Raoul Schrott: "Die Kunst an nichts zu glauben"

Gedichte jenseits von Gott

Der Buchautor, Raoul Schrott, bei der Buchpräsentation "Ilias", aufgenommen am 18.10.2008 auf der Buchmesse in Frankfurt am Main.
Der Schriftsteller Raoul Schrott hat nach zehn Jahren einen neuen Gedichtband publiziert © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Raoul Schrott im Gespräch mit Frank Meyer |
Der Schriftsteller Raoul Schrott liebt Kontraste. In seinem Gedichtband "Die Kunst an nichts zu glauben" setzt er Alltagsszenen von heute neben fiktive Texte aus einer atheistischen Bibel von 1700.
"Die Kunst an nichts zu glauben" heißt der neue Gedichtband von Raoul Schrott. Der Schriftsteller hat sich damit Zeit gelassen: Zehn Jahre sind seit seinem letzten Gedichtband vergangen. Thematisiert werden in den Gedichtporträts Facetten des menschlichen Lebens und des Alltags, auch die Schönheit, die im Scheitern liegen kann.
Die Gedichte sind auch ein Lob auf atheistische Literatur. Sie werden von Sentenzen aus der ersten atheistischen Bibel gerahmt, dem "Manual der transitorischen Existenz" aus dem 17. Jahrhundert - es ist allerdings nur eine Fiktion, ein Werk, das es gar nicht gibt.
Die Entdeckung des Jenseits
Er sei ein "alter Atheist", sagte Schrott im Deutschlandradio Kultur. Schon insofern habe ihn die Geschichte des Jenseits sehr interessiert:
"Und das es so wenige Sprüche, Sentenzen, Maximen gibt zu einem Leben im Diesseits. Das ist ideengeschichtlich ganz interessant. Weil der Tod, also das sogenannte Existentielle, das sich mit dem Absurden des Lebens abfindet, bereits bei Gilgamesch vorgezeichnet ist, also 2000 vor Christus. Dann aber kommt diese Erfindung bei den Ägyptern, die ein Jenseits plötzlich in ihrer Imagination figurieren. Das wird dann vom Christentum aufgenommen. Daraufhin entsteht die Idee des Paradieses."
Danach habe sich alles, was an Moral und Ethos in einer Gesellschaft und in einem Subjekt vorhanden sei, plötzlich auf das Jenseits gerichtet. Erst mit der Aufklärung sei wieder das Diesseits in den Vordergrund gerückt. Ab etwa 1700 sei dann das Existentielle und auch das Existentialistische wieder aufgetaucht:
"Ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg wie bei Camus und Sartre. Also da einen Punkt zu setzen und zu schauen: Was gibt es denn für poetische Lebensweisheiten für ein Leben im Hier und Jetzt – also das hat mich sehr fasziniert."
Wann führt Religion zu Gewalt?
Es sei dann auch um die Frage gegangen, ab welchem Punkt Religion zu Gewalt führen könne, erzählte Schrott von der Arbeit an dem Buch.
"Das ist das Totalitäre an Glaubenssystemen, das sie intolerant und gewalttätig macht. Die Religion ist letztlich eine junge Erfindung. Man geht immer davon aus, dass die Idee von Göttern etwas Uraltes wäre. Aber bei den Felsmalereien von Lascaux zeigen sich nur Figurierungen von Natur, von Tieren, aber nicht von Religion, auch nicht im Sinne eines Kultes oder eines Rituals. Also das ist eine Erfindung, die letztlich mit der Sesshaftwerdung der Menschen zu tun haben soll."

Raoul Schrott: Die Kunst an nichts zu glauben
Verlag Carl Hanser, München 2015
168 Seiten, 23,90 Euro

Mehr zum Thema