Rapperin Ana Tijoux

Antipatriarchal, frech und stark

Die chilenische Rapperin Ana Tijoux beim Womad Festival Chile in Santiago de Chile 2016.
Mit den Lyrics von Ana Tijoux identifizieren sich junge Latinos. © picture alliance / epa / Elvis Gonzalez
Von Marsida Lluca · 23.08.2017
Die französisch-chilenische Musikerin Ana Tijoux gilt als Stimme des jungen Lateinamerikas. Sie rappt über schwangere Teenager und lehnt sich gegen Sexismus auf. Mit ihrem Song "1977" wurde sie zur Hip-Hop-Ikone. Manchmal macht es ihr Angst, als Vorbild zu gelten.
Es ist wirklich die MC Ana Tijoux, die hier über Liebe und Verlust singt. Begleitet von zwei chilenischen Gitarristen nennt sich das Trio Roja y Negro - Rot und Schwarz. Sehnsuchtsvoll klingende Balladen, unterlegt mit Bolero-, Tango- oder Walzerklängen: Hat Ana Tijoux etwa genug vom Hip-Hop?
Ana Tijoux: (lacht) "Nein, überhaupt nicht. Der Hip-Hop hat eher die Nase voll von mir. Nein, jetzt im Ernst. Ich fand es genial, ein anderes Genre auszuprobieren, organisch und ganz simpel, nur mit Gitarre und Stimme. Dabei ist es mir wichtig, in kleinen Restaurants und Bars zu spielen, denn es entsteht eine ganz andere Energie als auf Festivals oder auf großen Bühnen. Vielleicht habe ich es bisher noch nicht gezeigt, aber ich bin super-romantisch. Und ich glaube, jetzt mit 40 sag ich mir: Weißt du was, mach einfach, worauf du Lust hast!"
Spätestens im Jahr 2010 wird Ana Tijoux mit dem Song "1977" in weiten Teilen der Welt zur Hip-Hop-Ikone. Das Stück schafft es sogar in den Soundtrack der US-Serie "Breaking Bad". Der komplizierte Rhythmus und ihr Rap, untermalt mit einem Hauch Jazz in der Stimme - beeindruckt. 1977 ist Ana Tijouxs Geburtsjahr. Sehr persönlich rappt sie im gleichnamigen Album, welches in den USA Gold-Status erreicht hat - über den chilenischen Hip-Hop der 90er-Jahre und ihre Kindheit und Jugend in Frankreich.

Eltern flohen vor der Diktatur Pinochets

Denn Ana Tijoux wird in Lille geboren, als Kind von Exilmigranten, die vor der Diktatur Pinochets geflohen sind. Dabei übt das politische Ambiente rund um ihre Familie einen großen Einfluss aus und sie entdeckt früh ihre Affinität für Hip-Hop, bevor sie im Teenager-Alter nach Chile zurückkehrt.
"Frankreich fühlte sich immer als Zwischenstation an - mit den Koffern in der Hand konnte es jederzeit nach Chile zurückgehen. Wurzeln zu schlagen, war nicht der Sinn. Vielleicht hat das dazu geführt hat, dass ich nicht nur an einem Ort sein kann. Aber in Frankreich aufzuwachsen, mit Mitschülern aus Kamerun, Äthiopien, Algerien oder Marokko hat auf jeden Fall meine Welt geöffnet, mich kulturell bereichert."
Diese Multikulturalität ist in Ana Tijouxs Musik fast immer präsent. Rastlos mischt sie Soul oder Funk mit Boombox-Beats, dazwischen ertönen Trompeten oder Panflöten.

Antipatriarchalisch und fröhlich

Am Anfang tritt sie in Chile als eine der wenigen weiblichen MCs auf - mit der Formation Makiza. Später veröffentlicht sie vier Solo-Alben, wird mehrmals für die Grammys nominiert. Vor allem aber sind es ihre unbeirrbaren Lyrics mit denen sich junge Latinos identifizieren, auf ihrer Suche nach Freiheit und Mitbestimmung. Es geht um Ermächtigung, darum seine Stimme zu erheben. Etwa in dem Lied "Sacar la voz". Oder wenn es in "Antipatriarca" heißt: Sei nicht unterwürfig, Befreie dich, starke, und schöne Frau, antipatriarchalisch und fröhlich.
Ana Tijoux rebelliert nicht nur auf der Bühne, sie unterstützt Menschenrechtsaktivisten, tritt selbst für die Harvard-Universität als Gastrednerin auf. Ihre kämpferischen sozialpolitischen Texte sind für chilenische Schüler mittlerweile Teil des offiziellen Unterrichtsstoffs. Ana Tijoux hat auch andere lateinamerikanische Künstler inspiriert, darunter viele weibliche - Nur fühlt sie sich durch diese Vorbildrolle auch unter Druck gesetzt:
"In einigen Momenten macht es mir Angst, als Vorbild zu gelten, man muss sehr verantwortungsbewusst sein, auf der Höhe dieser Erwartungshaltung bleiben. Ich nehme es dann aber auch mit Leichtigkeit. Nur braucht es mehr als die Musik, um etwas zu bewirken, es braucht ein Kollektiv, viele soziale Akteure."
Mehr zum Thema