Straßenbau in den USA

Der Rassismus der Highways und Freeways

30:04 Minuten
Die Route 66 im Hintergrund blauer Himmel
Die Route 66: ein Endlosband aus Asphalt und für viele ein Symbol der Freiheit. © picture alliance / Zoonar / Paolo Gallo
Von Arndt Peltner |
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Was die USA zusammenrücken ließ, war der Bau eines umfangreichen Highway- und Freeway-Netzes in den 50ern und 60ern. Bei deren Bau wurden jedoch schwarze Wohnviertel oft benachteiligt und abgehängt. Heute wird darüber diskutiert.

Get your motor runnin'
Head out on the highway
Looking for adventure
In whatever comes our way

“Born to be wild” von Steppenwolf

Steppenwolfs Highway-Hymne “Born to Be Wild” hat ein Bild des amerikanischen Highway- und Freeway-Systems gezeichnet, das bis heute unsere Vorstellung prägt: Freiheit, Weite, ein Blick, der Hundert Meilen weit reichen kann, ein Endlosband aus Asphalt, das sich quer durch Amerika zieht. Aber – das ist nicht die ganze Wirklichkeit…
Auf vielen Autofahrten mit meinem alten VW-Bus von Oakland, wo ich wohne, in die Upper Peninsula von Michigan – 3.500 Kilometer – war ich immer wieder aufs Neue von diesem Gefühl erfasst: Der Horizont öffnet sich. Den Tempomat auf 70 Meilen pro Stunde eingestellt, hinaus in die Weiten, den Gedanken freien Lauf lassen.
Es gibt Streckenabschnitte, da fährt und fährt man, kein anderer Wagen weit und breit, niemand überholt einen, niemand kommt einem entgegen. Auf dem UKW-Band im Radio nur noch Rauschen, über die Mittelwelle gibt es noch ein paar Stationen: Farm Talk, Gun Talk, Oldies und eine Station mit Mariachi Musik. Ein Gefühl von Freiheit, der Traum von Amerika.

Über Berge, durch Wüsten und Wälder

Auf den langen Highways lernt man Amerika kennen. Meile um Meile fährt man die Strecke, die einfach nicht enden will, über Berge, durch Wüsten und riesige Waldgebiete, und ich frage mich, wie einst die Siedler hier vorankamen auf ihren Pferdewagen ohne Straßen, Wege, querfeldein, nicht wissend, was noch alles kommen wird. Noch heute ist es beschwerlich.
Wenn ich mich in Oakland auf den Interstate 80 einfädele, bleibe ich bis in den Osten von Nevada auf dem 80er. Der Highway 93 kreuzt den Freeway, ein paar Tankstellen, ein paar Fast-Food-Restaurants. Nach Norden, nach Idaho, vor Twin Falls weiter nach Osten. Blackfoot, Idaho Falls, Big Sky, der Yellowstone Nationalpark. Bei Bozeman auf den Interstate 90, 800 Meilen geradeaus durch Montana, North Dakota bis nach Minnesota.

It's a long lonely highway when you're travellin' all alone
And it's a mean old world when you got no-one to call your own
And you pass through towns too small to even have a name, oh yes
But you gotta keep on goin', on that road to nowhere
Gotta keep on goin', though there's no-one to care
Just keep movin' down the line

„(It's A) Long Lonely Highway“ von Elvis Presley

Von Oakland nach Michigan brauche ich etwa 40 Stunden für die 3.500 Kilometer lange Strecke. Tanken, mit dem Hund ein paar Schritte gehen, Power Naps, 30 bis 45 Minuten Schlaf, dann geht es weiter. Das Straßensystem ist gut ausgebaut, der Verkehr minimal. Ballungsräume umfahre ich.
Auch wenn man auf allen Highways und den meisten Freeways eine Geschwindigkeitsbegrenzung hat, kommt man doch gut voran. Das Straßensystem verbindet hervorragend fast alle Ecken in diesem gewaltigen Land. Es ist ein System mit Plan.

Ausbau des Straßennetzes nach 1956

1956 wurde der sogenannte “National Interstate Defense and Highways Act” verabschiedet: das bis dahin größte Straßenbau-Projekt in der amerikanischen Geschichte. Mit damals unglaublichen 25 Milliarden Dollar sollten innerhalb von zehn Jahren mehr als 66.000 Kilometer Freeways und Highways, Schnell- und Landstraßen, kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten gebaut werden. Ein Netzwerk an Straßen, das die amerikanischen Metropolen miteinander verbinden sollte.

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Bewusst wurde in diesem Gesetz das Wort Defense, Verteidigung, genannt, denn zum einen wurden für das Freeway-Projekt Gelder aus dem Verteidigungshaushalt genutzt. Zum anderen wurden fast alle kontinentalen Luftwaffenstützpunkte in den USA an dieses Netz angeschlossen, um im Falle eines ballistischen oder atomaren Angriffs durch die Sowjetunion schnell reagieren zu können.

Militärische Gründe für einen Straßenausbau

In einer Mitteilung an den Kongress am 22. Februar 1955 begründete Präsident Dwight D. Eisenhower die Notwendigkeit eines weitreichenden Aufbaus eines Freeway- und Highway-Netzes in den USA auch mit militärischen Gründen.

Im Falle eines atomaren Angriffes auf unsere wichtigen Städte muss das Straßennetz eine schnelle Evakuierung der Zielgegenden erlauben, die Mobilisierung der Verteidigungseinheiten und den Unterhalt jeglicher wichtiger Wirtschaftseinrichtungen. Aber das gegenwärtige System in den kritischen Gebieten wäre ein Brutkasten für eine Verstopfung innerhalb weniger Stunden nach einem Angriff.

Dwight D. Eisenhower

Eisenhowers Begeisterung für ein US-weites und verbindendes Freeway-System ist auf seine persönlichen Erfahrungen zurückzuführen. Eisenhower nahm im Jahr 1919 als 28-jähriger Lieutenant Colonel am ersten “Transcontinental Motor Convoy” der US Army von Washington DC nach San Francisco teil. Abfahrt war am 7. Juli, Ankunft am 6. September. 62 Tage “on the road” für eine Distanz, die heute in 42 Stunden abgefahren werden kann.
Für einen Besucher seines Londoner Hauptquartiers veranschaulicht Generalleutnant Dwight D. Eisenhower, der die Streitkräfte der US-Armee im Europäischen Kriegsschauplatz befehligt, etwas auf einer an der Wand hängenden Karte.
Auch seine Erfahrungen während des Kriegs in Deutschland (hier im Londoner Hauptquartier) ließen Eisenhower das Straßennetz in den USA ausbauen.© picture alliance / AP
Es ging damals über den Lincoln Highway, dem ersten für Autos konzipierten Highway, von Küste zu Küste. Eine beschwerliche Reise auf einer holprigen Piste durch 13 Bundesstaaten, auf der unterwegs für den Konvoi Brücken stabilisiert, Fahrzeuge aus dem Schlamm gezogen und, aufgrund der schlechten Fahrbahn, mehrmals repariert werden mussten.
Dann waren da auch noch seine Erfahrungen im einstigen Feindesland Deutschland. „Der alte Konvoi ließ mich über die guten zweispurigen Highways nachdenken, aber in Deutschland habe ich die Klugheit eines weiten Bandes im ganzen Land gesehen“, schreibt er in seinem 1967 veröffentlichen Buch “At Ease: Stories I Tell to Friends“ im Kapitel "Through Darkest America With Truck and Tank".

Die USA als Auto-Nation

Die Vereinigten Staaten hatten sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges grundlegend verändert. Aus Amerika wurde eine Auto-Nation, die auch durch die sogenannte G.I. Bill gefördert wurde. Der amerikanische Kongress hatte 1944 ein Gesetz verabschiedet, das Weltkriegsveteranen nach ihrer Rückkehr finanziell helfen sollte – durch Arbeitslosenunterstützung, billige Kredite für den Hauskauf und die Geschäftsgründung, dazu noch die Übernahme von Studiengebühren.

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Dieses Gesetz begünstigte allerdings nicht alle Kriegsheimkehrer auf gleiche Weise. Denn es orientierte sich noch an den Jim-Crow-Gesetzen, jene Rassengesetze in vielen amerikanischen Bundesstaaten, die nach dem amerikanischen Bürgerkrieg eine strikte Trennung zwischen Weißen und Afro-Amerikanern besiegelt hatten. Das Ergebnis war, dass die G.I. Bill vor allem weißen Kriegsrückkehrern half, Afro-Amerikaner hingegen gingen meist leer aus.
Das hatte zur Folge, dass Schwarze in den USA wirtschaftlich weiter abgehängt wurden, viele Weiße hingegen zogen mit ihren Familien in die Vorstädte, um in einem neu gebauten Eigenheim den überfüllten Großstädten den Rücken zuzukehren, wie Ben Crowther von der gemeinnützigen Organisation “The Congress for the New Urbanism”, einer Gruppe von Stadtplanern, erklärt. Die Stadtplanung sei erheblich in den 1950er-Jahre gewachsen. „Die Ideen, die das befördert haben, standen für einen neuen Lebensstil, das Vorstadtleben zu fördern. Diese Idee, dass es da eine mögliche Trennung zwischen dem Ort, an dem du arbeitest, und dem, wo du wohnst, existiert.“
Cabriostau am Daytona Beach in Florida um 1959.
Die USA, ein Land der Autofahrerinnen und -fahrer: Cabriostau am Daytona Beach in Florida um 1959.© picture alliance / United Archives / Erich Andres
Zur gleichen Zeit seien dieser Gedanke auch damit verbunden gewesen, dass das Vorstadtleben vor allem ein weißer Lebensstil sei: weißes Vorstadtleben auf Kosten anderer Communitys, vor allem farbiger Communitys, die ihnen im Weg standen. „So entstanden Methoden wie das Red Lining, auch wenn es das schon seit den 30er-Jahren gab. Aber dadurch bekamen wir auch unser Highway- und Interstate-System in den Städten.“

Benachteiligung afro-amerikanischer Viertel

Red Lining: Der Begriff steht für eine imaginäre Stacheldrahtziehung in den US-amerikanischen Städten und Gemeinden, die über Jahrzehnte vor allem für Afro-Amerikaner zu einer unsichtbaren, aber spürbaren Realität wurde. Die Regierung in Washington hatte durch den sogenannten “National Housing Act” von 1934 Nachbarschaften in unterschiedliche Bereiche unterteilt.
Der Buchstabe A stand für eine rein weiße Nachbarschaft, erstrebenswert für die Mittelklasse. Schon eine farbige Familie in der Gegend drückte den Grad von A auf B, und das hatte dramatische Folgen, denn die Stadtteile unterhalb von A wurden gezielt benachteiligt. So wurden Afro-Amerikaner in Stadtteile gedrängt, in denen es schwieriger war, Hypotheken oder Versicherungen zu bekommen, wo weniger geschäftliche und städtebauliche Investitionen getätigt wurden.
Diese Nachbarschaften fielen im Vergleich zu den weißen Stadtteilen und Vorstädten zurück. Bis in die 1970er-Jahre blieb diese Form der urbanen Diskriminierung gängige Praxis, mit Folgen bis heute.

Highwaybau mit Folgen

„Wenn wir uns den Bau der Highways ansehen, da wurden Verläufe der Straßen vor allem aus rassistischen Gründen gewählt, von rassistischen Autobahnbauern“, sagt Ben Crowther. „Es wurde ein System etabliert, dass ein Straßenplaner sich den Weg auswählt, wo es den geringsten Widerstand zu befürchten gibt, sowohl aus finanzieller wie auch politischer Sicht.“ Mit die größten Kosten eines Straßenbauers lägen im Erwerb von Land durch Entschädigungszahlungen bei Enteignung. „Deshalb traf es gerade jene Nachbarschaften, in denen die Häuser von Farbigen aufgrund des Red Linings sowieso schon abgewertet worden waren. Wenn man sich also nach dem billigsten Land umsieht, dann ist es genau hier, genau in diesen Nachbarschaften.“ Der geringste finanzielle Widerstand für Highway-Bauer.
„Auch politisch betrachtet gab es hier in den 50er- und 60er-Jahren keine einflussreichen Kräfte, die sich für diese Nachbarschaften einsetzten, wenn ihre Häuser schlichtweg im Weg eines geplanten Highways standen. Das alles führte zu dem Highway Netz, das wir heute haben, das beim Bau großen Schaden angerichtet hat und noch immer die gleichen Stadtteile belastet und auch die Nachfahren von denen, die damals schon dort waren.“

Freeways für die weißen Vorstädter

Diese Freeway-Geschichte beginnt mit dem Zweiten Weltkrieg. „Die Freeways wurden gebaut, um Panzer schnell von einer Stadt zur anderen transportieren zu können, und dann auch noch, wie man in West-Oakland sehen kann, weil eine Menge Leute, die Geld hatten und weiß waren und woanders leben durften, wegzogen, in die Vorstädte, wie Hayward, San Leandro, Pleasanton oder Walnut Creek. Sie brauchten eine schnelle Verbindung in die Stadt, nach Oakland und San Francisco“, sagt Quinton Sankofa. Er ist “Community Organizer”, Aktivist für ein gerechteres Leben im kalifornischen Oakland. Gerade die ehemalige “Black Town”, wie Oakland aufgrund seiner großen afro-amerikanischen Bevölkerungsgruppe lange Zeit genannt wurde, war davon betroffen.
Die Freeways wurden also gebaut, um die Vorstädte mit den Innenstädten zu verbinden, die überall im Land ziemlich schwarz waren, betont Sankofa. „Das findet man wirklich überall in den USA. Die armen Schwarzen blieben in West-Oakland. Die Weißen mit Geld zogen weg nach draußen. Das waren die Gründe.“
Die Freeways wurden also so geplant, „dass sie direkt durch West-Oakland gezogen wurden“, direkt durch die 7th Street, das schwarze Kulturviertel von Oakland. „Von hier kam dieser wundervolle Jazz, die Kunst und Kultur, die die Leute heute mit Oakland in Verbindung bringen. Das alles war in den 50er-Jahren, als Amerika diesen Vorstadttraum träumte und mit riesigen Geldmengen befeuerte. Aber kein Geld wurde in die Innenstädte investiert.“

Zerstörte, abgehängte Viertel

West-Oakland beginnt direkt hinter der Bay Bridge, die San Francisco und Oakland verbindet, gleich neben dem Hafen und der Kläranlage. Der 580er Richtung Osten ins Central Valley und der 880er Richtung Süden nach San Jose teilen sich hier und werden um West-Oakland herumgeführt. Dann kommt da noch der 980er, der gerade mal zwei Meilen lang ist und die Freeways 580 und 880 parallel zu Downtown verbindet.
Gerade dieser 980er trennt die historisch afro-amerikanische Nachbarschaft in West-Oakland vom Stadtzentrum. Ein Freeway, der gigantisch wirkt und schon seit langem als völlig überflüssig angesehen wird. „Ein fünfspuriger Freeway, der ursprünglich einmal als Zubringer zu einer weiteren Trans Bay Brücke gedacht war, die aber nie gebaut wurde“, wie ihn Stadtplaner Chris Sensening beschreibt.
Die ursprünglichen Pläne für diesen innerstädtischen Freeway wirken gigantisch und wie die Hirngespinste von entfesselten Stadtplanern. Der 980er sollte ein Zubringer zu einer ganz neuen und nie gebauten Brücke werden, die Oakland mit dem südlichen Teil von San Francisco verbinden und die 1936 erbaute Bay Bridge entlasten sollte. Eine Brücke, die Oakland noch mehr zerklüftet und belastet hätte.

Cruising down the highway
In my fine machine
Lake pipes really singing
The engine sounds real mean

Sound is a gas
Sound is a gas

Well, I can hardly wait
To hear that big V8
Ooh, I can hardly wait
Yeah, yeah, yeah

„Cruisin’ Down The Highway“ von The James Gang

Nur vier Straßenblocks vom 980er Freeway entfernt steht das gewaltige Rathaus von Oakland. Hier im zweiten Stockwerk hat Bürgermeisterin Libby Schaaf ihr Büro. Sie ist in Oakland geboren, aufgewachsen, ist eine enge Vertraute von Vize-Präsidentin Kamala Harris.
Schaaf hat hier in Oakland Karriere gemacht. Doch erst als sie 2014 ins Rathaus einzog, wurde sie auf das gewaltige Nachbarschaftsproblem des 980ers aufmerksam gemacht. „Wenn man sich den 980er ansieht, ist das deprimierend“, sagt sie. Er verlaufe vertieft und erinnere sie so an einen Burggraben. „Als jemand, der die hässliche Geschichte dieser und vieler anderer Städte in Amerika kennt, sah das für mich immer wie ein rassistischer Graben aus, der Downtown vor der schwarzen Nachbarschaft von West-Oakland schützte. Interessanterweise wurde es ja als ein Zubringer zu einer weiteren Brücke gebaut, die es aber nie gab. So gibt es auf diesem Freeway sehr wenig Verkehr. Er wird nicht gebraucht. Da ist eine nicht notwendige Narbe auf dem Angesicht meiner geliebten Stadt.“

Vom Highway ins Shopping-Center

Stadtplaner Chris Sensening kennt die Geschichte des 980ers nur zu gut, einem Freeway, der bereits in den frühen 1960er-Jahren geplant und nach vielen Verzögerungen und Gerichtsurteilen endlich 1985 fertig gestellt wurde, zu einer Zeit, als schon klar war, dass er nicht länger gebraucht wird. Die eigentlichen Pläne für diese Stadtautobahn waren allerdings ganz andere. Es sollte ein ganz neues und überdachtes Einkaufszentrum in Downtown entstehen. „Das Shopping-Center habe viele Jobs versprochen. Die Politik und auch etliche Nachbarschaftsgruppen, die ursprünglich dagegen waren, stimmten schließlich für den Bau des Freeways.“
Oaklands Bürgermeisterin Libby Schaaf mit San Franciscos Bürgermeisterin London Breed auf einem Flugfeld. Beide Frauen lächeln freundlich.
Oaklands Bürgermeisterin Libby Schaaf (l) mit San Franciscos Bürgermeisterin London Breed (r): Schaaf spricht sich für den Rückbau rassistischer Infrastruktur aus.© picture alliance / abaca / Pool
Es sei also „eine Geschichte von Macht und Hoffnung“, so Sensening, „die am Ende dazu führte, dass der Freeway gebaut und West-Oakland von Downtown abgespalten wurde.“ Das Einkaufszentrum wurde nie gebaut. „Die Idee für diese Mall war sowieso etwas, was der Stadt nicht viel gebracht hätte. Es war wie ein Stück Gold, das den Leuten vorgehalten wurde, aber eigentlich nicht für die Menschen in Oakland gedacht war. Die Rampen vom und zum Freeway sollten direkt in ein unterirdisches Parkhaus führen. Das ist eines dieser Beispiele dafür, wie man die vermögenderen, weißen Vorstädte von den Innenstädten trennt.“

Diskussionen über Fehler bei Stadtplanung

Von der tiefergelegten Autobahn direkt in den Shopping-Tempel, niemand hätte die Straßen der Afro-Amerikaner in West-Oakland auch nur sehen müssen. Der 980er sollte der Zubringer-Freeway für all jene sein, die östlich von Oakland in den Vorstädten Orinda, Moraga, Walnut Creek und Danville lebten. Doch weder das riesige Einkaufszentrum, noch die zweite Brücke wurden realisiert.
Der Freeway hingegen wurde gebaut. Häuser wurden abgerissen oder versetzt, am Ende blieb diese gewaltige bauliche Narbe im Herzen der Stadt, wie es Bürgermeisterin Libby Schaaf beschreibt. „Ich wuchs zu einer Zeit in Oakland auf, als sie noch als eine schwarze Stadt gesehen wurde. Als ich jung war, gab es diesen White Flight, den weißen Auszug.“ Damals habe es nicht das Bewusstsein für getrennte und weiße Nachbarschaften gegeben. „Aber es wird ganz klar, wenn man sich mehr mit der Geschichte der rassistischen Auflagen bei Immobilien beschäftigt, die es auch für viele Häuser in Oakland gegeben hat und die zeigen, wie die Regierung selbst Teil des Rassismus, der Segregation und der Diskriminierung war. Ich hätte nie gedacht, dass ich in den nahezu acht Jahren, die ich nun Bürgermeisterin bin, an den Punkt kommen, an dem wir in aller Breite über den Rückbau eines rassistischen Freeways sprechen, der nur dazu da war, zu trennen und zu spalten.“

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Libby Schaaf verweist auf eine breite Diskussion, die erst kürzlich begonnen hat. Nicht nur in Oakland, sondern in vielen Städten der USA: in New York, Minneapolis, Detroit, Miami oder auch in New Orleans.
Nach Jahrzehnten wird nun über die Auswirkungen dieser innerstädtischen Freeways immer öfter berichtet. Darüber, dass Stadtplaner in den 50er- und 60er-Jahren Freeways von den Innenstädten in die Vororte zogen, ohne Rücksicht auf bestehende und gewachsene, vor allem afro-amerikanische Nachbarschaften. Diese Debatte hat in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen.

Black Lives Matter stärkt die Diskussion

„Man kann schon sagen, dass der Katalysator dafür George Floyd und die Black Lives Matter Bewegung waren“, sagt Nate Miley, der seit 2001 Supervisor für den Bezirk Alameda mit Oakland als größte Stadt ist. Er legt seit langem den Finger in die historischen Wunden. „Ich denke schon, dass das der Auslöser war, der alles in Bewegung setzte. Aber da gab es auch schon ein Fundament, das sich über die Zeit aufgebaut hatte.“ Die Bürgerrechtsbewegung und andere Ereignisse, die auf die Diskriminierung und historischen Fehler hinwiesen. „Martin Luther King hat es einmal so ausgedrückt: Der Bogen des moralischen Universums ist lang, aber er beugt sich der Gerechtigkeit zu. Das glaube ich auch, das passiert gerade. Er beugt sich weiter. George Floyd und die Black Lives Matter Bewegung sind nur ein weiterer Push, um geschichtliche Fehler zu erkennen und zu sehen, ob man diese angehen kann.“
Aber auch die historischen Fehler in der Stadtplanung, die mit dem Bau von mehrspurigen Freeways durch afro-amerikanische Nachbarschaften zementiert wurden, sind politische Streitthemen in den USA geworden. Fox News etwa, der konservative, Trump-affine Nachrichtenkanal, sieht in diesen Strukturen der Stadtplanung keinen Rassismus.
Der Freeway 980 ist nicht das einzige Problem in West-Oakland. Der Stadtteil ist von Autobahnen umrahmt: 880er, 580er, dazu kommen die Bart, die regionale U-Bahn, die hier oberirdisch lautstark durch die Nachbarschaft geführt wird. Da ist auch noch der Hafen von Oakland, einer der größten an der amerikanischen Westküste. Rund um die Uhr werden hier die Containerschiffe abgefertigt, donnern Lastwagen mit Überseecontainern über die Straßen, ziehen lange Güterzüge vorbei. Dann ist hier auch noch das große Postverteilzentrum gegen den Widerstand der Bevölkerung angesiedelt worden, auch das bringt verstärkt Trucks nach West-Oakland.

Atemwegserkrankungen wegen der Abgase

Der Stadtteil gilt durch die Autobahnen und die Diesel Abgase der Schiffe und der LKW als besonders betroffen, wenn es um Luftverschmutzung in Oakland geht. Die Folge: mehr Asthma und Atemwegserkrankungen. Hilferufe aus der Nachbarschaft wurden immer wieder übergangen. Bei jeder großen Baumaßnahme wurde der Black Community versprochen, dass damit Jobs in die Nachbarschaft kommen würden, doch jedes Mal verdienten vor allem andere.
Schlepper und Containerschiff im Hafen von Oakland
Von den Abgasen der Containerschiffe im Hafen von Oakland ist vor allem die afro-amerikanische Community betroffen.© picture alliance / Bildagentur-online / Blend Images / Tom Paiva Photography
Supervisor Nate Miley sieht den Kampf gegen den 980er als einen Nebenschauplatz, der für ihn als Lokalpolitiker nicht die große Priorität hat. „Es wäre sicherlich mehr symbolisch, denn allein der Rückbau des Freeways würde ja nicht an die Wurzeln des Rassismus und der Ungerechtigkeit gehen“, sagt er – und doch ist für ihn auch klar, dass es dabei um viel mehr geht als nur um den Rückbau einer Schnellstraße. „Auch, wenn ich mich noch nicht festgelegt habe, ob ich dafür oder dagegen bin, klar ist für mich auch, dass dieser symbolische Akt auch zeigen würde, dass wir als Gesellschaft fähig sind, historische Fehler, die People of Color angetan wurden, zu korrigieren.“ Es wäre also ein Schritt in die richtige Richtung.

Rassismus schadet allen

Bürgermeisterin Libby Schaaf hat in ihrer fast achtjährigen Amtszeit versucht, einige Fehler wiedergutzumachen, darunter auch eine Landrückgabe an das Volk der Ohlone, Native Americans, die hier in diesem Gebiet vor der Ansiedlung der Weißen lebten. Für Schaaf ist klar, dass die Aufarbeitung des tief verwurzelten Rassismus in den USA auch mit solch eher “symbolischen Gesten” beginnt, wie es Supervisor Nate Miley genannt hat. „Ich glaube, der systemische und strukturelle Rassismus ist die größte Herausforderung unserer Zeit“, sagt sie. „Wir als Land haben systematisch, durch Gesetze und durch öffentliche Investitionen, eine große Community entrechtet und beraubt: an Talent, an Gesundheit, an Wohlstand, an Beiträgen großer Teile der People-of-Color-Community.“ Allen würde es bessergehen, „wenn wir Menschen emporheben, die systematisch von einer Entwicklung ausgeschlossen worden waren“, betont Schaaf. Das treffe gerade auf diese Infrastruktur zu, die einen teilenden und trennenden Effekt hat, und auf das Thema Umweltgerechtigkeit.
„Es gibt hier in Oakland eine weitere Debatte über einen Freeway, auf dem Trucks nicht fahren dürfen“, erzählt sie. Dieser Freeway verlaufe entlang eines mehr weißen und wohlhabenderen Teils der Stadt und hat strengere Auflagen als die Freeways entlang der ärmeren, der zumeist schwarzen und braunen Nachbarschaften, über die all die Diesel-Trucks geleitet werden, die auf dem anderen verboten sind. „Die Leute fragen sich nun, warum das so ist, warum gibt es diese zusätzlichen Abgase nur da, wo es eh schon die größte Luftverschmutzung gibt.“ Covid habe gezeigt, dass diese gesundheitlichen Unterschiede noch verstärkt werden, wenn es zu so etwas wie einer Pandemie kommt. Sie seien nicht das Ergebnis einer persönlichen Entscheidung. „Sie sind dadurch entstanden, dass wir als Regierung diese nicht nur ermöglicht, sondern oftmals auch geschaffen haben.“

Rückbau geplant

Oaklands Bürgermeisterin zeigt sich optimistisch, dass der 980er zurückgebaut werden wird. Sie sieht es als ein positives Zeichen, dass das kalifornische Verkehrsministerium CalTrans derzeit einen umfassenden Bericht über die Vor- und Nachteile eines Rückbaus erarbeitet. Dabei soll vor allem auch beachtet werden, wie in Zukunft der Verkehr in Oakland fließen soll, wenn es den 980er nicht mehr geben sollte.
Auch die dafür notwendigen finanziellen Mittel im Infrastrukturplan der Biden-Administration seien ein gutes Zeichen, das Amerika aus seiner Geschichte lernt, so Libby Schaaf. Milliarden Dollar nur für den Rückbau historischer Fehler, wie es Verkehrsminister Pete Buttigieg im Weißen Haus ankündigte. „Ich bin noch immer überrascht davon, dass manche Leute sich überrascht zeigen, wenn ich darauf verweise, dass ein Highway, der nur deshalb gebaut wurde, weiße und schwarze Nachbarschaften zu trennen, oder wenn es eine Unterführung in New York gibt, die bewusst so niedrig gebaut wurde, dass kein Bus mit Kindern aus vor allem schwarzen und Puerto-Ricaner-Nachbarschaften zum Strand fahren kann, dass das offensichtlich Rassismus war, der in die Planung einging“, sagt er. „Ich glaube nicht, dass wir etwas zu verlieren haben, wenn wir uns das bewusstmachen. Aber wir haben alles zu gewinnen, wenn wir das verstehen und es ändern. Deshalb gibt es das Programm Verbindende Nachbarschaften, Milliarden an Dollar, die wir umgehend einsetzen wollen.“
Ob das alles gelingt, ist fraglich. Denn all diese Pläne, die Bereitstellung zum Rückbau von Freeways, von historischen Fehlplanungen, hängen von Mehrheiten im Kongress und davon ab, wer im Weißen Haus sitzt. Davon, wie man auf die amerikanische Geschichte, auf dieses Land selbst blickt. Sind die USA “God’s own Country”, die beste Nation der Welt, in der Fehler gemacht wurden, aber in denen Fehler nicht aufgearbeitet werden? Oder sind die USA eine Gesellschaft, in der Fehler gemacht und auch eingestanden werden? In den tief gespaltenen Vereinigten Staaten ist die Antwort noch offen.

Rassismus statt unbegrenzter Möglichkeiten

Lange Highways und Freeways. Je weiter man Richtung Westen fährt, desto gerader ziehen sie sich durchs Land. Immer geradeaus, von Küste zu Küste. Auf diesen endlosen Highways erscheinen die USA grenzenlos. Es ist immer wieder aufs Neue ein Erlebnis, durch die Vereinigten Staaten von Amerika zu fahren. Diese nicht enden wollenden Highways wurden durch Geschichten und Filme zu einem Symbol der Freiheit Amerikas.
Die vielen Aufkleber, die vielen “Stars and Stripes” an Motorrädern, Pick-ups, Autos und Lastwagen symbolisieren ein Land, in dem viele stolz auf das sind, was hier erreicht wurde. Das visionäre “National Interstate Defense and Highways Act” Eisenhowers aus dem Jahr 1956 zählt sicherlich dazu. Es verband amerikanische Städte und Gemeinden, vertiefte den Zusammenhalt in diesem so unterschiedlichen Land mit seinen unterschiedlichen Interessen. Doch das, was die einen als Freiheit empfanden, wurde für die anderen ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte von Rassismus und Diskriminierung im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“.

Es sprachen: Max Urlacher, Anne Rathsfeld, Olaf Oelstrom und der Autor
Ton: Christiane Neumann
Regie:
Stefanie Lazai
Redaktion:
Winfried Sträter

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