Myanmars junge Kunstszene probt die neue Freiheit
Seit rund drei Jahren nimmt Myanmar Kurs in Richtung Demokratie - und das hat auch Folgen für die Kunst. Indie Rock-Musiker, Maler und Performance-Künstler wagen einen neuen Aufbruch. Doch wie weit die Freiheit wirklich reicht, muss sich erst noch zeigen.
Rangun, Millionenmetropole und ehemalige Hauptstadt Myanmars. In der Innenstadt schieben sich Busse, Pick-ups und PKW zäh durch die wenigen Hauptverkehrsadern und staubigen kleinen Stichstraßen. Mauerpflanzen erobern die bröckelnden Fassaden der Kolonialbauten. Dazwischen tummeln sich Fußgänger, Rikscha-Fahrer und Männer mit schwer beladenen Handkarren. Viele tragen Longyi – einen knöchellangen Wickelrock –, einige, trotz schwülwarmer Hitze: Jeans. Überall ist Markt und in den Garküchen lodert das Feuer.
Musik schallt laut aus den Lautsprechern eines buddhistischen Tempels, am Eingang rasseln Frauen mit Spendenschalen. Es gibt auch hinduistische und chinesische Tempel und christliche Kirchen. Deren Glocken gehören genauso zum Sound der Stadt wie der Gebetsruf der Muezzins.
30 Minuten Taxifahrt vom Zentrum entfernt probt die Indie Rock-Band Side Effect im zweiten Stock eines unfertigen Hauses in einer kaum belebten Straße. Im Erdgeschoss liegt noch der Bauschutt auf dem nackten Betonfußboden, aber das Studio ist gut ausgestattet – bis vor kurzem trafen sich die vier Musiker in einem engen Kabuff.
Darko ist der Sänger von Side Effect.
"Punkrock hat mir geholfen, in die Musik einzutauchen. Es geht um Freiheit und es zeigt dir, dass es verschiedene Wege gibt, Musik zu machen. Dass Musik nicht notwendigerweise auf eine bestimmte Art festgelegt sein muss. Du bist frei zu tun, was immer du willst. Und zu sagen, was immer du willst. Das habe ich verstanden, als ich Punkrock kennenlernte."
2011 leitete das Militärregime den Öffnungsprozess ein
Mitte der 90er-Jahre gab es die ersten Punks in Rangun. Sie orientierten sich an den Sex Pistols und rebellierten mit ihrem Auftreten gegen die Gesellschaft und das System. Auf rund 200 ist die Szene mit der Zeit angewachsen; sie bleiben unter sich und treffen sich auf meist illegalen Konzerten. Mit ihren Punk-Outfits samt Irokese und Nieten fallen sie in Rangun völlig aus dem Rahmen.
"Wir denken anders, wir wollen anders leben, und wir wollen beweisen, dass es okay ist. Das ist in Ordnung. Das ist etwas, wofür wir kämpfen im Moment. Nicht nur gegen die Regierung, sondern gegen alle, die uns aufhalten wollen. Ich meine, für mich sind alle Leute gleich. Nur weil ich aus Myanmar bin, heißt das nicht, dass ich nicht so leben kann wie du. Diese Botschaft versuche ich den jungen Leuten zu vermitteln."
Wer die neue Freiheit erprobt, weiß nicht, wie weit sie wirklich reicht. Die Myanmaren litten jahrzehntelang unter einem diktatorischen Militärregime. Demokratiebestrebungen und Proteste wurden brutal niedergeschlagen. Den Öffnungsprozess leitete das Militärregime 2011 dann selbst ein. Internationale Isolation und Sanktionen hatten das Land in eine fatale Abhängigkeit von China getrieben. Die Generäle sahen sich dadurch gezwungen, Reformen einzuleiten – lautet eine verbreitete Erklärung.
Doch noch immer ist unklar, wie weit die Hardliner des alten Regimes die Reformer gewähren lassen. Auch heute werden noch politische Gefangene gemacht, sind Spitzel unterwegs. Die Asiatische Menschrechtskommission berichtet weiter von verhafteten und ermordeten Aktivisten und Journalisten. Farmer, die für ihre Rechte kämpfen, leiden unter Justizwillkür. Kritische Künstler werden beäugt und im bürokratischen und teils kostspieligen Kampf um Genehmigungen für ihre Konzerte, Ausstellungen oder Festivals schikaniert.
"Wir haben die Band 2004 gegründet und ein paar Shows gespielt. Aber das führte zu nichts, nirgendwohin. Das war sehr frustrierend für eine Band wie uns. Nicht, weil wir nicht gut waren, einfach, weil wir keine Chance hatten aufzutreten, kein Geld hatten, um unsere Songs auch aufzunehmen. Große Hoffnung gab es nicht. Aber es gab so eine Art von Glauben, der uns angetrieben hat."
Den Glauben hat auch Htein Lin bis heute nicht verloren. Der Maler und Performancekünstler gehörte zur studentischen Protestbewegung, die auch nach ihrer blutigen Niederschlagung 1988 im Untergrund für ein demokratisches Burma kämpfte. Sechs lange Jahre hat er in Gefängnissen verbracht. Danach ging er für einige Zeit nach London.
Htein Lin ist inzwischen wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Jetzt sitzt er auf einem der typischen kleinen Höckerchen in seinem Lieblings-Teeladen. Der liegt in einer ruhigeren Seitenstraße im muslimischen Viertel von Rangun unweit einer großen Moschee. Zum Tee werden Samosas, gefüllte Teigtaschen, gereicht – viele der Muslime hier stammen aus Indien –, in den Biryani-Restaurants in der Nähe dampft der Curry-Reis.
Gipsabdrücke von den Händen ehemaliger politischer Gefangener
Was in Rangun noch friedliches Miteinander ist, eskaliert in anderen Teilen des Landes regelmäßig zum Konflikt. Immer wieder gibt es gewalttätige Angriffe auf die muslimische Minderheit, auch unter Beteiligung buddhistischer Mönche. Die Regierung schweigt dazu und schürt zusätzlich die Angst vor der Islamisierung in der Bevölkerung, unter anderem mit einem geplanten Gesetz zur Begrenzung der Kinderzahl für muslimische Familien.
Htein Lin ist strenger Buddhist, wahrscheinlich der einzige in diesem muslimischen Straßencafé. Er möchte vorleben, dass es auch anders geht.
"Wir sind jetzt in der sogenannten Übergangsphase in Birma. Dafür gibt es viele Gründe. Aber der Hauptgrund für die Veränderungen ist das Engagement der vielen Menschen, die in ihrem Kampf zu politischen Häftlingen wurden.Von 1988 bis 2012 gab es keine Zeit, in der es keine politischen Gefangenen gab. Wir haben ununterbrochen gekämpft. Gingen rein ins Gefängnis und raus, rein und raus."
Heute nimmt der 48-Jährige Gipsabdrücke von den Händen politischer Ex-Gefangener – der Gedanke zu diesem Projektkam ihm nach einem Armbruch bei einem Fahrradunfall.
"Leute fragen mich, warum ich Gips benutze, Silikon sei viel einfacher und sehe gut aus. Aber ich möchte einfach Gips benutzen, wie in den Krankenhäusern. Es gibt ein Konzept dahinter. Wenn du einen Unfall hast, dir etwas gebrochen hast, dann unterstützt der Gips die Heilung. Also dieses Land war kaputt während des Militärregimes – es gab viel Leid. Aber die politischen Gefangenen wirkten wir ein Gipsverband, opferten sich auf."
Rund 400 ehemalige Häftlinge hat er schon getroffen – und Tausende werden noch dazukommen. Am Anfang war es schwer, die Menschen aufzuspüren. Einige sind bis heute traumatisiert. Mittlerweile klopfen die ehemaligen Häftlinge von sich aus bei Htein Lin an.
"Der Prozess dauert ungefähr eine halbe Stunde. Währenddessen unterhalten wir uns über ihre Erfahrungen, und ich zeichne das auch auf. Ja, es ist eine Art Seelsorge, einige sind auch enttäuscht über die derzeitige politische Lage. Manchmal sagen sie mir: 'Ich bin sehr froh, dass du dich an uns erinnerst'."
Die Gräuel zu Zeiten der Militärdiktatur nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, darum geht es bei diesen Aufzeichnungen – und um noch mehr:
"In Bago habe ich zum Beispiel über 40 politische Gefangene getroffen – sie waren stolz darauf, es war wie eine kleine öffentliche Performance. Da habe ich realisiert, dass es bei der Arbeit auch um die menschliche Würde geht. Man lernt, wie Menschen in schwierigen Situationen Überlebensstrategien entwickeln."
Bei einer seiner Gips-Performances in einer Galerie in Rangun erzählt eine ehemalige Gefangene davon, wie sie und ihre Mithäftlinge jeden Abend Lieder sangen, um den Mut nicht zu verlieren.
In Rangun gibt es eine kleine Anzahl von Galerien, vielleicht zwei Handvoll, verstreut in der Innenstadt. Dort sind Werke zeitgenössischer Künstler zu finden – allerdings meist gefälligere Malerei. Erst im letzten Jahr hat mit dem "Transit Shed No 1" in einem ehemaligen Warenlager am Hafen ein erster größerer Ausstellungsraum eröffnet, der Platz für experimentellere Arbeiten schafft.
Eine institutionelle Förderung durch den Staat fehlt, einheimische Sammler sind die absolute Ausnahme, das heißt, die Szene ringt noch um Strukturen und lebt äußerst prekär.
"Viele Leute wissen gar nicht, was ein Museum ist"
Auch die Werke des Künstlerpaars Wah Nu und Tun Win Aung erzählen viel über die Verfassung ihres Landes. Sie leben und arbeiten mit bald zwei Kindern in einem ruhigen Stadtteil Ranguns.
Dort sind die Straßen grün, die Häuser viel niedriger als im Zentrum; bescheidene Holzhütten wechseln sich mit kleinen Ein- oder Mehrfamilienhäusern ab. Wah Nu und Tun Win Aung haben ihr Appartement vor kurzem erst bezogen. Der Laminatboden glänzt zwar, aber viel Platz bleibt ihnen nicht: das Wohn- und Schlafzimmer ist gleichzeitig ihr Atelier. Es ist ein bescheidener Luxus, aber mehr als sich hier viele leisten können: das reale Pro-Kopf-Einkommen des Landes wird auf jährlich etwa 900 US-Dollar geschätzt.
Zwei in Tokio und London basierte Galerien vertreiben ihre Arbeiten, Museen in Südostasien haben Malereien gekauft. Werke von Wah Nu und Tun Win Aung wurden 2013 im New Yorker Guggenheim ausgestellt. Damit erschienen Myanmars zeitgenössische Künstler zum ersten Mal überhaupt auf dem Radar der westlichen Kunstwelt. Darunter eine Videoarbeit, die die letzte Rede von General Aung San zeigt, dem Unabhängigkeitskämpfer und bei einem Attentat ermordeten Vater von Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi.
"Als wir jung waren, verkündete die Regierung jedes Jahr am Tag der Märtyrer, jeden 19. Juli, diese Rede im Radio. Wir warteten schon immer darauf: 'Das ist es, was er uns, den jungen Leuten sagen möchte.' Später stießen wir durch unsere Recherchen auf viele Auslassungen durch die Regierung. Alles, was gegen den sozialistischen Weg sprach, hatten sie herausgeschnitten. Die 30-minütige Rede ist also nicht das Original, sondern die Regierungsversion. Und die fehlenden Parts sind nun der Hauptaspekt in unserem Kunstwerk."
Wah Nu und Tun Win Aung sind Mitte der 70er-Jahre geboren. Sie arbeiten nicht nur in der Metropole Rangun, sondern auch im ländlichen Raum.
"Wir kamen auf die Idee, weil es nur in Rangun ein Museum gibt. Viele Leute wissen gar nicht, was ein Museum, eine Ausstellung ist, was zeitgenössische Werke sind. Wir möchten sie damit bekannt machen."
"Für das Museumsprojekt haben wir ein kleines Gebäude vor Ort in einem Dorf ausgewählt. Wir haben es nur innen verändert für den Ausstellungsraum, damit es den Einheimischen von außen vertraut bleibt, so dass sie keine Angst haben, den Ort zu besuchen."
Hoffnung und Frustration liegen noch sehr nah beieinander
Da das Militärregime das Land von der Außenwelt weitgehend abgeschottet hatte, kamen auch die Künstler selbst lange Zeit nur schwer an Informationen über zeitgenössische, westliche Kunst, auch diejenigen, die in Städten lebten. Die Landbevölkerung macht erst ganz langsam Erfahrungen mit Genres fernab traditioneller Bild- oder Handwerkskunst wie der Holzschnitzerei.
"Hin und wieder wählen wir Gegenstände aus dem Dorf aus, die täglich benutzt werden. Die die Bewohner selbst gebaut haben, nicht als Kunstwerk - aber wir machen Kunst daraus. Für die Kinder im Dorf ist es bis heute schwierig, an modernes Spielzeug zu kommen – also machen sie alles selbst. Das ist einzigartig und sehr schön."
Nach dem Erfolg im Guggenheim rieten selbst enge Verwandte Wah Nu und Tun Win Aung, Myanmar zu verlassen, um ihren Kindern eine bessere Bildung, ein besseres Gesundheitssystem, mehr Sicherheit bieten zu können. Aber auch wenn die Umstände in Myanmar alles andere als gut seien, sagen sie:
"Wir lieben unsere Leute und unsere Gesellschaft und auch unser Land."
"Wir gehören zu ihnen, wir lieben unser Volk. Und auf der anderen Seite braucht das Land uns, glaube ich, es ist unmöglich für uns, woanders hinzugehen."
Den Sprung ins Ausland hat auch die Band Side Effect inzwischen geschafft. Sie waren Vorgruppe der Ärzte, traten in Berlin auf, spielten in den USA und kürzlich zusammen mit den Toten Hosen in Rangun.
"Das war etwas sehr, sehr Besonderes für uns. Weil es keine anderen Bands gab, die das davor gemacht haben."
Was die gesellschaftliche Öffnung Myanmars angeht, liegen Hoffnung und Frustration allerdings noch sehr nah beieinander. Ende 2015 sind Wahlen, dass die Militärs ihre Macht freiwillig aufs Spiel setzen werden, erscheint allerdings kaum vorstellbar. Doch die Künstler kämpfen dafür, ihre Freiheit und den gesellschaftlichen Spielraum stetig zu erweitern.