Wie die Sterne von der Menschheitsgeschichte erzählen
08:35 Minuten
Raoul Schrott arbeitet an einem Mammutwerk: Er will in einem Atlas zeigen, wie unterschiedlich die menschlichen Kulturen Sternenbilder interpretiert haben. Der Schriftsteller leitet davon die gesamte Menschheitsgeschichte ab.
Der Schriftsteller Raoul Schrott beschäftigt sich intensiv mit den Sternen. Er arbeitet derzeit an einem Mammutprojekt: Schrott will die verschiedenen Sternenhimmel-Interpretationen der menschlichen Kulturen in einem Atlas zeigen. Jede Kultur hatte ihren eigenen Zugang zu den Sternen, jede deutete Sternbilder anders.
Bilder, Geschichten und ihre Moral
Davon leitet Schrott nicht weniger als die Menschheitsgeschichte ab. Jede Kultur habe sich mit ihrer jeweiligen Deutung des Sternenhimmels auch selbst dargestellt, betont er. Aus den Sternen seien Götter, Tiere, Gegenstände und Pflanzen herausgelesen worden, um dann "all diese Bilder mit Geschichten zu versehen, in denen sich die jeweilige Moral und Ethik einer Gesellschaft ausdrückt".
Der Sternenhimmel habe in der Menschheitsgeschichte zwei praktische Funktionen gehabt: zum einen die der Navigation, zum anderen sei er für die Landwirtschaft essenziell gewesen. Die Sterne seien, neben Jahreszeiten und Sonnenstand, eine Art Uhr und Kalender gewesen: "Und ohne Landwirtschaft keine Kohlenhydrate, nicht viele Kinder, keine Sesshaftigkeit, keine Städte, keine Zivilisation, keine Schrift in unserem Sinn."
Insgesamt will Schrott 700 bis 800 verschiedene Sternenbilder aus 17 Kulturen in seinem Atlas zeigen, die von der Künstlerin Heidi Sorg gezeichnet werden. Die Inuit, berichtet er, sähen vor allem Einzelsterne, die beispielsweise als Jäger gedeutet würden, die einen Eisbären verfolgen. Die Tuareg in der Wüste hingegen sähen ganzheitliche Figuren, die Szenen bildeten: "Wo also mehrere Sternbilder eine Geschichte erzählen, quasi wie beim Comic."
Papagei, Fischer oder zornige Frau
Dasselbe Sternbild kann je nach Kultur vollkommen unterschiedliche Bedeutungen haben. Die Maya sähen darin dann einen großen Papagei, sagt Schrott, Menschen auf Palawan einen Fischer in einem Boot. Die Navajo wiederum sähen "jemanden, der eine zornige Frau hat".
Das Wissen über diese Sternbilder sei über Hunderte von Quellen verstreut, sagt Schrott - er habe seinen Schreibtisch gerade "voll mit Zeugs". Er müsse das wie ein Puzzle zusammensetzen, "was bei einigen Kulturen einfacher, bei anderen schwieriger ist". Seine Arbeit wird von der Stiftung Kunst und Kultur unterstützt, die Publikation des Werks ist für 2023/2024 geplant.
(ahe)