Ramelow: Automatismus nicht mehr angebracht

Bodo Ramelow und Hubertus Knabe im Gespräch mit Andreas Müller |
Der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, begrüßt die von der FDP geplante Verlängerung der Stasi-Überprüfungen im öffentlichen Dienst. Der Linken-Politiker Bodo Ramelow will dagegen nur noch prüfen lassen, wenn ein konkreter Anlass vorliegt.
Andreas Müller: Die FDP fordert, den Einfluss des DDR-Geheimdienstes Stasi auf den Deutschen Bundestag zu erforschen, und zwar von Anbeginn – 1949 bis zum Ende der DDR 1990. Vor drei Jahren waren die Liberalen mit ihrer Initiative noch gescheitert, die Große Koalition lehnte ab. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion, Norbert Röttgen, schrieb damals, ich zitiere aus der "Berliner Zeitung": Es gebe erhebliche Zweifel, ob es gelingen wird, in der Öffentlichkeit klar zwischen Tätern und Opfern des DDR-Systems zu unterscheiden, insofern sehe er durchaus eine Schutzpflicht des Parlaments gegenüber seinen Mitgliedern. Röttgen schrieb dies damals übrigens an Hubertus Knabe, den Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Er ist jetzt bei mir zu Gast im Studio, schönen guten Morgen!

Hubertus Knabe: Guten Morgen!

Müller: Aus Thüringen ist mir Bodo Ramelow per Telefon zugeschaltet. Er ist der Fraktionsvorsitzende der Linken im dortigen Landtag. Mit ihm wollen wir über dieses, wollen wir das Gespräch beginnen. Ich grüße Sie, Herr Ramelow!

Bodo Ramelow: Guten Morgen!

Müller: Was halten Sie von dieser Initiative der FDP?

Ramelow: Da kann man nur zustimmen, denn es geht um die Frage der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Darum ging es auch schon vor drei Jahren. Es geht also um eine geeignete Form, die Quellen zu erschließen, aber ich denke, man braucht auch einen Mechanismus zur Abgrenzung. Sie haben ja in der Anmoderation darauf hingewiesen, dass beim Misstrauensvotum die Stasi die Finger drin hatte, aber nach meinem Kenntnisstand haben da auch noch ganz andere Interessensphären auch die Finger drin gehabt. Also es gab ja gekaufte Abgeordnete auf der einen wie auf der anderen Seite, und um den Teil, an den man jetzt an Originalquellen herankommen kann, also an die Stasiunterlagen, sollte man dringend diesen wissenschaftlichen Auftrag erteilen, und zwar von 1949 bis heute.

Müller: Es soll außerdem noch einmal die Frist für Überprüfungen im öffentlichen Dienst verlängert werden, nämlich bis 2019. Ihr Parteifreund Matthias Höhn aus Sachsen-Anhalt hat dazu gesagt: 21 Jahre nach der Wende ist es an der Zeit, die Überprüfungen zu beenden. Das sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung". Was sagen Sie dazu?

Ramelow: Ja, man muss doch einfach sehen, dass diese Regelüberprüfung wiederum nur sich auf Ostdeutsche bezieht, nur auf das Territorium der neuen Bundesländer beschränkt ist und nur einen bestimmten Kreis von Menschen erfassen soll. Das heißt, man muss sich vorstellen, dass diejenigen, die 18 waren, überhaupt nicht mehr überprüft werden. Und wenn man dann einfach mal addiert, 21 Jahre dazu, dann muss man sich mal fragen, also was soll die Regelüberprüfung noch erbringen? Deswegen würde ich ungern diese beiden Themenkomplexe miteinander verbinden, auch wenn Herr Röttgen einen interessanten Satz formuliert hat, den er Herrn Knabe geschickt hat, nämlich indem es eine Schutzpflicht gibt.

Diese Schutzpflicht scheint es immer nur zu geben, wenn es um Westdeutsche geht, und es gibt einen Generalverdacht, wenn es um Ostdeutsche geht. Ich glaube, das wird dem Thema Stasi nicht gerecht. Ich glaube, man muss alles, was mit dem Ministerium für Staatssicherheit mit all seinen Ausprägungen angeht, muss man tatsächlich wissenschaftlich durchdringen. Es geht also nicht um eine Schlussstrichdebatte, sondern es muss um eine wissenschaftliche Aufarbeitung gehen, damit man das, was wir heute diskutieren, nämlich Trennungsgebot zwischen Polizeiaufgaben, Militäraufgaben, Justizaufgaben, das hat es ja alles bei der Stasi gar nicht gegeben, das ist ja alles der Macht… – die Machtverfügung des Apparates war ja unbegrenzt, insoweit waren die Ermittler, Verhafter, Quäler alles in einem. Und in einer Demokratie muss es möglich sein, rechtsstaatliche Trennungsgebote klar aufzurichten, deswegen halte ich es für dringend notwendig, auch weiter die Erforschung dieser Institution Ministerium für Staatssicherheit mit all seinen Ausprägungen zu betreiben.

Was ich nicht für richtig halte, ist einfach die Fortsetzung von Regelanfragen, die überhaupt nicht mehr mit irgendeinem Anlass bezogen sind und die auch auf keinerlei … Also der Sinn, den es mal gegeben hat, war ja, nach der Wende nicht geoutete IMs damit ausfindig zu machen, also auch Beteiligungen und Verstrickungen nach außen dokumentieren zu können, damit sich die Menschen auch dazu verhalten. 21 Jahre danach noch einmal für weiß ich fünf, sieben oder zehn Jahre das zu verlängern, halte ich den Automatismus für nicht mehr angebracht. Das heißt, anlassbezogen kann man das selbstverständlich tun, wenn es Gründe gibt, aber nicht einfach ganze Generationen von Beamtenanwärtern oder öffentlichen Bediensteten einfach weiterhin zu überprüfen oder sämtliche Parlamente, und da wiederum nur ostdeutsche Parlamente, denn der Bundestag hat bis heute eine Regelüberprüfung nicht vorgenommen.

Müller: Die soll es dann ja vielleicht geben. Das war Bodo Ramelow, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Thüringer Landtag. Vielen Dank! Bei mir im Studio ist Hubertus Knabe. Herr Knabe, ich grüße Sie noch mal! Ja, Herr Ramelow ist voll und ganz dafür, für diese wissenschaftliche Überprüfung.

Knabe: Tja, späte Einsicht würde ich sagen. Er hätte sich ja auch schon in der Vergangenheit, als er im Bundestag saß, dafür einsetzen können. Ich glaube sowieso, dass bei ihm hier einiges durcheinandergegangen ist. Es gibt ja gar keine Regelüberprüfungen, sondern das Gesetz sieht vor, dass es die Möglichkeit gibt, in wenigen Restfällen Überprüfungen vorzunehmen, und das waren bisher eben nur noch die Leiter von Behörden – übrigens nicht nur in Ostdeutschland, auch das ist hier von Herrn Ramelow offensichtlich nicht ganz unbeabsichtigt falsch dargestellt worden. Es geht um die Überprüfung von Leitern von Behörden in ganz Deutschland, das Gesetz gilt wie alle anderen Gesetze in Deutschland für alle Deutsche.

Und das Problem ist doch, dass wir – das war der Sinn ja des Stasiunterlagengesetzes und dieser Möglichkeit zur Überprüfung, zu überprüfen, dass wir die Institutionen des Staates glaubwürdig machen wollten und sicher sein wollten, dass dort nicht irgendwelche geheimdienstliche Verstrickungen existieren wie in Russland, wo der ganze Kremlapparat aus KGB-Leuten besteht. Und das ist der Sinn des Gesetzes, und das ist deshalb, glaube ich, auch sinnvoll, hier jetzt in dieser Weise zu verlängern. Ich hätte mir eine breitere Möglichkeit gewünscht, nämlich auch in Bereichen, wo ich doch mir ernsthaft Sorgen mache. Im Sicherheitsbereich, bei den privaten Sicherheitsfirmen haben sich ja viele Stasileute hinübergerettet. Da gibt es überhaupt keine Möglichkeiten zur Überprüfung, gerade dort sitzen Leute, die jetzt Atomkraftwerke bewachen und Ähnliches. Und auch im Bereich der Medien, wo eben nach wie vor auch viele Leute sitzen, die mit dem SED-Regime eng verbandelt waren.

Müller: Gut, es geht um den öffentlichen Dienst, was anderes ist gar nicht möglich. Bis 2019 soll die Frist verlängert werden, es soll auch auf mittleres Personal, wie man so schön sagt, ausgedehnt werden, also nicht mehr nur leitende Mitarbeiter, sondern da geht es dann bis hin zum ehrenamtlichen Bürgermeister. Ist denn das noch sinnvoll?

Knabe: Ja, das war eigentlich ein Wunsch der Kommunen, dass hier auch bei der Wahl von ehrenamtlichen Bürgermeistern die Möglichkeit besteht, vorher zu checken, ob jemand für die Stasi gearbeitet hat. Es geht ja hier in diesen Fällen wirklich nur um Transparenz. Sie können trotzdem kandidieren, das kann jeder in Deutschland, und diese Transparenz war eben oft nicht herzustellen. Es war dann oft so, dass dann irgendwelche Medien dann Unterlagen bekamen, die über bestimmte Themen recherchierten, und dann war sozusagen das Kind in den Brunnen gefallen, dann hatte man einen Bürgermeister gewählt, der bei der Stasi war, und es gab eine große Diskussion darüber. Das soll durch diese Ausweitung jetzt anders werden.

Müller: Wenn man noch mal erweitert, dann haben wir natürlich das Phänomen, dass es dann auch wieder ganz junge Leute, also damals ganz junge Leute trifft, die vielleicht mit 18 sich da begeben haben in das System Stasi. Ist das nicht dann wiederum ein bisschen unscharf, denn da ist ja dann wirklich die Kritik angebracht, dass es schwierig ist, wirklich zu unterscheiden zwischen Opfern und Tätern?

Knabe: Ja, es ist so, dass generell Minderjährige, die also zu DDR-Zeiten minderjährig waren, nicht überprüft werden können, das ist vom Gesetz schon immer ausgeschlossen gewesen, und dass dann, wenn eine Überprüfung stattfindet – wie gesagt, in sehr, sehr wenigen Fällen wird das überhaupt greifen, die Verlängerung, die jetzt beabsichtigt ist –, dann wird es immer eine Einzelfallprüfung geben. Da gibt es dann ja Kommissionen, die sich damit beschäftigen, die den Fall bewerten. Ich habe selber in einer solchen Kommission erst kürzlich gesessen, in Kleinmachnow hier am Rande Berlins, wo es um einen Gemeindevorsteher ging. Und da guckt man sich die Akten an, man hört den Betreffenden an, und dann gibt man eine Empfehlung ab, ob das gut ist für die Kommune, ja oder nein, sich mit solchen Kadern oder von solchen Kadern repräsentieren zu lassen. Es hängt immer vom Einzelfall ab.

Müller: In der "Berliner Zeitung" war am Wochenende ein Kommentar zu lesen zum Thema, in dem hieß, es wäre genauso interessant zu erfahren, welche Bundestagsabgeordneten für Verfassungsschutz, BND oder andere Geheimdienste gearbeitet haben. Das ist ja auch das, was Herr Ramelow eben mal andeutete. Was halten Sie von der Idee?

Knabe: Ja, da muss man aufpassen, dass hier nicht dann alle Katzen grau werden – das ist ja nicht ohne Absicht oft formuliert von der Linkspartei, dass sie praktisch …

Müller: Das war ein Kommentar der "Berliner Zeitung".

Knabe: Ich weiß. Ich will das nur sagen, es ist eine bestimmte, wie soll ich sagen, Ideologie vielleicht, die da transportiert wird: BND gleich Stasi und deswegen Gleichbehandlung. Das ist sicherlich nicht richtig, sondern der Bundesnachrichtendienst arbeitet gänzlich anders als die Geheimpolizei einer Diktatur. Ich bin trotzdem seit Langem dafür, dass die Unterlagen der westdeutschen Geheimdienste auch für die Forschung zugänglich gemacht werden. Das ist in Amerika so üblich, das ist in England so üblich, nur in Deutschland gibt es diese Geheimniskrämerei. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich bin mir sicher, dass der Bundesnachrichtendienst zu DDR-Zeiten auch Fotos von dem Stasigefängnis in Berlin-Hohenschönhausen gemacht hat, durch irgendwelche Leute, die sie dort hingeschickt haben – die hätte ich gerne, das ist zurzeit praktisch nicht möglich.

Müller: Union und FDP wollen den Einfluss der Stasi auf den Bundestag von 1949 an untersuchen lassen. Das waren dazu Bodo Ramelow, der Fraktionsvorsitzende der Linken in Thüringen, und Hubertus Knabe bei mir im Studio, Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Vielen Dank!
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