Uhren gehen dann etwas langsamer und es werden mehr Pausen eingelegt. Mitten in der Nacht wird man von einem Trommler geweckt. Er erinnert die Fastenden an das nächtliche Frühstück. So können sie rechtzeitig vor der Morgendämmerung, dem offiziellen Beginn des Fastentages, noch etwas Energie tanken.

Die Straßen, Basare, Geschäftsviertel im Orient werden tagsüber spürbar leerer, obwohl die Hektik sich nie ganz legt - schon allein deshalb, weil ja haufenweise Lebensmittel für die Familien eingekauft werden müssen und die Behörden ihre Arbeit ja nicht einfach einstellen. In den Wohnvierteln kehrt kurz vor dem Sonnenuntergang Ruhe ein. Die Familien sitzen gemeinsam am Tisch und warten andächtig. Die Kinder haben schon traditionell die Dattel in der einen und ein Glas Wasser in der anderen Hand als Starter.

Alles ist gespannt und horcht, bis endlich das erste "allâhu akbar" erklingt und sich mit dem der anderen Gebetsrufer verbindet. Das war's. Der Fastentag ist vorüber. Die Muezzine rufen beinahe um die Wette und im selben Moment brechen die Fastenden ihr Fasten. Alsdann verrichten einige das Gebet und am späteren Abend wird gefeiert mit eingeladenen Freunden und Bekannten Zuhause oder auf den Straßen und in den Cafés.

Das islamische Fasten wird von manchen oft belächelt: Erst Fasten, dann der Völlerei frönen. So ein Unsinn. Doch der Ramadan ist weder zur Gewichtsabnahme da noch zum Entschlacken des Körpers. Es geht um Selbstläuterung, es geht um spirituelle Erfahrung und es geht um das Einhalten von Gottes Geboten. Der Ramadan soll die Menschen geistig und emotional näher an ihren Schöpfer heranführen - nicht näher an die sich biegende Speisentafel des Abends.

Vielmehr hebt die islamische Tradition die Genügsamkeit geradezu als unumgänglich hervor. Der Prophet Muhammad sprach konkrete Empfehlungen aus, wie man mit der Nahrungsaufnahme umgehen soll. Er sagte: "Der Sohn Adams füllt kein schlechteres Gefäß als seinen Bauch. Dabei genügen ihm einige Bissen, um seinen Rücken aufrecht zu halten. Ein Drittel des Magens sollten für sein Essen, ein Drittel für sein Trinken und ein Drittel für sein freies Atmen vorbehalten sein."

Für die meisten Muslime ist der Ramadan auch eine gesellige Zeit mit viel Freude und Unterhaltung. Nicht nur im Orient, dort vielleicht ganz besonders, aber auch hier in Deutschland. Hier sieht der Ramadan im Grunde ganz ähnlich aus. Der größte Unterschied freilich ist der, dass man in der Minderheit ist. Das heißt, der Fastende muss sich mit den Gegebenheiten arrangieren.

Die Betriebsamkeit des deutschen Alltags läuft mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Um den Fastenden herum wird weiter gegessen, getrunken, geraucht. Hier zu fasten ist schwerer als im Orient. Und es wird in den nächsten Jahren noch viel schwerer werden. Da sich der islamische Kalender am Mondjahr orientiert, das rund elf Tage kürzer ist als das heute geltende Sonnenjahr, wandert der Ramadan quasi durch die Zeit. Jedes Jahr beginnt er elf Tage früher. Das führt in Deutschland dazu, dass der Tag immer länger wird – so zwischen vier und 22 Uhr. Eine ziemlich lange Zeit. In manchen Teilen der Welt – vor allem in Nordeuropa – gibt es gar keinen Sonnenuntergang.

Die Muslime haben vier mögliche Lösungen gefunden: Sie orientieren sich an Mekka, gegebenenfalls an ihren Heimatländern, an einer von der Sonne unabhängigen Zeitvorgabe oder sie fasten radikal durch, jedenfalls dort, wo die Sonne noch irgendwie untergeht. Eine einheitliche Regelung wäre wünschenswert, ohne sie ginge das Gemeinschaftsgefühl des allabendlichen Fastenbrechens verloren. Aber dennoch der Ramadan ist und bleibt für Muslime die aufregendste Zeit des Jahres.

Lamya Kaddor, geboren 1978 als Tochter syrischer Einwanderer, studierte Arabistik und Islamwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Komparatistik an der Universität Münster, bildete dort vier Jahre (2004 bis 2008) islamische Religionslehrer aus und übernahm die Vertretungsprofessur "Islamische Religionspädagogik". Derzeit arbeitet sie als Lehrerin im Rahmen des nordrhein-westfälischen Schulversuchs "Islamkunde in deutscher Sprache" in Dinslaken. Sie tritt als Sprecherin für das muslimische Wort, dem sogenannten "Forum am Freitag" des ZDF auf und gehört zum Beraterkreis "Islam" des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann. 2010 gründete sie in Duisburg einen Verein für liberale Muslime. Sie hat an einem "Koran für Kinder und Erwachsene" und am ersten deutschsprachigen Schulbuch für einen islamischen Religionsunterricht "Saphir" mitgearbeitet. Außerdem schrieb sie das Buch "Muslimisch - weiblich - deutsch! Mein Leben für einen zeitgemäßen Islam" (2010).
Cover: "Lamya Kaddor: Muslimisch - weiblich - deutsch!"
Von Lamya Kaddor stammt das Buch "Muslimisch - weiblich - deutsch!"© C. H. Beck
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