Rammstein-Skandal

Was bedeutet die Einstellung der Ermittlungen gegen Till Lindemann?

Till Lindemann trägt eine Lederjacke, steht auf einer Bühne und singt ins Mikrofon.
Das Ermittlungsverfahren gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann ist aus Mangel an Beweisen eingestellt worden. © picture alliance / Gonzales Photo / Lasse Lagoni
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen den Sänger der Band Rammstein, Till Lindemann, eingestellt. Was bedeutet das juristisch und was heißt das für die mutmaßlichen Betroffenen?
Die Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann wegen mutmaßlicher Sexualdelikte sowie Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz sind von der Staatsanwaltschaft Berlin eingestellt worden. Zuvor hatten mehrere Frauen Vorwürfe vorgebracht und von sexuellen Belästigungen bei Aftershow-Bandpartys gesprochen. Die Band und Lindemann wiesen diese Anschuldigungen vehement zurück.

Wie kam es zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft im Fall Lindemann?

Die Staatsanwaltschaft erklärte, es gebe keine Beweise dafür, dass Lindemann sexuelle Handlungen gegen den Willen von Frauen vorgenommen oder Substanzen zur Willensbeeinflussung verwendet habe. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte gegenüber minderjährigen Sexualpartnerinnen ein Machtgefälle ausgenutzt hat, um diese zum Geschlechtsverkehr zu bewegen.
Die in der Presseberichterstattung wiedergegebenen Angaben von Zeuginnen und Zeugen hätten sich durch die Ermittlungen nicht bestätigt, erklärte die Staatsanwaltschaft in einer ausführlichen Mitteilung.
Auch die Ermittlungen in Litauen, wo ein Vorfall gemeldet wurde, hätten keine objektiven Beweise für die beschriebenen Straftaten ergeben. Die Staatsanwaltschaft Berlin hätten dazu Unterlagen der litauischen Behörden geprüft. Basierend auf der unzureichenden Beweislage und der fehlenden Bestätigung der Vorwürfe entschied die Staatsanwaltschaft, dass keine ausreichende Grundlage für eine Anklage bestehe und das Strafermittlungsverfahren daher eingestellt werde.

Was bedeutet die Einstellung der Ermittlungen gegen Lindemann juristisch?

Die Einstellung des Verfahrens bedeutet, dass aus Sicht der Staatsanwaltschaft kein hinreichender Tatverdacht besteht, um eine Anklage zu erheben. Es gibt also nicht genügend handfeste Beweise, um eine Straftat nachzuweisen und eine strafrechtliche Verurteilung zu erwirken. Damit ist eine Anklage gegen Till Lindemann vorerst vom Tisch. Die Staatsanwaltschaft Berlin oder andere Staatsanwaltschaften könnten aber theoretisch jederzeit das Verfahren wieder aufnehmen.
Da es aber bisher keine direkten Zeugenaussagen bei den Behörden gibt, und das Ermittlungsverfahren nur aufgrund von öffentlichen Medienberichterstattungen und von Dritten eingeleitet wurde, sind die Ermittlungen eingestellt worden.
Das Landgericht Hamburg hat zudem in einem presserechtlichen Verfahren festgestellt, dass Till Lindemann über ein Rekrutierungssystem junge Frauen für private After-Show-Partys zugeführt wurden. Aber auch im Hinblick auf dieses Rekrutierungssystem haben sich die strafrechtlich relevanten Vorwürfe nicht erhärtet.
Strafverteidigerin Christina Clemm sagte im Dlf, dass die Entscheidung wegen der fehlenden direkten Zeugenaussagen nicht überraschend sei. Sie betonte die Unschuldsvermutung und die Notwendigkeit solider Beweise für strafrechtliche Verurteilungen, verurteilte aber die strukturellen Probleme der Gesellschaft, die Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe begünstigen.

Haben die mutmaßlich Betroffenen im Fall Lindemann gelogen?

Diesen Eindruck versucht die Kanzlei zu erwecken, die Till Lindemann vertritt. In der entsprechenden Pressemitteilung heißt es:

Die rasche Einstellung des gegen meinen Mandanten geführten Ermittlungsverfahrens belegt, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft keine Beweise bzw. Indizien zutage gefördert haben, um meinen Mandanten wegen der Begehung von Sexualstraftaten anklagen zu können. An den Anschuldigungen war schlichtweg nichts dran.

Die Kanzlei kündigte zudem rechtliche Schritte gegen unzulässige Darstellungen in den sozialen Netzwerken und Medien an.
Strafverteidigerin Christina Clemm erklärte dazu im Dlf, dass zwar das Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei und weiterhin die Unschuldsvermutung gelte. Doch sie betonte auch: "Damit ist nicht der Beweis eingetreten, dass die Personen, die gesprochen haben, gelogen haben."
Daniel Drepper, Vorsitzender des Vereins Netzwerks Recherche und Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, schloss sich dem an. Er sagte im Dlf, dass die Einstellung des Strafermittlungsverfahrens nicht zwangsläufig bedeute, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unbegründet seien und nichts strafrechtlich Relevantes geschehen sei. Er werde weiterhin recherchieren und Informationen sammeln.
Die Staatsanwaltschaft habe im Gegensatz zu ihm und anderen Journalisten keinen Zugang zu den mutmaßlich betroffenen Frauen gehabt. Als Journalist habe er zu dem Thema sehr viel recherchiert und die vorgetragenen Vorwürfe der mutmaßlich betroffenen Frauen auch plausibilisiert.

Warum haben die Betroffenen nicht gegen Lindemann ausgesagt?

Darüber kann man nur spekulieren. Es ist bekannt, dass Ermittlungsverfahren bei sexuellen Übergriffen und Belästigungen oft als traumatisch und belastend empfunden werden, und dass es in der Vergangenheit schwierig war, solche Fälle auszuermitteln.
Strafverteidigerin Christina Clemm vermutet mehrere Gründe. Seit dem Aufkommen der Vorwürfe habe es unglaubliche Angriffe gegen Betroffene gegeben - auf juristischer Ebene sowie im Netz, wo sie beschimpft und als Lügnerinnen dargestellt wurden. Es drohten zudem erhebliche juristische und finanzielle Konsequenzen.
Für die Betroffenen wäre es einfacher, wenn das Umfeld das Schweigen brechen würde. "Wichtiger ist für mich tatsächlich, diese Strukturen anzugucken. Was gibt es für Strukturen, die Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe fördern? Was gibt es für Strukturen, die Frauen mundtot machen, wenn sie darüber berichten? Warum sieht eigentlich niemand mal wirklich hin, deckt auf und sagt: Wir wollen in einer solch frauenverachtenden Atmosphäre, in einer solch misogynen Gesellschaft nicht leben?"
Das Beispiel des Skandals um den spanischen Fußball-Verbandspräsidenten Luis Rubiales zeige, dass es immer noch Zweifel an den Vorwürfen gebe, obwohl etwas unter den Augen der Weltöffentlichkeit passiert ist. "Da gibt es Videoaufnahmen, und dennoch wird es angezweifelt, und man stelle sich mal vor, dass er das getan hätte in dem Moment, in dem man runter zu den Kabinen geht und niemand dabei gewesen wäre. Diese Frau hätte keine Chance mit ihrer Erzählung gehabt."
Für Betroffene sexueller Gewalt ist es daher ratsam, nach einer Gewalttat Beweise zu sammeln. Man kann einen Arzt aufsuchen, um Verletzungen festzuhalten und Beweise zu sichern. Einige Städte bieten spezielle Gewaltschutzambulanzen an, in denen Verletzungen rechtsmedizinisch dokumentiert werden können, auch anonym. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass eine Strafanzeige erstattet werden muss. Betroffene können in Ruhe entscheiden, ob und wann sie Anzeige erstatten möchten. Es kann sinnvoll sein, der Polizei Kleidungsstücke oder Gegenstände zu übergeben, die potenzielle Spuren des Täters aufweisen könnten.

Was passiert, wenn mutmaßliche Betroffene doch noch bei der Staatsanwaltschaft gegen Lindemann aussagen?

Trotz der Einstellung des Verfahrens gibt es weitere Möglichkeiten, neue Informationen zu erhalten und das Verfahren wieder aufzurollen. Die Medien, die über die Vorwürfe der Frauen berichtet haben, seien bereits von der Staatsanwaltschaft kontaktiert worden, berichtet Daniel Drepper, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, im Dlf.
"Wir haben zu unserer Berichterstattung jeweils Anfragen bekommen, von der Staatsanwaltschaft, ob wir nicht Zugang geben könnten zu den Frauen, die sich bei uns gemeldet haben. Das können wir natürlich nicht. Wir schützen unsere Quellen. Den Frauen ist es freigestellt, sich bei der Staatsanwaltschaft zu melden."
Sollten sich mutmaßlich Betroffene bei der Staatsanwaltschaft melden, könnte die Staatsanwaltschaft theoretisch jederzeit dieses Verfahren wieder aufnehmen.

Raphael Smarzoch, og, dpa
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