Rassismus

"Ich muss meine Hautfarbe nicht zelebrieren"

05:39 Minuten
Ein verfremdetes Foto eines jungen Mannes, der an die Decke blickt.
Schwarze Menschen sollten nicht vorschnell Rassismus bei Weißen anprangern, findet Cäsar. © Rebecca Hillauer
Von Rebecca Hillauer |
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Gibt es in Deutschland "systemischen Rassismus"? Selbst manche Nichtweiße haben ihre Zweifel daran. So auch ein junger Mann aus Hessen. Er sagt, er habe nie wirklich Rassismus erlebt, und kritisiert die Black-Lives-Matter-Bewegung.
Eine Kleinstadt in Hessen: Der junge Mann, der lieber anonym bleiben möchte und sich deshalb Cäsar nennt, macht hier seinen Master in Politikwissenschaften. Trotz seiner dunklen Haut hätte er, der Junge aus einem Waisenhaus in Äthiopien, in Deutschland nie wirklich Rassismus erlebt, erzählt er, während er die Straße entlang schlendert.

Als er sieben oder acht Jahre alt gewesen sei, habe er mit einem weißen Kind und dessen Mutter im Fahrstuhl gestanden. Das Kind habe seinen Finger über Cäsars Arm gestrichen, in den Mund gesteckt und dann enttäuscht gesagt: "Das schmeckt ja gar nicht nach Schokolade."
Cäsar habe gelacht, erzählt er: "Das ist kein Rassismus, das ist einfach Unwissenheit." Die Begegnung habe er sogar als charmant empfunden.

Kritik an der "Critical Race Theory"

Cäsar hält vor seiner Stammkneipe. Hier hatte er im vergangenen Jahr ein Erlebnis, das ihn noch immer umtreibt. Es war schon spät, als sein Sitznachbar an der Theke ihm sein Herz ausgeschüttet hat. In seinem Fußballverein würden nun afghanische Flüchtlinge mitkicken, die kaum Deutsch sprächen, einige Kameraden wären schon zu einem anderen Verein gewechselt.

Cäsar ließ das Treffen nicht los. In einem Artikel für eine Online-Zeitung ging er der Frage nach: Warum fühlte sich dieser Mann verpflichtet, ihn um Entschuldigung zu bitten? Nur wegen seiner dunklen Hautfarbe?

Cäsar schreibt das der sogenannten Identitätspolitik zu, die in den 1970er-Jahren in den USA entstanden ist. Ihr akademisches Pendant, die "Critical Race Theory", wird inzwischen auch an deutschen Universitäten gelehrt. Die "Kritische Rassentheorie", wie sie auf Deutsch heißt, besage, dass alle Weißen Privilegierte und damit Schuldige, Täter seien. Schwarze wiederum seien per se Nicht-Privilegierte und Opfer, meint Cäsar.

Video auf YouTube gegen Rassismus-Vorwürfe

Solche pauschalen Zuschreibungen lehnt Cäsar ab, erzählt er auf dem Weg in seine Wohnung. Hier angekommen schaltet er den Laptop ein und spielt ein Video ab:

"Hallo liebe Freunde, mein Name ist Cäsar, und ich möchte einen Beitrag leisten zu der Rassismus-Debatte in diesem Land." Mit diesen Worten beginnt ein YouTube-Clip, den Cäsar auf der Plattform hochgeladen hat. Darin vertritt er die Meinung, dass schwarze Menschen nicht vorschnell Rassismus bei Weißen anprangern sollten. "Ganz im Gegenteil. Ich denke, es vergiftet sehr viel."
Das Video solle ein Apell an alle Menschen mit Migrationshintergrund sein, die sich nicht als Opfer verstünden, heißt es weiter in dem Clip.
Für Cäsar ist es wichtig, dass man ein ausgeglichener und starker Charakter sei, der keine Sonderregeln oder Safe Spaces fordere. Weiße Menschen sollten selbstbewusster und energischer auftreten und sich niemals entschuldigen, wenn sie nicht glauben, einen Fehler gemacht zu haben, sagt Cäsar: "Und, sie sollten sich vor allem von Rassismus-Vorwürfen nicht einlullen lassen."

Eine "widerwärtige Taktik"

Solche Vorwürfe bezeichnet Cäsar als „widerwärtige Taktik“, mit der Ungleichheit zu Ungerechtigkeit umgedeutet werde, um andere Ungerechtigkeiten zu rechtfertigen. Ein Ansatz, den Cäsar auch in Teilen der Black-Lives-Matter-Bewegung erkennt.
Zumindest in Deutschland hat er selbst jedoch keinen strukturellen Rassismus wahrgenommen. Im Gegenteil: Nach den Brandanschlägen auf Asylbewerberheime in den 90er-Jahren hätte sich nach der Jahrtausendwende das Verhältnis zwischen den Ethnien zunächst merklich entspannt. Und nun gebe es den Rückschritt.

Anderssein als Bereicherung

Wenn jemand nicht weiß sei, werde ständig versucht, das positiv zu konnotieren und zu zelebrieren, beklagt Cäsar: "Ich muss meine Hautfarbe nicht zelebrieren, genauso wenig wie ich eine andere Sexualität zelebrieren würde, wenn ich zu einer sexuellen Minderheit gehören würde."  

Dass Cäsar so in sich ruht, habe er vor allem seinen deutschen Adoptiveltern zu verdanken, sagt er. Sie hätten versucht ihm Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl einzupflanzen. So seien diese "Narben", sich unterlegen zu fühlen, für Cäsar nie entstanden.
Die Andersartigkeit des Gegenübers sieht Cäsar als Bereicherung – eine Errungenschaft der westlichen Welt, die sie seiner Ansicht nach nie aufgeben sollte.*

*In einer vorigen Version wurde durch die Umstellung eines Satzes der Sinn verändert. Wir haben dies korrigiert.

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