Raphaela Edelbauer: "Dave"
Klett-Cotta, Stuttgart 2021
432 Seiten, 25 Euro
Von der Nerd-Diktatur zur künstlichen Intelligenz
06:03 Minuten
Mit ihrem Debütroman landete Raphaela Edelbauer 2019 auf Anhieb auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis. Jetzt legt die Österreicherin nach - mit "Dave", einer ambitionierten Dystopie über künstliche Intelligenz.
Wenn eine junge Autorin mit einer überbordend barocken Sprachmacht, studierte Philosophin, begeistert von surreal verdrehten Erzählsträngen, sich des Themas "künstliche Intelligenz" annimmt - was kommt dabei heraus? "Dave", der zweite Roman der Österreicherin Raphaela Edelbauer.
Mit ihrem Debüt "Das flüssige Land" hatte sie es 2019 auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis geschafft – ein Roman, der noch begann in einer Welt, die mit unserer Realität identisch schien. Jetzt erwacht ihr neuer Ich-Erzähler Syz schon auf der ersten Seite in einer Dystopie: Als Programmierer schuftet er in einem riesigen Labor. Alle Arbeit an diesem streng hierarchisch organisierten Ort – eine Diktatur der Wissenschaftler und Nerds – ist darauf ausgerichtet, einer künstlichen Intelligenz namens "Dave" zum Durchbruch zu verhelfen.
Syz ist der Auserwählte
Hauptfigur Syz verwandelt sich vom kleinen Rädchen in diesem Getriebe zum entscheidenden Bauteil für den Erfolg der künstlichen Intelligenz. Denn die führenden Forscher haben ihn auserkoren, um ihre Personenhypothese zu verwirklichen: Die besagt, eine künstliche Intelligenz müsse einem individuellen Menschen und seinen Erinnerungen nachempfunden werden, um ein eigenes Bewusstsein zu erlangen. Der Ich-Erzähler ist diese auserwählte Person, mit deren Erinnerungen – in Programmiersprache übersetzt – "Dave" nun gefüttert wird.
Je länger dieser Prozess dauert, desto stärker verändert sich Syz’ Blick auf die KI. Das Buch taucht ein in philosophische Fragen: Woraus formt sich unser Bewusstsein? Wäre eine sich selbst verbessernde KI nicht eine riesige Gefahr für die Menschheit? Geschickt verwebt Edelbauer Realität und Fiktion: Zwar hat sie die Personenhypothese frei erfunden, aber Zitate aus wissenschaftlichen Texten von KI-Experten wie Alan Turing und Nick Bostrom sind echt. Transhumanisten träumen nicht nur im Roman davon, ihre Gehirne zu scannen und mit einem Supercomputer zu verschmelzen.
Ein Plot in Schleifen und Spiegelungen
Existenzielle Fragen, relevant für unsere Gegenwart und Zukunft – aber leider fehlen "Dave" eine mitreißende Handlung und nahbare Figuren, um als Roman zu überzeugen. Beim Lesen bleibt man auf Distanz zu Syz; kein Mitfühlen will sich einstellen, auch wenn die Handlung immer wieder überraschende Wendungen nimmt. Am Ende verstrickt sich der Plot in so vielen Schleifen und Spiegelungen, dass man kaum noch weiß: Was davon findet nur im Kopf des Erzählers statt? Und hat er überhaupt einen Kopf?
Die mit überflüssigen Fachwörtern und latinisierten Begriffen gespickte Sprache passt zur Abgehobenheit dieser Nerd-Welt. Aber Wendungen wie "res extensa" und "mental konsolidierte" Hacker mit "nocturnaler Tendenz" erschweren den Lesefluss zusätzlich.
Seit sie 19 ist, habe sie an diesem Buch gearbeitet, erzählte Raphaela Edelbauer Denis Scheck in "Druckfrisch". Dreimal habe sie es neu geschrieben, um eine Form zu finden, die dem Stoff angemessen sei. Herausgekommen ist ein Roman, der einem Möbius-Band gleicht: in sich verschlungen, kunstvoll konstruiert – und doch fühlt man sich beim Lesen verloren, bisweilen ratlos, wie gefangen im endlosen Lauf einer Treppe von M.C. Escher.
In unserer Sendung "Lesart" sprachen wir mit der Autorin über ihren Roman: