Rasha Abbas: "Eine Zusammenfassung von allem, was war"

Eine Wirklichkeit mit absurden Zügen

Szene aus Ost-Ghuta: Die syrische Schriftstellerin Rasha Abbas schreibt auf Deutsch über ihr Heimatland.
Szene aus Ost-Ghuta: Die syrische Schriftstellerin Rasha Abbas schreibt auf Deutsch über ihr Heimatland. © Samer Bouidani / dpa; mikrotext
Von Sigrid Brinkmann |
Das Grauen wird Sprache: 21 Kurzgeschichten versammelt der Band "Eine Zusammenfassung von allem, was war" der in Deutschland lebenden Syrerin Rasha Abbas. Sie fängt darin die furchterregende Wirklichkeit ihres verlassenen Geburtslandes ein.
"Was uns zerbricht, das rettet uns." Das ist der erste Satz im neuen Buch von Rasha Abbas. Innerlich spricht man zu dieser unerschütterlich klingenden Grundüberzeugung Hölderlins viel zitierte Verse "Wo aber Gefahr ist / wächst das Rettende auch" aus der "Patmos"-Hymne mit und ist fast ein wenig konsterniert, dass die Autorin die Schwere der gerade formulierten Gewissheit nonchalant auflöst. Sie setzt ein ironisches "Amen" nach, und das ist ein klarer Fingerzeig: Abbas will die schmerzhaften, traumatischen Offenbarungen ihrer fiktiven Figuren nicht nutzen, um über das Leben im Allgemeinen oder das Leben im Krieg zu dozieren. Dennoch sickert das Grauen ein.

Die heute 34 Jahre alte Autorin konnte Syrien 2013 legal verlassen. Erst siedelte sie nach Beirut über, dann reiste sie mit einem Stipendium nach Stuttgart und beantragte nach Ablauf des Visums Asyl. Von nun an ein Flüchtling unter anderen, unterschied sie sich durch den Witz, mit dem sie den neuen Alltag verarbeitete. Nach der Kurzgeschichtensammlung "Die Erfindung der deutschen Grammatik" war es nun offenbar nötig, die furchterregende Wirklichkeit des verlassenen Geburtslandes einzufangen – in Form von legendenhaften Miniaturen, Gebeten, ins Absurde getriebenen Schilderungen und Monologen wie in der ersten Erzählung "Sie können mich Samt nennen". Ein namenloses Ich tritt uns als ungeliebtes Kind entgegen, als Frau, die aus verschiedenen Berufen fiel, als ein auf der Straße lebender, gepiercter Freak, der es auf sich nimmt, die Einsamkeit "zur Erlösung der Anderen" zu schultern. Nicht Atlas, sondern "Samt" schleppt sich durch die Welt und stützt sie.

"Mit Gebetsgefummel und Teetrinken"

Die Figuren der 21 Geschichten haben in menschliche Abgründe geschaut, und die Autorin zeigt, wie sie sich dem Vernichtungswillen anderer mithilfe ihrer Vorstellungskraft widersetzen. In einem "ägyptischen Knast" erlebt ein Jugendlicher, dass andere Männer sich an seiner statt vergewaltigen lassen wollen, weil sie Mitleid haben; nach dem Aufwachen zieht jemand die Vorhänge auf und entdeckt auf dem Fenstersims einen abgetrennten Glatzkopf, der "mit entspannt geschlossenen Lidern auf einem edlen Blumentopf sitzt". Die Wirklichkeit, wie Abbas sie schildert, erscheint oft wahnhaft verzerrt und abstoßend im Detail. Anmerkungen im Text zeigen, dass sie eine Fantasie wie die vom Skalp im Blumentopf einer über tausend Jahre alten Legende über den letzten Herrscher der Abbadiden-Dynastie entlehnt hat.

Es gibt in diesem Band slapstickhafte Szenen wie die, in der eine hagere, rauchende Frau eine andere mühelos in die Höhe hebt und im Kreis stehenden Männern zuwirft – niemand ist geschützt, wenn er inmitten eines "verderbten Volkes" lebt- , und verstörende Texte wie das "Manifest des absoluten Hasses". Die Autorin schlüpft in den Kopf eines Vaters, der seine Tochter monatelang in einem Keller gefangen gehalten und ihren Tod verursacht haben soll. Aber waren es nicht eher die Folterknechte, die das Kind zu Tode gequält hatten? Die Welt ist finster und voller Väter, die "mit Gebetsgefummel und Teetrinken", vor allem aber mit ostentativer Gleichgültigkeit ihren Kindern und Frauen ohne Not die Hölle auf Erden bereiten. Als wäre das von einem politischen Despoten zu verantwortende Leid, das Millionen ertragen müssen, nicht genug. Für Rasha Abbas muss es einfach an der Zeit gewesen sein, dieses bedrückende Buch zu schreiben.
Rasha Abbas: Eine Zusammenfassung von allem, was war. Erzählungen
Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl
mikrotext, Berlin 2018
168 Seiten, 20,99 Euro
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