Aufklärung oder "Identitätspolitik"?
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Führt die Debatte über Rassismus gerade nach vorne? Migrationsforscherin Sandra Kostner ist skeptisch und warnt vor „Identitätspolitik“. Grünen-Politikerin Aminata Touré erkennt ein zielführendes Gespräch, das zu strukturellen Veränderungen führe.
Zehntausende waren in den vergangen Tagen auch in Deutschland auf der Straße, um ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt zu setzen. Seit dem Tod des schwarzen Amerikaners George Floyd durch einen brutalen Polizeieinsatz in den USA wird auch hierzulande intensiv über Rassismus diskutiert.
Tiefe Gräben, bekannte Reflexe
Wie kann dieses Gespräch konstruktiv geführt werden, damit es nicht nach ein paar Wochen wieder beendet ist – oder altbekannte Reflexe auslöst: die Betroffenen auf der einen, die Schuldigen auf der anderen Seite?
Häufig stehen sich in solchen Debatten verschiedene Menschengruppen scheinbar unversöhnlich gegenüber, von "Identitätspolitik" ist dann die Rede – wie zuletzt in einem Essay von Maxim Biller in der "Zeit".
Die Grünen-Politikerin Aminata Touré hält den Begriff "Identitätspolitik" für einen Kampfbegriff. Es gehe vielmehr um Fragen der Grund- und Menschenrechte. Touré ist Vizepräsidentin des Landtags von Schleswig-Holstein und Sprecherin für Antirassismus. Für sie gehe es nach dem Tod George Floyds nicht um einen Einzelfall, sondern "um 450 Jahre, in denen schwarze Menschen degradiert wurden und rassistische Erfahrungen gemacht haben."
Zivilgesellschaft und Verwaltung sensibilisieren
Es brauche nun eine ernsthafte Debatte über strukturellen Rassismus, und diese werde auch geführt. In Schleswig-Holstein werde im Rahmen eines Aktionsplans gerade darüber diskutiert, wie Polizei, Justiz, öffentliche Verwaltung, Schule und Zivilgesellschaft weitergebildet und sensibilisiert werden könnten.
Die Migrationsforscherin Sandra Kostner von der PH Schwäbisch-Gmünd kritisiert dagegen, dass viele Menschen bereits davon überzeugt seien, die Ursachen für alle Probleme zu kennen – ohne sich mit komplexeren Erklärungen beschäftigen zu wollen. "Wenn man einfach nur eine Kontinuitätslinie zieht – 450 Jahre Rassismus, dass sich da nichts geändert hat, dann setzen wir am falschen Punkt an", so Kostner.
Frontstellungen überwinden
"Ich denke, man muss auch die Mehrheitsgesellschaft noch mehr in die Debatte einbinden", fügt Sandra Kostner hinzu. Zu häufig gebe es noch "Frontstellungen" zwischen Minderheiten und Mehrheiten.
Aminata Touré erlebt die Debatte derzeit jedoch anders: "Ich habe den Eindruck, dass sich die Mehrheitsgesellschaft beteiligt an diesen Diskussionen, sich selbst reflektiert und auch kritisch ist. Und ich erlebe auch, dass Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sich auf den Weg machen, um genau diese rassismuskritische Bildung zu machen".
(sed)