Aus der Vergangenheit gelernt?
22:02 Minuten
Donald Trumps Rhetorik hat Rassismus wieder salonfähig gemacht. Auch in Südstaatenorten wie Memphis oder Jackson? Dabei sollte man es hier, an den Schauplätzen von Sklaverei und Lynchmorden, doch eigentlich besser wissen. Und manche denken auch um.
Memphis, Tennessee. Downtown, South Main District, die Mulberry Street. Hier wurde vor mehr als 50 Jahren, am 04. April 1968, der Prediger, Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger Martin Luther King auf dem Balkon seines Zimmers erschossen.
Seit 1991 ist in dem Komplex des Lorraine Motels das Civil Rights Museum - die lange Chronik der Sklaverei und auch die der Bürgerrechtsbewegung.
Zimmer 306, Kings Zimmer: Zwei Betten, Kaffeegeschirr, Aschenbecher, Beistelltisch, eine Stehlampe, Fernsehgerät, zwei Frauen davor. Es ist traurig, sagt die jüngere, wie dankbar wir ihm sein müssen. Und ergreifend, fügt die ältere an, es war ein langer Weg. Und, äußert die ältere, indem sie sich beiseite dreht, leise: Es ist noch nicht vorbei.
Suche nach ökonomischer Gerechtigkeit dauert an
"Memphis ist noch immer im 'work in progress'", sagt die Historikerin Elaine Lee Turner. Viele Menschen sind nachgiebiger geworden und haben den Fortschritt, der mit der Bürgerrechtsbewegung begann, nicht fortgesetzt. Wir haben Zugang zu Einrichtungen errungen, zu denen wir Zugang gefordert hatten. Die Bildungseinrichtungen wurden geöffnet, wir haben faktisch ein faires Wohnungswesen und Gesetze. Aber, wissen Sie, wenn man keine Arbeit hat, wenn man ökonomisch nicht in der Lage ist, sich zu versorgen, kann man die Möglichkeiten, die sich uns bieten, nicht nutzen. Das heißt, dass wir jetzt nach ökonomischer Gerechtigkeit suchen."
Elaine Lee Turner ist 75 Jahre alt und ist seit ihrer frühen Jugend Teil der Bürgerrechtsbewegung in Memphis. Sie gibt ein Beispiel:
"Die Armutsrate ist hier sehr hoch, und das heißt, dass die schwarze Bevölkerung Teil der Armutsrate ist. Das ist etwas, was Memphis in der Vergangenheit festhält."
650.000 Einwohner hat Memphis, davon über 64 Prozent Schwarze oder Afro-Amerikaner, wie die Statistik besagt. 20,6 Prozent der Einwohner leben unter der Armutsgrenze, darin eingerechnet die 30,1 Prozent der unter 18-Jährigen. Und die Begründung dafür, dass die Bürgerrechtsbewegung sich verändert hat, um nicht zu sagen: fast eingeschlafen ist, ist für Elaine Lee Turner relativ einfach:
"Wir haben keine Stimme auf nationaler Ebene, die für die Rechte aller spricht. Diese Stimme, die wir jetzt im Weißen Haus haben, stachelt Spaltung an, stachelt Rassismus an und benutzt den Speer des Hasses. Das ist etwas, das wir seit Dekaden nicht gesehen haben. Insbesondere nach dem Civil Rights Movement sprachen die Präsidenten, die wir hatten, immerhin die Rechte aller an, sie sprachen immerhin über Gleichberechtigung. Aber nun haben wir eine Führungsetage, die gegnerisch jedem Fortschritt gegenüber ist, den wir gemacht haben."
Richtung Süden, nach Mississippi, die Staatsgrenze zwischen Tennessee und Mississippi ist am Stadtrand von Memphis, und Vororte wie Lynchburg, Horn Lake, Olive Branch oder Southhaven sind weiße Vororte.
Scott Shepherd und TM Garret Schmid sind auf dem Weg vom Flughafen. Shepherd ist 60; Army-Veteran, in Rente, und Human-Rights-Aktivist, er war beim Ku-Klux-Klan.
Scott Shepherd, geboren in Indianola, wie B.B. King. Indianloa war der Ort, in dem 1954 der "White Citizens Council" gegründet wurde. Indianola ist, wie andere kleinere Städte auch, bis heute durch die Eisenbahnschienen geteilt, auf der einen Seite leben die Schwarzen, auf der anderen die Weißen:
"Ich war beim Ku-Klux-Klan und bei vielen anderen Organisationen, ungefähr 20 Jahre lang. Der Ku-Klux-Klan wird zu deiner Familie, deine eigene Familie verleugnest du."
Ku-Klux-Klan in den Südstaaten wieder aktiv
Nachdem der Ku-Klux-Klan in Alabama diverse Briefbomben an Afro-Amerikaner verschickt hatte und Shepherd selbst vom FBI beobachtet und mit einer illegalen Waffe geschnappt wurde, stieg er aus. Sein Pflichtverteidiger war Afro-Amerikaner. Der Ku-Klux-Klan ist in den Südstaaten heute, meint Scott Shepherd:
"Meiner Meinung nach aktiv, ja, sehr aktiv."
Shepherd sagt von sich, er sei ein unpolitischer Mensch, der sich aus Diskussionen heraushält, weil er verbinden und nicht spalten will. Er hilft Menschen, den KKK zu verlassen. Mit Trump wurde das schwieriger, Rassismus war abermals akzeptabel.
"Das würde ich sagen, ja, ich nenne Ihnen ein Beispiel: ich wuchs mit vielen Leute hier in Mississippi auf, und ich dachte, die hätten sich wie ich auch verändert, aber als Trump gewählt wurde, ich dachte, es haut mich um, denn da kamen sofort rassistische Ansichten an die Oberfläche. Heute? Meine Meinung? Wir sind auf einem Weg, auf dem wir nicht sein sollten."
Ehemaliger Rechtsradikaler hilft Bedürftigen
TM Garret Schmid ist 44. Er ist befreundet mit Scott Shepherd, darüber hinaus haben die beiden dasselbe Interesse. 2012 wanderte Schmid, Human Rights Activist, aus Deutschland aus. Im Moment verteilt TM Lebensmittel für Bedürftige. Kontrolliert vom Gesundheitsamt, gefördert von der gemeinnützigen Organisation CHANGE, die sich für Community-Outreach-Programme, Food-Drives, Seminare, Anti-Rassismus-Kampagnen und Anti-Gewalt-Kampagnen einsetzt.
TMs Haut war voller Hakenkreuze, Runen und anderer Symbole, TM war Rechtsradikaler, bei Bands wie Celtic Moon, Wolfsrudel und Höllenhunde, das ganze Programm, und, wie Scott Sheperd, Mitglied des KKK. Anführer der deutschen Sektion, geadelt von einem Grand Dragon aus den USA. White Supremacy, die Überlegenheit der Weißen Rasse, all diese kruden...
"Trumps Nähe zu Israel stört diese Gruppen, das ist ein No-Go, aber das ist das einzige. Alles andere, da sind die auf Linie mit ihm und sie stehen momentan noch hinter ihm, ja, ich unterscheide auch immer zwischen dem unintentional racism und dem intentional racism, er sieht grün, also die Farbe des Geldes, und dafür geht er über Leichen, und wenn das dann rassistische Töne hat, dann macht er das auch, sagt aber, es ist nicht rassistisch. Das hatten wir in Deutschland in den 30ern und 40ern, das ging nicht gut aus."
Hat die Aggression der Weißen durch Obama zugenommen und ist sie mit Trump instrumentalisiert worden?
"Ja und nein. Der Hass war vorher schon da. Der war 2008 da, als Obama gewählt wurde, der war in den 80ern da unter Reagan, der war in den 60ern da unter Kennedy, und davor auch. Nachdem die Rassentrennung aufgehoben wurde auf Papier, hat jeder wirklich versucht, dafür zu kämpfen, dass alles gut wird, und in den 70ern sah das auch teilweise richtig gut aus. Und dann hat man Ende der 70er, und in den 80ern gesagt, ja, wir haben's geschafft, und dann wurde nichts mehr unternommen. Keiner hat mehr die Mühe aufgebracht, diesen Kampf weiterzuführen, und ich glaube, diesen Preis zahlen wir heute auch."
Die meisten Lynchmorde gibt es in Mississippi
Jackson, Hauptstadt des Staates Mississippi. Auf der Farish Street. Die Straße war bis in die 70er das florierende Geschäftsgebiet der Black Community nach Einführung der legalen Segregation: getrennt, aber gleich – separate but equal.
In Jackson stehen zwei Museen nebeneinander: das Museum of Mississippi History, das Museum der Geschichte Mississippis, und das Mississippi Civil Rights Museum, das Museum der Bürgerrechte in Mississippi.
Der damalige Gouverneur des Staates, der Republikaner Haley Barbour, wollte dem Bürgerrechtsmuseum nur dann zustimmen, wenn das politisch nicht so brisante Geschichtsmuseum auch gebaut würde.
Die Eröffnung war im Dezember 2017. Trump war anwesend, auch im Bürgerrechtsmuseum, aber nur kurz – die feindselige Stimmung hat ihn schnell vertrieben. Das Mississippi Civil Rights Museum ist brisant. Die Ereignisse, die ganz offen präsentiert werden, liegen auf der Hand:
"Mississippi ist Nummer eins in den USA, was die Gewalt des Lynchens angeht", sagt John Spann, Kurator des Mississippi Civil Rights Museums. "Darauf sind wir nicht stolz, aber es ist die Wahrheit. Wie man sieht, haben wir das Jahr, den Namen und den Ort derer dokumentiert, die gelyncht worden sind. Und die Gründe, warum. Was heißt lynchen? Die meisten haben die falsche Vorstellung, dass jemand an einem Baum hängt. Aber es ist mehr: Per Definition ist es Mord ohne Gerichtsprozess. Gewalt durch den Pöbel. Die, die gelyncht haben, brechen somit das Gesetz. Ohne Prozess, ohne Richter, ohne Geschworene, ohne die Exekutive. Denen, die gelyncht wurden, hatte man nie einen Prozess gemacht, sie wurden beschuldigt und getötet. Sie wurden nicht wie Staatsbürger behandelt, die sie ja waren - die sie hätten sein sollen."
Von Jackson, Mississippi, nach Montgomery, Alabama, sind es vier Stunden, man kommt an Meridian vorbei, an Selma - und dann steht man vor den Stelen: Das National Memorial for Peace and Justice.
805 in einer Säulenhalle an Trägern stehende oder hängende Stahlquader. Jeder Quader repräsentiert einen der Counties, in denen Lynchmorde stattfanden. Auf den Quadern stehen die Namen der Opfer der Counties. Dokumentierte 4.400 Lynchmorde, geht man von Tausenden weiteren nicht dokumentierter aus.
Trump-Wähler mochten Obama als Präsidenten nicht
Zurück in Memphis, Tennessee, mit Elaine Turner Lee, der Historikerin. Gab es durch Trump einen Backlash?
"Den gab es, weil es die gab, die den Wandel nicht mochten, sie mochten die Führung durch einen schwarzen Mann nicht. Das war ein Backlash, in der Tat. Und als diese Leute die Möglichkeit hatten, für jemanden zu stimmen, der ihre Mentalität hatte, nutzten sie diese Möglichkeit. Sie wählten jemanden ins Amt, der die USA rückwärts verwandelte, das Land war ihnen zu liberal – und sie waren erfolgreich."
Die aus der Bürgerrechtsbewegung, Weiße und Afro-Amerikaner, nennen ihn nicht beim Namen.
"Sie sollten wissen, dass es viele gibt, ich gehöre dazu, die diesen Namen nicht nennen wollen, weil er so widerwärtig ist. Ich weiß nicht, wie ich beschreiben soll, was er repräsentiert."
Im Süden, im tiefen Süden, ist Höflichkeit wichtiger als Wahrheit, und Rassismus ist subtil. Gleichzeitig hat die Geschichte der Südstaaten auch sensibilisiert. Und entweder misstrauen sie den oft zitierten weißen alten Männern, oder sie laufen ihnen hinterher. Die Mobilisierung gegen den Präsidenten ist nicht von der Hautfarbe abhängig, sondern von der Erkenntnis.
Scott Shepherd, das ehemalige Ku-Klux-Klan-Mitglied und heutiger Anti-Racism-Activist – auch das steht auf seiner Visitenkarte –, war nach seiner Verhaftung in einem Programm namens "Alcohol-Drug-Treatment-Center".
"Ich nahm Teil als der, der ich damals war und wurde ein anderer. Nicht nur, dass da Menschen verschiedener Hautfarben waren, da waren Menschen unterschiedlicher Religionen, mit verschiedenen sexuellen Präferenzen, die ganze Partie. Ich war all denen ausgesetzt. Ich musste mit ihnen zusammen sein, ich hatte schließlich dieses Programm, ich hatte Gruppentreffen im Beisein der Suchtberater. Ich fand heraus, dass alle nicht viel anders als ich waren. Da wurde der Samen gesät."