Rasende Reiselust
38 Stationen auf sechzig Textseiten: Seine Fahrt von Leipzig nach Göttingen beschreibt Frank Fischer leicht und beschwingt. Sein Wissen und seine Belesenheit zwischen Luther, Nietzsche und Tarantino vermittelt er dabei quasi im Vorbeirasen.
Vor mehr als 180 Jahren wanderte Heinrich Heine von Göttingen nach Ilsenburg im Harz. Das Ergebnis: sein erstes Buch, die "Harzreise", ein spöttischer Reisebericht, voller Ironie aber auch genauer und romantischer Naturbeobachtungen. Frank Fischer hatte es eiliger als Heinrich Heine: Er wanderte nicht, er durcheilte den Südharz auf der Autobahn: 24 Stunden verbrachte er auf und neben der Autobahn A 38, die über 219 Kilometer von Leipzig nach Göttingen führt. Das Ziel: Alle Sehenswürdigkeiten besuchen, die am Weg liegen.
Fischer nennt sein Vorhaben "abstrakten Tourismus", und er beruft sich auf zwei berühmte französische Vorbilder: Zum einen auf Godards Film "Bande à part", in dem die "Außenseiterbande" in nur neun Minuten und 43 Sekunden durch den gesamten Louvre rennt. Zum anderen, bei einem kurzem Stopp am Rastplatz Pösgraben, auf Julio Cortázar und Carol Dunlop. Die hatten im Frühsommer 1982 eine 33-tägige Reise von Paris nach Marseille in einem VW-Bus unternommen, dabei jeden der 65 Rastplätze angefahren und auf jedem zweiten übernachtet.
Im Gegensatz zu diesen hält Fischer sich nicht lange auf Rastplätzen auf. Er hat eine Mission: "Wo ein Denkmal steht, muss man natürlich hin", heißt das Motto des Buches. Der Autor nimmt es ernst und klappert Denkmäler und Kuriositäten ab, beobachtet genau und macht sich seine Gedanken. Er besitzt einen schönen lakonischen Ton, oft ironisch, der zum schnellen Lesen verführt – genauso wie er die Sehenswürdigkeiten abreiste oder, besser gesagt, abraste.
Fischer besucht das Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig; Europas größte Pyramide, die in einem natürlich nachts geschlossenen Freizeitpark steht, und den Ort Lützen, den alle Schweden kennen, da dort Gustav II Adolf im Dreißigjährigen Krieg gefallen ist. Ein Abstecher führt nach Poserna, wo Johann Gottfried Seume geboren wurde. Eine Fülle von Geschichten und Personen begegnet dem Leser: Unter andern kommen Luther und Müntzer vor, Faust und Barbarossa, Baselitz, Nietzsche und Quentin Tarantino.
Fischer besichtigt Plattenbauten in Halle – im Vorbeifahren –, den Kyffhäuser, wo er anstatt über Barbarossa über den zwei konkurrierende Bratwurstbuden (biologische Würste oder solche aus konventioneller Herstellung) schreibt. Er widmet der von ihm so genannten Nietzsche-Tankstelle, die dort steht, wo Nietzsche einst lebte, genauso viel Zeit wie dessen Grab in Röcken – beiden geschätzte drei Minuten.
Nicht länger dauert auch sein Aufenthalt am Grab von Novalis in Weißenfels, zu dem auch einst Hedwig Courths-Mahler pilgerte. Sie habe dort nach eigener Aussage ihre "Fantasie in das Land der Träume versetzt" und danach, so Fischer, offenbar aufgrund dieser fehlgeleiteten Novalis-Rezeption, über zweihundert Schmonzetten verfasst.
Insgesamt sind es 38 Stationen, die auf etwa sechzig Seiten Text vorgestellt werden, mit ebenso viel Eigensinn wie historischem Hintergrund. Das Buch kommt dabei so leicht und beschwingt daher, dass man gar nicht merkt, was alles an Wissen und Belesenheit in diesem Text steckt.
Besprochen von Günther Wessel
Frank Fischer: Die Südharzreise. Abstrakter Tourismus zwischen Leipzig und Göttingen
Mit einem Nachwort von David Woodward und Fotos von Andreas Vogel
Sukultur Verlag, Berlin 2010, 10,00 Euro
Fischer nennt sein Vorhaben "abstrakten Tourismus", und er beruft sich auf zwei berühmte französische Vorbilder: Zum einen auf Godards Film "Bande à part", in dem die "Außenseiterbande" in nur neun Minuten und 43 Sekunden durch den gesamten Louvre rennt. Zum anderen, bei einem kurzem Stopp am Rastplatz Pösgraben, auf Julio Cortázar und Carol Dunlop. Die hatten im Frühsommer 1982 eine 33-tägige Reise von Paris nach Marseille in einem VW-Bus unternommen, dabei jeden der 65 Rastplätze angefahren und auf jedem zweiten übernachtet.
Im Gegensatz zu diesen hält Fischer sich nicht lange auf Rastplätzen auf. Er hat eine Mission: "Wo ein Denkmal steht, muss man natürlich hin", heißt das Motto des Buches. Der Autor nimmt es ernst und klappert Denkmäler und Kuriositäten ab, beobachtet genau und macht sich seine Gedanken. Er besitzt einen schönen lakonischen Ton, oft ironisch, der zum schnellen Lesen verführt – genauso wie er die Sehenswürdigkeiten abreiste oder, besser gesagt, abraste.
Fischer besucht das Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig; Europas größte Pyramide, die in einem natürlich nachts geschlossenen Freizeitpark steht, und den Ort Lützen, den alle Schweden kennen, da dort Gustav II Adolf im Dreißigjährigen Krieg gefallen ist. Ein Abstecher führt nach Poserna, wo Johann Gottfried Seume geboren wurde. Eine Fülle von Geschichten und Personen begegnet dem Leser: Unter andern kommen Luther und Müntzer vor, Faust und Barbarossa, Baselitz, Nietzsche und Quentin Tarantino.
Fischer besichtigt Plattenbauten in Halle – im Vorbeifahren –, den Kyffhäuser, wo er anstatt über Barbarossa über den zwei konkurrierende Bratwurstbuden (biologische Würste oder solche aus konventioneller Herstellung) schreibt. Er widmet der von ihm so genannten Nietzsche-Tankstelle, die dort steht, wo Nietzsche einst lebte, genauso viel Zeit wie dessen Grab in Röcken – beiden geschätzte drei Minuten.
Nicht länger dauert auch sein Aufenthalt am Grab von Novalis in Weißenfels, zu dem auch einst Hedwig Courths-Mahler pilgerte. Sie habe dort nach eigener Aussage ihre "Fantasie in das Land der Träume versetzt" und danach, so Fischer, offenbar aufgrund dieser fehlgeleiteten Novalis-Rezeption, über zweihundert Schmonzetten verfasst.
Insgesamt sind es 38 Stationen, die auf etwa sechzig Seiten Text vorgestellt werden, mit ebenso viel Eigensinn wie historischem Hintergrund. Das Buch kommt dabei so leicht und beschwingt daher, dass man gar nicht merkt, was alles an Wissen und Belesenheit in diesem Text steckt.
Besprochen von Günther Wessel
Frank Fischer: Die Südharzreise. Abstrakter Tourismus zwischen Leipzig und Göttingen
Mit einem Nachwort von David Woodward und Fotos von Andreas Vogel
Sukultur Verlag, Berlin 2010, 10,00 Euro