Der doppelte Sebastian Kurz
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Nach der Wahl in Österreich betrachtet die Schriftstellerin Raphaela Edelbauer für uns ein Bild des Wahlsiegers Sebastian Kurz: Mit erhobener Hand steht der ÖVP-Politiker vor einer Video-Wand, die ihn selbst noch einmal zeigt. Wer ist hier das Original, wer die Kopie?
In Anlehnung an die ikonografische Analyse des Kunsthistorikers Erwin Panofsky deutet Raphaela Edelbauer, Autorin aus Österreich, das Foto von Sebastian Kurz. Schritt Eins dieser Analyse-Methode sei die Beschreibung des Dargestellten. Die für den Deutschen Buchpreis nominierte Schriftstellerin erkennt auf dem Foto "einen Jüngling, der die rechte Hand erhoben hat in einer Triumph-Geste und hinter sich selbst - in einer Art gruseligem Doppelgänger-Abzug - nochmal zu sehen ist".
Die Pose erinnert sie an den "Jüngling vom Magdalensberg", eine Bronze-Statue aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien, die jahrhundertelang "als der bedeutendste römerzeitliche Bodenfund im Ostalpenraum gegolten hatte". Auf der Website des Museums heißt es aber, der Jüngling sei "nicht das vermeintliche antike Original, sondern bloß ein Abguss, der 1806 in die Wiener Antikensammlung gelangte".
Die Kopie seiner selbst
Das Original sei verschollen. Spuren führen laut Raphaela Edelbauer nach Spanien: "Es ist leider Aranjuez und nicht Ibiza, wo sich ein Doppelgänger des Jünglings oder vielleicht auch das Original befunden haben soll." Ähnlich wie die Skulptur, die nur mehr als Kopie vorliege, sei der Politiker Kurz kaum greifbar, sagt Edelbauer: "Er ist ja auch ein absoluter Wendehals, ein Abguss sozusagen, wo man nicht weiß, was ist das Original, was ist bloß eine Kopie, und was will er eigentlich verkörpern?"
In einem zweiten Schritt widmet sich die Autorin der ikonografischen Analyse: Hier geht es um die Frage, wie der Porträtierte dargestellt ist. Edelbauer fällt die Dominanz der Farbe Blau auf - Augen, Anzug, Krawatte, die gesamte Situation sei in der "zentralen Farbe der deutschen Romantik" gehalten. hat das mit möglichen Koalitionen zu tun, von denen Sebastian Kurz jetzt träumt?
Ein blauer Kragen, ein zartes Gesicht
In der Literatur stehe Blau für das Unerreichbare, Ersehnte – Raphaela Edelbauer zitiert dazu eine Passage von Novalis: "Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte." Genau das sei ja auch auf dem Foto des Politikers zu sehen.
Im letzten Schritt folgt die ikonologische Interpretation: Was will das Bild uns sagen? Dafür sei das aus der Literatur bekannte Motiv des Doppelgängers entscheidend, sagt die Autorin. Ein zum Verwechseln ähnlich aussehender Mensch schiebe einem unschuldigen Bürger seine unmoralischen Taten in die Schuhe. Dieses Talent habe ja auch Sebastian Kurz immer wieder bewiesen, ob es um die "Schredder-Affäre" oder seltsame Tweets seiner Parteikollegen gegangen sei: "Er war es nie selber, er hat so einen bösen Doppelgänger, der immer im Hintergrund lauert."
Im übrigen heiße es von Doppelgängern in der Literatur der Romantik, sie könnten sich zur selben Zeit an zwei Orten befinden. "Und Sebastian Kurz wendet sich ja auch nach links und rechts, transzendiert Raum und Zeit in seiner Anwesenheit überall. Ich glaube, die Koalitionsmöglichkeiten können in jede Richtung ausufern", schlussfolgert Edelbauer.