Hetze im Netz – Wo sind die Grenzen der Meinungsfreiheit? Darüber diskutiert Matthias Hanselmann am Samstag 22.8. von 9.07 Uhr bis 11 Uhr mit Yassin Musharbash und Andreas Zick.
Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de sowie auf Facebook und Twitter.
Hetze im Netz – Wo sind die Grenzen der Meinungsfreiheit?
Anonyme Pöbeleien im Internet und extremistische Hass-Botschaften per Twitter – "die gesellschaftlichen Normen haben sich verschoben", meint der Sozialpsychologe Andreas Zick. "Wir brauchen eine große Debatte darüber, was okay ist im Umgang miteinander", sagt der "Zeit"-Redakteur Yassin Musharbash.
Das Internet und die sozialen Netzwerke werden immer mehr zur Bühne für Pöbeleien, Hetze und Hass. Ein Klick reicht, um einen Shitstorm auszulösen. Vor allem bei Facebook outen sich Menschen immer häufiger als Rassisten - besonders, wenn es um Flüchtlinge geht. Nicht selten stammen solche menschenverachtenden Posts und Tweets von knallharten Extremisten, die in der Anonymität ihre Netzwerke aufbauen.
"Es wird immer mehr, es wird härter, die Leute werden aggressiver", sagt der "Zeit"-Redakteur Yassin Musharbash. Er bekommt regelmäßig Hass-Mails und Drohungen – die Tendenz ist klar: "Ich habe einen eindeutig nicht-bio-deutschen Namen. Was die meisten Leute vermuten, ist, dass ich deswegen Moslem sein muss. Offenkundig gibt es da draußen Leute, die ein Problem damit haben, dass Journalisten mit nahöstlich klingenden Namen in seriösen deutschen Zeitungen arbeiten."
Der Islam-Experte hat sich entschlossen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Gemeinsam mit sechs anderen Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund hat er das Bühnenprogramm Hate Poetry ins Leben gerufen, bei dem sie die krassesten Mails vorlesen und das Publikum darüber anstimmen lassen:
"Für mich hat das drei Dimensionen: Die erste ist ganz egoistisch – das ist ein Akt der Katharsis. Man schleppt diese Scheiße mit sich herum, das ist überhaupt nicht lustig, das löst auch Beklemmungen aus. Und solche Abende fühlen sich an, wie ein Besuch im Hamam – danach ist man sauber. Die zweite essentielle Dimension ist eine aufklärerische: Vielen Leuten ist nicht klar, was da passiert, wenn Pegida-Figuren sagen, 'Wir reden nicht mit der Presse´. Kann ja sein, aber uns schreiben sie seit 10 Jahren – wir kennen sie! Und die dritte erfüllt mich mit tiefem Glück: Durch Zufall und eine Laune der Natur ist dies die lustigste antirassistische Veranstaltung, die es gibt. Es macht einen Heidenspaß, wenn Sie 600 Leute dazu bringen, sich einzunässen, weil man Texte von Rassisten vorliest."
Yassin Musharbash fordert: "Wir brauchen eine große Debatte darüber, was eigentlich o.k. ist im Umgang miteinander. Ich habe kein Problem, mit Leuten zu diskutieren, die rechtsradikal sind. Aber wir müssen einen gemeinsamen Boden finden: Wir leben alle hier, lasst uns reden, ohne dass wir uns die Köpfe einschlagen."
Die neuen Radikalen im Netz
"Ich glaube tatsächlich, es hat eine neue Dimension erreicht", sagte Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Das Menschen von der rechtsextremen Szene bedroht würden, das kenne man seit den späten 80er Jahren. "Aber, was im letzten Jahr stattgefunden hat, da ist irgendwie nochmal so eine normative Hürde komplett weggefallen." Im Umfeld der ganzen Pegida-Demonstrationen hätten sich viele Bürger reingehängt und hätten keine Bremse mehr. "Mittlerweile ist es auch so, dass wir das Thema ernster nehmen", sagte Zick.
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Seine Erfahrung aus Studien: "Die Dimension ist neu, die Struktur dahinter ist neu – wir haben ganz neue Radikale im Netz, ganze Gruppen, die Bedrohungen fahren. Bei Pegida sind es im Kern 5000 Leute; das sind Animateure für die anderen Bürger, die schimpfen, die Kontakt suchen. Die Leute suchen etwas erst im Netz, um es dann auch außen zu befriedigen." Das zeige sich derzeit auch in den gewalttätigen Protesten gegen Flüchtlingsheime.
Die Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut – zu Recht. Aber sie habe auch ihre Grenzen. Da müsse auch Facebook mehr in die Pflicht genommen werden.
Es gebe genügend Foren, wo Bilder kursieren, auch Informationen über potenzielle Opfer; man könne potentiellen Tätern auf die Spur kommen: "Gewisse Leute könnte man auch gut ausmachen. Das Problem ist: Wir haben zu wenig Leute. Was ist das für ein Bedürfnis hinter der Meinung? Steckt da eine klare Schädigungsabsicht dahinter? Dann könnte man sie verfolgen."
Andreas Zick mahnt: "In der Zivilgesellschaft braucht man Zivilcourage – im Netz auch."
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