Rapszene will "Klima der Angst" nicht mehr
In seinem Titel "Stress ohne Grund" hetzt Pöbel-Rapper Bushido gegen Politiker und Prominente. Er gehe davon aus, dass der Song indiziert wird, sagt der Musikjournalist Daniel Köhler. In der deutschen Hip-Hop-Szene habe Bushido mit seinen Gewaltfantasien an Bedeutung verloren.
Joachim Scholl: So hört sich das an, was der prominente deutsche Rapper Bushido mit seinem Kompagnon Shindy jüngst auf die Menschheit losgelassen haben. Die Empörung ist groß und breit gefächert, reicht bis zu juristischen Schritten, die die betroffenen Politiker Klaus Wowereit, Serkan Tören von der FDP und Claudia Roth erwägen. Und genau diese Art der Reaktion, sagen viele Medien heute, war kalkuliert. So schafft man Aufmerksamkeit. Im Studio ist jetzt der Musikjournalist Daniel Köhler, sein Gebiet ist der deutsche Rap, der deutsche Hip-Hop. Guten Tag!
Daniel Köhler: Wunderschönen guten Tag!
Scholl: Wenn Sie diese Verse hören, Herr Köhler, sagen Sie sich da auch: Geht’s noch?
Köhler: Nein. Weil ich in meinem Berufsleben tatsächlich leider Gottes schon deutlich schlimmere Texte gehört habe, was allerdings in keiner Sekunde eine Relativierung des Textes von Bushido darstellen kann. Also, es ist natürlich absolut unerklärlich, wie man tatsächlich sagen kann, dass man Politikern oder anderen Menschen - ist ja egal, ob es ein Politiker ist oder nicht - den Tod wünscht. Da hakt es dann schon deutlich aus, das ist vollkommen richtig. Aber es ist jetzt nicht die Spitze des Eisbergs dessen, was verbal möglich ist.
Scholl: Mit solchen Zeilen schafft man es auf jeden Fall in die "Tagesschau", wenn man so prominent ist wie Bushido. Am Wochenende wurde berichtet, unter dem Alarmruf "Rapper ruft zum Mord auf". Aber noch mal, tun Bushido und Shindy das wirklich?
Köhler: Nein. Also, ich glaube, Bushido und Shindy haben beide selbst viel zu viel zu verlieren, als dass sie tatsächlich, das, was sie in ihrer Kunstform Rap – egal, wie man dazu steht oder ob man das jetzt als Kunst bewertet oder nicht –, in die Tat umsetzen wollen würden. Also jetzt wirklich selbst die Waffe in die Hand zu nehmen und jemanden zu richten oder das in Auftrag zu geben, dafür mögen die beiden, glaube ich, ihre Plasmafernseher und ihren Lebenswohlstand dann doch zu sehr. Und man darf auch nicht vergessen, dass Bushido ja auch Familie hat. Es wäre dann also auch auf einer privatpersönlichen Ebene sehr, sehr fragwürdig und generell auch strafrechtlich sehr fragwürdig. Nein, das ist kein direkter Mordaufruf, da wird keine Handlung daraus entstehen.
Scholl: Also ist es so, dass sich da jetzt zwei ins Fäustchen lachen, nennen ihren Song auch noch ironisch "Stress ohne Grund", machen genau diesen Stress und die Aufmerksamkeit ist garantiert?
Köhler: Ja, weil ja auch alle mitspielen. Weil natürlich …
Scholl: Wir zum Beispiel auch.
Köhler: Absolut, es ist aber auch richtig, dass wir mitspielen, weil es ist ja auch schade, wenn so etwas in den Wald hineingerufen würde ohne eine Reaktion. Das wäre dann auch ganz schlecht für Bushido, weil man stelle sich vor, man macht einen Song und keiner reagiert, dann hat man erst richtig große Probleme!
Scholl: Die Gesellschaft ist empört, die Gesellschaft sage ich jetzt mal in Anführungszeichen. Heißt in dem Fall also, die betroffenen Politiker, die Medien, in der "Bild"-Zeitung schwingt sich Heino zum Vorzeigedemokraten auf, der Bushido entweder ins Gefängnis oder in die Klapsmühle stecken will. Wie sieht da aber zum Beispiel auch wirklich die Bushido-Fangemeinde? Sie, Herr Köhler, waren jetzt gerade auf dem sogenannten Splash!-Festival, dem Epizentrum des Hip-Hop, hat man es genannt. Wurde da auch über diesen Bushido-Shindy-Song diskutiert, und wenn ja, wie?
Köhler: Es wurde darüber diskutiert, man muss aber noch mal einleitend sagen, dass Splash! definitiv keine Bushido-Fangemeinde ist. Das Splash! ist so was wie das Familientreffen der Branche. Und wir alle wissen ja, wie Familientreffen so ablaufen, da kann man immer relativ gut absehen, wie so gerade die Stimmung innerhalb der Familie ist. Und die Stimmung ist gerade in der Deutschrapfamilie sehr positiv. Also, da geht es nicht mehr um Ellbogen, da geht es nicht mehr um Wut, da geht es nicht mehr um diese archaische Männlichkeit, über dieses Schläge-Verteilen und Opfer-Täter, du stark, ich schwach oder andersherum.
Es geht vielmehr um Bestärkung, um Unterstützung, um Liebe. Menschen umarmen sich einfach mal wieder, das haben Rapper jahrelang einfach nicht gemacht, weil es nicht irgendwie en vogue war. Und dementsprechend will diese andere Kultur der Wut, dieses Klima der Angst, was ja auch ein Bushido in diesem Song beschwört, niemand wieder zurückhaben. Und da sind wahnsinnig viele Fragezeichen über den Köpfen der Leute gewesen.
Scholl: Etliche Kritiker haben angemerkt, dass Bushido so auf dem absteigenden Ast sei, was so die Popularität betrifft. Die Alben verkaufen sich nur noch durchschnittlich, die Hallen, in denen er auftritt, werden immer kleiner. Und das hat man so jetzt als die Folge dieses Schmusekurses gefolgert, den Bushido eingeschlagen habe, ein Lied mit Karel Gott hat er zusammen gemacht, Bambi für Integration vor zwei Jahren, ein Praktikum bei der CDU. Meine Güte, was ist denn mit dem los, könnte man ja schon als neutraler Beobachter sagen. Warum dann aber jetzt diese Volte zurück, wenn Sie jetzt, Herr Köhler, auch gerade sagen, dass die Hip-Hop-Gemeinde eigentlich eher auf einem ganz anderen Trip ist, eher auf diesem Trip, wieso dann diese Volte jetzt so zurück in diesen Aggro, in diesen aggressiven Stil?
Köhler: Ich glaube nicht, dass das eine Geschäftsentscheidung war, also dass Bushido damit glaubt, jetzt wieder Plattenverkäufe anzukurbeln. Ich glaube, dass Bushido in den letzten Monaten halt sehr, sehr viel hat einstecken müssen, es gab die ein oder andere Negativschlagzeile über ihn und sein Umfeld, er fühlt sich eventuell – aber das ist rein spekulativ, wir reden da nicht drüber, wir beide, der Bushido und ich –, er fühlt sich in die Ecke gedrängt. Und er ist am Ende des Tages eben Rapper und er ist auch jemand, der selten Spaß versteht, wenn es um seine Kunst, um seine Person geht. Und wenn so jemand sich dann eventuell in die Ecke gedrängt fühlt, dann fängt er an zu keilen. Und wenn so ein Rapper mit diesem Profil anfängt zu keilen, dann klingt das so wie auf "Stress ohne Grund".
Scholl: Bushido macht mal wieder Putz. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Musikjournalisten Daniel Köhler. Sexistische, homophobe, gewaltverherrlichende Texte, das sind die Merkmale des Gangster-Rap, den Bushido flächendeckend populär gemacht hat, auch in Deutschland. Man kann sich drüber aufregen, die Achseln zucken, sind halt dümmliche Posen, sagen. Haben Bushido und Shindy, Herr Köhler, die Sache jetzt aber nicht doch so um eine Schraube oder um eine Drehung der Schraube zu stark überdreht, gibt es hier nicht doch so die demokratische Grenze, die rote Linie, die auch der coolste Rapper einhalten muss, wenn er eben sagt, ja, ich will, dass der jetzt abkratzt?
Köhler: Ich finde das ein sehr, sehr gutes Konzept, dass es keinen Kanon von "Was geht und was nicht" gibt. Ich finde es ein viel besseres Konzept, dass dieser Kanon regelmäßig durch Diskussionen wie diese oder eben auch in der Branche neu definiert wird beziehungsweise noch mal neu bestärkt wird. Was vollkommen klar ist, dass sich auch ein Rapper wie Bushido – und das hat er ja auch leidvoll erfahren dürfen –, sich auf den demokratischen Grundfesten dieser Gesellschaft bewegen muss, darf und es auch weiterhin tun wird. Insofern ist natürlich dieser Song möglicherweise ein Straftatbestand im Fall der Verleumdung. Sollte daraus eine Handlung entstehen, was ich ja vorher als unwahrscheinlich irgendwie ausgeschlossen habe, dann wird es natürlich noch mal ein ganz anderes strafrechtliches Problem.
Aber ja, es gibt natürlich diese Regeln der Gesellschaft, die muss auch ein Bushido akzeptieren. Zeitgleich gibt es aber auch die Regeln der Kunst und wir reden hier von einer Kunstfigur, Bushido, der Rapper. Und da müssen solche Grenzen eben immer wieder neu verhandelt werden.
Scholl: "Was darf Musik", hat heute der Berliner "Tagesspiegel" gefragt, und natürlich auch gemeint, was darf denn Kunst. Und natürlich lautete die liberale Antwort, eigentlich doch alles. Wie ist das aber auch zu bewerten, Herr Köhler, wenn, wie tatsächlich geschehen, Kritiker von Bushido auch durchaus ja mal körperlich bedroht werden? Sie haben es vorhin selber gesagt, Bushido versteht keinen Spaß, wenn man ihn kritisiert, und wenn diese Art der Gewaltlyrik sich ja auch wirklich im persönlichen Umfeld des Künstlers real zeigt, das weiß man ja auch aus regelmäßiger Berichterstattung, dass hier so kriminelle Kreise nicht weit sind, da gehen doch Leben und Kunst schon ziemlich ungut ineinander über!
Köhler: Im Vorfeld von diesem Gespräch haben mich sehr, sehr viele Menschen angerufen und mir gesagt, ich solle vorsichtig sein. Alle diese Menschen hatten selbst keine Kontakte zu diesen Kreisen, die eben eine Gefahr potenziell darstellen können, aber sie haben eine gewisse Sorge. Insofern ist da natürlich eine Grenze überschritten, wenn man Meinungsfreiheit und den Diskurs nicht mehr offen und geschützt irgendwie führen kann, sondern wenn man die Sorge haben muss, dass irgendjemand mit einem Baseballschläger in der Ecke steht.
Scholl: Das heißt, Leute haben Sie direkt angerufen und gesagt, hey, Daniel, pass auf, was du im Deutschlandradio Kultur über Bushido sagst, nachher kriegst du Besuch?
Köhler: Ja. Und natürlich ist das auch eine Spekulation, weil die wissen das natürlich genauso wenig wie ich, und aber natürlich irritiert das. Und da ist eine Grenze überschritten, denn es geht nicht an – um noch mal auf diese Deutschrapszene 2013 zurückzukommen –, dass ein Einzelner tatsächlich eine komplette Geisteshaltung, die ich persönlich als sehr viel wertvoller einschätze als das, was Bushido repräsentiert, über den Haufen wirft und nun komplett dominiert.
Scholl: Wäre es dann aber so gesehen nicht mal ganz gut, wenn das System einfach sagt, okay, hier sind Grenzen verletzt, hier ist die demokratische sozusagen Grundordnung verletzt, und nun müssen wir Bushido mal ganz demokratisch richtig eins überbraten, genauso wie einem Neonazi, der zum Judenhass aufruft, eben einem Rapper, der hier Gewalt predigt? Oder ginge das genau nach hinten los?
Köhler: Ja, ich glaube, Bushido hat da ja durchaus schon seine Erfahrungen gesammelt. Das ist ja auch … Ich gehe davon aus, dass dieser Song indiziert werden wird, das wird sicher nicht der erste Song gewesen sein, der von Bushido indiziert werden wird, wir haben das Ergebnis, dass er ja konstant weiter macht. Der Sieg, den Bushido davonträgt, ist genau so eine Gesprächsrunde wie diese hier, sind diese Schlagzeilen an den Kiosken. Am Ende des Tages glaube ich, dass das System tatsächlich sich in Geduld und Toleranz üben muss und gleichzeitig aber auch ganz klar den Finger in die Wunde legen muss und sagen, nein, übrigens, so nicht! Und am Ende des Tages wird die Relevanz von Bushido dann am Ende die Antwort geben. Und die ist, wie Sie vorher auch schon richtig gesagt haben, aktuell, im Vergleich zu der aktuellen deutschen Rapszene vergleichbar gering.
Scholl: Was darf die Kunst, was darf ein Bushido, wann reicht’s? Das war der Musikjournalist Daniel Köhler. Danke schön, dass Sie da waren.
Köhler: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Daniel Köhler: Wunderschönen guten Tag!
Scholl: Wenn Sie diese Verse hören, Herr Köhler, sagen Sie sich da auch: Geht’s noch?
Köhler: Nein. Weil ich in meinem Berufsleben tatsächlich leider Gottes schon deutlich schlimmere Texte gehört habe, was allerdings in keiner Sekunde eine Relativierung des Textes von Bushido darstellen kann. Also, es ist natürlich absolut unerklärlich, wie man tatsächlich sagen kann, dass man Politikern oder anderen Menschen - ist ja egal, ob es ein Politiker ist oder nicht - den Tod wünscht. Da hakt es dann schon deutlich aus, das ist vollkommen richtig. Aber es ist jetzt nicht die Spitze des Eisbergs dessen, was verbal möglich ist.
Scholl: Mit solchen Zeilen schafft man es auf jeden Fall in die "Tagesschau", wenn man so prominent ist wie Bushido. Am Wochenende wurde berichtet, unter dem Alarmruf "Rapper ruft zum Mord auf". Aber noch mal, tun Bushido und Shindy das wirklich?
Köhler: Nein. Also, ich glaube, Bushido und Shindy haben beide selbst viel zu viel zu verlieren, als dass sie tatsächlich, das, was sie in ihrer Kunstform Rap – egal, wie man dazu steht oder ob man das jetzt als Kunst bewertet oder nicht –, in die Tat umsetzen wollen würden. Also jetzt wirklich selbst die Waffe in die Hand zu nehmen und jemanden zu richten oder das in Auftrag zu geben, dafür mögen die beiden, glaube ich, ihre Plasmafernseher und ihren Lebenswohlstand dann doch zu sehr. Und man darf auch nicht vergessen, dass Bushido ja auch Familie hat. Es wäre dann also auch auf einer privatpersönlichen Ebene sehr, sehr fragwürdig und generell auch strafrechtlich sehr fragwürdig. Nein, das ist kein direkter Mordaufruf, da wird keine Handlung daraus entstehen.
Scholl: Also ist es so, dass sich da jetzt zwei ins Fäustchen lachen, nennen ihren Song auch noch ironisch "Stress ohne Grund", machen genau diesen Stress und die Aufmerksamkeit ist garantiert?
Köhler: Ja, weil ja auch alle mitspielen. Weil natürlich …
Scholl: Wir zum Beispiel auch.
Köhler: Absolut, es ist aber auch richtig, dass wir mitspielen, weil es ist ja auch schade, wenn so etwas in den Wald hineingerufen würde ohne eine Reaktion. Das wäre dann auch ganz schlecht für Bushido, weil man stelle sich vor, man macht einen Song und keiner reagiert, dann hat man erst richtig große Probleme!
Scholl: Die Gesellschaft ist empört, die Gesellschaft sage ich jetzt mal in Anführungszeichen. Heißt in dem Fall also, die betroffenen Politiker, die Medien, in der "Bild"-Zeitung schwingt sich Heino zum Vorzeigedemokraten auf, der Bushido entweder ins Gefängnis oder in die Klapsmühle stecken will. Wie sieht da aber zum Beispiel auch wirklich die Bushido-Fangemeinde? Sie, Herr Köhler, waren jetzt gerade auf dem sogenannten Splash!-Festival, dem Epizentrum des Hip-Hop, hat man es genannt. Wurde da auch über diesen Bushido-Shindy-Song diskutiert, und wenn ja, wie?
Köhler: Es wurde darüber diskutiert, man muss aber noch mal einleitend sagen, dass Splash! definitiv keine Bushido-Fangemeinde ist. Das Splash! ist so was wie das Familientreffen der Branche. Und wir alle wissen ja, wie Familientreffen so ablaufen, da kann man immer relativ gut absehen, wie so gerade die Stimmung innerhalb der Familie ist. Und die Stimmung ist gerade in der Deutschrapfamilie sehr positiv. Also, da geht es nicht mehr um Ellbogen, da geht es nicht mehr um Wut, da geht es nicht mehr um diese archaische Männlichkeit, über dieses Schläge-Verteilen und Opfer-Täter, du stark, ich schwach oder andersherum.
Es geht vielmehr um Bestärkung, um Unterstützung, um Liebe. Menschen umarmen sich einfach mal wieder, das haben Rapper jahrelang einfach nicht gemacht, weil es nicht irgendwie en vogue war. Und dementsprechend will diese andere Kultur der Wut, dieses Klima der Angst, was ja auch ein Bushido in diesem Song beschwört, niemand wieder zurückhaben. Und da sind wahnsinnig viele Fragezeichen über den Köpfen der Leute gewesen.
Scholl: Etliche Kritiker haben angemerkt, dass Bushido so auf dem absteigenden Ast sei, was so die Popularität betrifft. Die Alben verkaufen sich nur noch durchschnittlich, die Hallen, in denen er auftritt, werden immer kleiner. Und das hat man so jetzt als die Folge dieses Schmusekurses gefolgert, den Bushido eingeschlagen habe, ein Lied mit Karel Gott hat er zusammen gemacht, Bambi für Integration vor zwei Jahren, ein Praktikum bei der CDU. Meine Güte, was ist denn mit dem los, könnte man ja schon als neutraler Beobachter sagen. Warum dann aber jetzt diese Volte zurück, wenn Sie jetzt, Herr Köhler, auch gerade sagen, dass die Hip-Hop-Gemeinde eigentlich eher auf einem ganz anderen Trip ist, eher auf diesem Trip, wieso dann diese Volte jetzt so zurück in diesen Aggro, in diesen aggressiven Stil?
Köhler: Ich glaube nicht, dass das eine Geschäftsentscheidung war, also dass Bushido damit glaubt, jetzt wieder Plattenverkäufe anzukurbeln. Ich glaube, dass Bushido in den letzten Monaten halt sehr, sehr viel hat einstecken müssen, es gab die ein oder andere Negativschlagzeile über ihn und sein Umfeld, er fühlt sich eventuell – aber das ist rein spekulativ, wir reden da nicht drüber, wir beide, der Bushido und ich –, er fühlt sich in die Ecke gedrängt. Und er ist am Ende des Tages eben Rapper und er ist auch jemand, der selten Spaß versteht, wenn es um seine Kunst, um seine Person geht. Und wenn so jemand sich dann eventuell in die Ecke gedrängt fühlt, dann fängt er an zu keilen. Und wenn so ein Rapper mit diesem Profil anfängt zu keilen, dann klingt das so wie auf "Stress ohne Grund".
Scholl: Bushido macht mal wieder Putz. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Musikjournalisten Daniel Köhler. Sexistische, homophobe, gewaltverherrlichende Texte, das sind die Merkmale des Gangster-Rap, den Bushido flächendeckend populär gemacht hat, auch in Deutschland. Man kann sich drüber aufregen, die Achseln zucken, sind halt dümmliche Posen, sagen. Haben Bushido und Shindy, Herr Köhler, die Sache jetzt aber nicht doch so um eine Schraube oder um eine Drehung der Schraube zu stark überdreht, gibt es hier nicht doch so die demokratische Grenze, die rote Linie, die auch der coolste Rapper einhalten muss, wenn er eben sagt, ja, ich will, dass der jetzt abkratzt?
Köhler: Ich finde das ein sehr, sehr gutes Konzept, dass es keinen Kanon von "Was geht und was nicht" gibt. Ich finde es ein viel besseres Konzept, dass dieser Kanon regelmäßig durch Diskussionen wie diese oder eben auch in der Branche neu definiert wird beziehungsweise noch mal neu bestärkt wird. Was vollkommen klar ist, dass sich auch ein Rapper wie Bushido – und das hat er ja auch leidvoll erfahren dürfen –, sich auf den demokratischen Grundfesten dieser Gesellschaft bewegen muss, darf und es auch weiterhin tun wird. Insofern ist natürlich dieser Song möglicherweise ein Straftatbestand im Fall der Verleumdung. Sollte daraus eine Handlung entstehen, was ich ja vorher als unwahrscheinlich irgendwie ausgeschlossen habe, dann wird es natürlich noch mal ein ganz anderes strafrechtliches Problem.
Aber ja, es gibt natürlich diese Regeln der Gesellschaft, die muss auch ein Bushido akzeptieren. Zeitgleich gibt es aber auch die Regeln der Kunst und wir reden hier von einer Kunstfigur, Bushido, der Rapper. Und da müssen solche Grenzen eben immer wieder neu verhandelt werden.
Scholl: "Was darf Musik", hat heute der Berliner "Tagesspiegel" gefragt, und natürlich auch gemeint, was darf denn Kunst. Und natürlich lautete die liberale Antwort, eigentlich doch alles. Wie ist das aber auch zu bewerten, Herr Köhler, wenn, wie tatsächlich geschehen, Kritiker von Bushido auch durchaus ja mal körperlich bedroht werden? Sie haben es vorhin selber gesagt, Bushido versteht keinen Spaß, wenn man ihn kritisiert, und wenn diese Art der Gewaltlyrik sich ja auch wirklich im persönlichen Umfeld des Künstlers real zeigt, das weiß man ja auch aus regelmäßiger Berichterstattung, dass hier so kriminelle Kreise nicht weit sind, da gehen doch Leben und Kunst schon ziemlich ungut ineinander über!
Köhler: Im Vorfeld von diesem Gespräch haben mich sehr, sehr viele Menschen angerufen und mir gesagt, ich solle vorsichtig sein. Alle diese Menschen hatten selbst keine Kontakte zu diesen Kreisen, die eben eine Gefahr potenziell darstellen können, aber sie haben eine gewisse Sorge. Insofern ist da natürlich eine Grenze überschritten, wenn man Meinungsfreiheit und den Diskurs nicht mehr offen und geschützt irgendwie führen kann, sondern wenn man die Sorge haben muss, dass irgendjemand mit einem Baseballschläger in der Ecke steht.
Scholl: Das heißt, Leute haben Sie direkt angerufen und gesagt, hey, Daniel, pass auf, was du im Deutschlandradio Kultur über Bushido sagst, nachher kriegst du Besuch?
Köhler: Ja. Und natürlich ist das auch eine Spekulation, weil die wissen das natürlich genauso wenig wie ich, und aber natürlich irritiert das. Und da ist eine Grenze überschritten, denn es geht nicht an – um noch mal auf diese Deutschrapszene 2013 zurückzukommen –, dass ein Einzelner tatsächlich eine komplette Geisteshaltung, die ich persönlich als sehr viel wertvoller einschätze als das, was Bushido repräsentiert, über den Haufen wirft und nun komplett dominiert.
Scholl: Wäre es dann aber so gesehen nicht mal ganz gut, wenn das System einfach sagt, okay, hier sind Grenzen verletzt, hier ist die demokratische sozusagen Grundordnung verletzt, und nun müssen wir Bushido mal ganz demokratisch richtig eins überbraten, genauso wie einem Neonazi, der zum Judenhass aufruft, eben einem Rapper, der hier Gewalt predigt? Oder ginge das genau nach hinten los?
Köhler: Ja, ich glaube, Bushido hat da ja durchaus schon seine Erfahrungen gesammelt. Das ist ja auch … Ich gehe davon aus, dass dieser Song indiziert werden wird, das wird sicher nicht der erste Song gewesen sein, der von Bushido indiziert werden wird, wir haben das Ergebnis, dass er ja konstant weiter macht. Der Sieg, den Bushido davonträgt, ist genau so eine Gesprächsrunde wie diese hier, sind diese Schlagzeilen an den Kiosken. Am Ende des Tages glaube ich, dass das System tatsächlich sich in Geduld und Toleranz üben muss und gleichzeitig aber auch ganz klar den Finger in die Wunde legen muss und sagen, nein, übrigens, so nicht! Und am Ende des Tages wird die Relevanz von Bushido dann am Ende die Antwort geben. Und die ist, wie Sie vorher auch schon richtig gesagt haben, aktuell, im Vergleich zu der aktuellen deutschen Rapszene vergleichbar gering.
Scholl: Was darf die Kunst, was darf ein Bushido, wann reicht’s? Das war der Musikjournalist Daniel Köhler. Danke schön, dass Sie da waren.
Köhler: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.