Die drei Übel der Welt
Entzweiung, Enteignung und Entwürdigung: Diese Übel plagten Afrika und die ganze Welt seit der Sklavenhandel begann, so der Historiker Achille Mbembe. In seiner bahnbrechenden Erörterung beleuchtet er die Machenschaften hinter den Gräueltaten.
Der Historiker und Politologe Achille Mbembe aus Kamerun zeichnet nach, wie sich "Entzweiung, Enteignung und Entwürdigung" auf die Betroffenen ausgewirkt haben und heute nachwirken.
In seiner bahnbrechenden Erörterung beleuchtet er die Machenschaften hinter den Gräueltaten, enthüllt ihre Ursachen und ihre Psychologie, um ebenso sachlich wie empört zu fragen: Wie kam es dazu, dass die westliche Welt den "Neger" konstruierte? Wie kam es dazu, dass sie das Konzept der Rasse erfand und in ihren Gesellschaften durchsetzte, wo es bis heute lebt?
Soziobiologisch wurde die Rasse erst im 19. Jahrhundert begründet. Der reale Kampf zwischen den Rassen liegt dagegen Jahrhunderte zurück. Lange vor dem aufgehenden Kapitalismus wurde im 15. und 16. Jahrhundert der Sklave zum menschlichen Rohstoff, um sich an billiger Leibeigenschaft zu bereichern.
Zu wirtschaftlichen Gründen kommen psychologische hinzu. Frankreich beispielsweise begann den Kolonisierungsprozess nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1871. Afrika zu erobern, sollte verletzten Nationalstolz aufwiegen und ramponierte Männlichkeit wiederherstellen.
"Nationalkolonialismus" aus Lügen und Phantasmen
Dieser "National-Kolonialismus", wie Achille Mbembe ihn nennt, umspannt ein dichtes Netz an Theorien, die auf Lügen und Phantasmen basieren.
Einflussreiche Denker wie Victor Hugo, Alexis de Tocqueville und Jules Ferry stützten die verbreitete Auffassung, dass "Neger" einer unterlegenen Rasse angehörten, frei von Verstand, unfähig Universelles hervorzubringen, und deshalb ohne Geschichte. Ein düsteres Denken und Handeln, das den angeblich überlegenen Weißen das Recht, ja sogar die Pflicht zusprach, Afrika zu kolonisieren.
"In diesem Zusammenhang bezeichnet 'schwarze Vernunft' ein Ensemble aus Diskursen wie auch Praktiken – die alltägliche Arbeit, die darin bestand, Formeln, Texte, Rituale zu erfinden, zu erzählen und zu wiederholen, und das alles mit dem Ziel, den Neger als Rassensubjekt und wildes Außenstehendes hervortreten zu lassen, das als solches moralisch abgewertet und praktisch instrumentalisiert werden konnte."
Fremde Kulturen zu unterdrücken vereinte die europäischen Mächte zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert. Neben wirtschaftlichen Interessen und nationalem Stolz macht Achille Mbembe religiöses Sendungsbewusstsein als Motiv aus, gepaart mit dem, was bis heute als "Eurozentrismus" angeprangert wird.
"Einerseits definieren sich die 'christlichen Nationen Europas als die Schöpfer und Träger einer Ordnung, die für die ganze Welt galt'. Sie setzen 'Zivilisation' mit Europa gleich und halten ihren Kontinent für das Zentrum der Welt.
Athen, Jerusalem und Rom gehören zu ihrer fernen Vorzeit. Der Islam ist ihr größter Feind. Erst später, als die Vereinigten Staaten auf der Weltbühne erscheinen, erhält ihr Anspruch, das Zentrum der Welt zu sein, Risse.
Andererseits [...] hängen die meisten europäischen Mächte verstärkt dem Rassengedanken an, und ab dem 19. Jahrhundert erscheint der Rassengedanke als konstitutiver Bestandteil des westlichen Weltbilds und der zugehörigen Wahrnehmung."
Den Wissenschaftler aus Kamerun beschäftigt auch die andere Seite der Rassenpolitik, nämlich die Identitätskrise, die sie beim Verfemten auslöst, bei dem, der nicht Mensch ist, keinen Körper, keinen Namen, keine Sprache hat, als reines Objekt, als Ware behandelt wird.
Kritik der "negerhaften Vernunft"
Leider schwindet in der deutschen Übersetzung ein Unterschied, der für Mbembe maßgeblich ist. "Critique de la raison nègre" titelt das französische Original, "Kritik der negerhaften Vernunft", also gerade nicht der schwarzen Vernunft, wie die deutsche Ausgabe überschrieben ist. Weil – begrifflich gesehen - der Neger versklavt ist, nicht aber per se der schwarze Afrikaner.
So wird auch das Augenzwinkern verständlich. Implizit verweist nämlich der Buchtitel auf den Philosophen der Aufklärung Immanuel Kant und dessen Werk "Kritik der reinen Vernunft". Dass der Sklavenhandel seinen Höhepunkt zur Zeit der Aufklärung, also zur Zeit von Kant erlangte, rundet die Ironie des gelungenen Titels ab.
Höchst originell schlägt Achille Mbembe auch den Bogen zur Gegenwart, wenn er eine "Afrikanisierung der Welt" beobachtet, in der das Wort "Neger" metaphorisch für die subalterne Gesellschaft stehe. Zuletzt stimmt sein kühner Blick in die Zukunft nachdenklich, allen voran sein Vorschlag, wie die Dialektik von Herr-Knecht und das Denken in Rassen und Klassen zu überwinden sei.
"Der Andere, das ist Differenz und Ähnlichkeit in einem. Was uns vorschweben muss, ist eine Politik des Menschlichen, die zutiefst eine Politik des Ähnlichen und Unseresgleichen ist, aber in einem Kontext, in dem wir vor allem auch Differenzen miteinander teilen. Und diese Differenzen müssen wir uns paradoxerweise gemein machen."