Sportgericht verharmlost neonazistische Vorfälle
Hitlergrüße, rechtsextreme Parolen und Pyrotechnik. Die Vorfälle beim Spiel SV Babelsberg 03 gegen FC Energie Cottbus im April waren eindeutig. Trotzdem verurteilt das Sportgericht in Berlin die Clubs nur für die "Störung des Spiels". Die Kicker-Szene ist empört.
Es ist ein schwarzer Tag für die Regionalliga Nordost. Am 28. April, beim Spiel SV Babelsberg 03 gegen FC Energie Cottbus, brüllen vermummte Cottbus-Fans rechtsextreme Parolen, zünden Pyrotechnik und versuchen, den Rasen zu stürmen. Florian Schubert vom Bündnis Aktiver Fußballfans ist unter den Zuschauern.
"Ich habe Hitlergrüße gesehen, ich habe gehört, wie viele Fans "Arbeit macht frei, Babelsberg 03" gesungen haben. Dann haben sie noch einen Gesang angestimmt "Zecken, Zigeuner, Juden - Babelsberg 03". Das waren auf jeden Fall die deutlich rechtsextremen Positionierungen."
Die Polizei muss Pfefferspray einsetzen, zehn Cottbus-Fans verhaften und neunzehn Strafanzeigen aufnehmen. Es geht um gefährliche Körperverletzung, Landfriedensbruch und das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Auch sportintern werden die Vorfälle geahndet: Rund zwei Monate später verurteilt ein Sportgericht in Berlin beide Fußball-Clubs - für die Störung des Spiels. Die rassistischen Ausschreitungen fließen jedoch nicht in die Urteile ein. Die Kicker-Szene ist empört.
"Das, was sie als Signal nach außen senden, ist eine Verharmlosung von neonazistischen Vorfällen – und da muss man sich schon fragen: warum?", sagt Florian Schubert.
Ein bizarres Urteil
Der Hintergrund: Das Sportgericht vom Nordostdeutschen Fußballverband, kurz NOFV, hatte den FC Cottbus wegen der Randale unter anderem zu 10.000 Euro Strafe verurteilt, von der später 4.000 Euro zur Bewährung ausgesetzt wurden. Und der Gegner, der SV Babelsberg, erhielt 7.000 Euro Strafe - weil die eigenen Fans unter anderem Raketen gezündet hatten. Bizarr: Während die Richter die extremistischen Vorfälle bei Energie Cottbus außer Acht lassen, verurteilen sie den SV Babelsberg auch dafür, dass ein Fan gegen die Rechtsradikalen aufgetreten ist. So heißt es in der Urteilsbegründung vom 19. Juni:
Etwa ab der 15. Spielminute rief eine Person mit rotem Punkerhaarschnitt aus dem Babelsberger Fanblock in Richtung des Cottbusser Fanblockes: "Nazischweine raus".
Der Präsident des SV Babelsberg, Archibald Horlitz, zeigt sich entsetzt: Das Sportgericht blende Rassismus aus, bestrafe aber antifaschistische Sprüche.
"Das ist ein absolutes Skandalurteil, was keinen Bestand haben darf."
Das Sportgericht nimmt Belege nicht zur Kenntnis
Der Babelsberg-Präsident hat einen Anwalt engagiert, um das Urteil anzufechten: Nathan Gelbart. Der Berliner Jurist verweist darauf, dass zahlreiche Fernsehaufnahmen, Zeitungsberichte und YouTube-Videos die rassistischen Ausschreitungen belegen.
"Die ganze Republik hat das wahrgenommen. Alle haben es gesehen, nur nicht die Herren vom Sportgericht des NOFV. Und das gibt einem doch sehr zu denken."
Das Sportgericht des Nordostdeutschen Fußballverbandes reagiert nicht auf eine Interviewanfrage. In einem Schreiben an den SV Babelsberg vom 25. September versuchen die Richter jedoch ihr umstrittenes Urteil zu rechtfertigen:
"Rassistische Fehlhandlungen von Anhängern, wie das Zeigen des Hitlergrußes sind in den vorliegenden Berichten des Spielleiters, der Schiedsrichter und der NOFV-Sicherheitsaufsicht nicht enthalten und waren daher den Mitgliedern des NOFV- Sportgerichtes bei Urteilserlass nicht bekannt. Auch der SV Babelsberg hat in seiner ausführlichen Stellungnahme im Sportgerichtsverfahren zu derartigen Handlungen der Cottbusser Anhänger nichts vorgetragen."
Ähnlich argumentierte die Leitung des Nordostdeutschen Fußballverbandes: Kein Club habe die rechtsextremistischen Vorfälle beim NOFV angezeigt – und von allein dürfe man nicht ermitteln, erklärte ein Geschäftsführer. Der SV Babelsberg beurteilte die Lage jedoch anders: Die Sportrichter hätten nicht nur ermitteln dürfen, sondern auch müssen. Zumal der SV Babelsberg die Richter nachweislich auf die rechten Ausschreitungen hingewiesen hat.
So sah der Verein gute Gründe, gegen das Sportgerichts-Urteil Berufung einzulegen. Doch Anfang August wies das übergeordnete Verbandsgericht des NOFV die Berufung zurück - aufgrund eines angeblichen Formfehlers. SV-Babelsberg-Anwalt Nathan Gelbart kann jedoch keinen Fehler erkennen - er klagt, das Verbandsgericht habe nicht einmal eine Anhörung zugelassen.
"Das heißt, der sportkameradschaftliche Diskurs, der eigentlich geboten ist, hat hier nicht statt gefunden. Er wurde uns verwehrt."
Angst vor einem Imageschaden
Auch mit der Öffentlichkeit möchte das NOFV-Berufungsgericht nicht reden. Dort heißt es: Wir geben keine Interviews. Florian Schubert vom Bündnis Aktiver Fußballfans hat eine Dissertation über Antisemitismus im Fußball geschrieben. Nach seinem Eindruck wird bei den Vereinen gern mal geschwiegen, wenn es extremistische Vorfälle gibt. Denn die Clubs hätten häufig Angst vor einem Imageschaden und schon genug andere Schwierigkeiten.
Schubert: "Die regionalen Fußballverbände stehen natürlich vor dem Problem, dass dort sehr viele Leute auch ehrenamtliche Arbeit machen, dass sie insgesamt mit dem ganzen Spielbetrieb und dem organisatorischen Aufwand auch überfordert sind. Und der DFB müsste sehen, dass dort gewaltsame Vorfälle, antisemitische Vorfälle, rassistische Vorfälle, manchmal auch in den Verbänden hinten runter fallen, weil es bedeutet, die Verbände müssten Arbeit leisten."
Der SV Babelsberg hat in seiner Not einen offenen Brief an den übergeordneten DFB, den Deutschen Fußball Bund, geschrieben. Darin empört sich der Potsdamer Club über das "Skandal-Urteil". Ende September antwortete DFB-Präsident Reinhard Grindel mit einem grundsätzlichen Statement:
"Jede Form von Rassismus, Diskriminierung oder Antisemitismus darf keinen Platz in den Fußballstadien haben, auf und neben dem Rasen. (…) Jeder ist aufgerufen, jede Form von Rechtsextremismus und Antisemitismus anzuzeigen."
Zeichen setzen gegen jede Form von Rassismus
Zugleich informierte der DFB-Präsident den SV Babelsberg, dass das regionale Sportgericht ein neues Verfahren einleite zur Untersuchung der rassistischen Ausschreitungen – auch ohne formelle Anzeige. Ende vergangener Woche war es schließlich soweit: In einem zweiten Urteil erlegten die NOFV-Richter dem FC Energie Cottbus wegen "diskriminierenden Verhaltens seiner Mitglieder" eine 5.000 Euro-Strafe auf sowie antirassistische Maßnahmen.
Nunmehr erklärt das Sportgericht, was zuvor unvorstellbar erschien: nämlich dass es "von Amts wegen gehandelt" habe. Babelsberg-Chef Archibald Horlitz glaubt allerdings, dass der DFB den Nordostdeutschen Fußballverband in die Pflicht genommen hat.
"Also ohne die Antwort auf unseren offenen Brief vom DFB, ohne das Einwirken des DFB, wäre beim NOFV nichts mehr passiert. Das ist eindeutig."
Der SV Babelsberg hofft, dass durch den neuen Richterspruch das Urteil gegen den eigenen Verein zurückgenommen wird - dass also der Ruf "Nazischweine raus" nicht mehr geahndet und somit ein Zeichen gesetzt wird gegen jede Form von Rassismus.