Rap-Roman

Eine Platte wie ein Buch

Der Plattenspieler (Turntables) einer Musikanlage, aufgenommen am 14.04.2005
Die Geschichte, die "Everybody Down" erzählt, beginnt in einem angesagten Club. Alle Figuren stecken in misslichen Lagen fest. © picture-alliance/ ZB / Andreas Lander
Von Christoph Reimanm |
Die preisgekrönte Sprachkünstlerin Kate Tempest liebt Lyrik. Doch die darf in ihren Augen nicht nur geschrieben stehen, sondern muss erklingen. Deshalb hat sie eine Platte gemacht und die Schicksale ihrer Figuren gerappt - ein musikgewordener Roman in zwölf Kapiteln.
"Everywhere is monsters. Tits out, wet-mouthed, heads back. Shouting and screaming just to prove they exist. Becky’s at the bar with the usual mix of decadent fabrics and desolate lightning. Everybody here has got a hyphenated second name. Blowing more breeze than the wind at the weather vane."
Die Geschichte beginnt in einem angesagten Club. Die Studentin Becky sitzt an der Bar, um sie herum Leute mit ausgefallenen Doppelnamen, die aber nicht mehr als heiße Luft produzieren. Becky kommt ins Gespräch mit Harry: einem Drogendealer, der ihr sein Herz ausschüttet:
"If I’m being honest, well it is, it’s like a trap, I ain’t trying to be flash. I just need to raise the cash for the dream. I hardly touch it myself. Look, it ain’t that but once I set myself a task, well, there ain’t no going back. And I am halfway there, I am, nearly, anyway, the point is, I kinda had to push all of my friends away."
Harry dealt also nicht, um das Geld zu verprassen – er will sich den Traum von einem eigenen Restaurant erfüllen. Doch jetzt hängt er mitten drin im Drogengeschäft, und die Luft wird immer dünner.
Spoken-Word-Lyrics verdichten sich zum Roman
Anderer Song, neue Umgebung. Becky kellnert in einem Restaurant. Die Nachtschicht hat sie hinter sich: Jetzt noch die Frühschicht. Und das zusätzlich zu ihrem Job als Masseurin – das Studium muss nun mal finanziert werden. In der Kneipe sitzt Pete: Die Uni hat er zwar abgeschlossen, aber eine Arbeit hat er damit nicht gefunden. Ein anderes Leben können Becky und er sich beide nicht mehr so richtig vorstellen.
"But will it be this way forever? These are lonely days. What if she could be the one that makes it better? He looks away, can’t hold her gaze. These are stressful times. What if he could be the one that gets her? She looks away, she’s petrified."
Becky, Pete, Harry, der Dealer: Alle Charaktere, die man in diesem Rap-Roman kennenlernt, sind unzufrieden und stecken fest: in miesen Situationen, in die sie irgendwie hineingeschlittert sind – und aus denen die Liebe sie befreien könnte, vielleicht, aber so recht glaubt daran keiner mehr.
Die Endzwanzigerin Kate Tempest beschreibt die Sorgen und Nöte ihrer Generation und erzählt gleichzeitig eine packende Gangster-Geschichte. Nach und nach verdichten sich ihre Spoken-Word-Lyrics zu einem richtigen Roman: Jede Figur hat eine eigene Persönlichkeit – und ihre eigene Stimme:
"Now he’s pouring out a brandy, saying, 'this is premium quality, do you understand me? Since Pico’s departure, the prices have risen, it’s double what it used to be, OK?'"
Geschickt verbundene Erzählstränge
Gerade im wortlastigen HipHop gibt es natürlich viele Platten, auf denen ganze Geschichten erzählt werden – Kate Tempest steht da in einer langen Tradition. Stilistisch ähnlich klingt etwa der Rap von Mike Skinner, der 2004 als The Streets das Album "A Grand Don’t Come For Free" veröffentlichte, eine sogenannte Rap-Oper.
Kate Tempests Alleinstellungsmerkmal ist allerdings ihr komplexer literarischer Zugang: Unter dem desillusionierten Blick ihrer Figuren entsteht eine ganze Welt, in der niemand einfach nur gut oder böse ist - und in der sich die einzelnen Erzählstränge geschickt miteinander verbinden.
Platte sollte man am Stück hören
Dazu kommt Kates Umgang mit Sprache: Seit ihrem 16. Lebensjahr tritt sie als Spoken-Word-Künstlerin auf: Wort ist für sie immer auch Musik – die Platte daher eine logische Konsequenz.
"Everybody Down" ist mehr als ein Musikalbum, und es ist mehr als Literatur: Text und Musik ergänzen sich hier gleichermaßen, was aber auch bedeutet, dass man die Platte am Stück hören sollte – und unbedingt auf die Texte achten muss. Die Lyrics liegen bei.