Robin Celikates ist Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Erforschung des zivilen Ungehorsams und forscht zu Fragen gesellschaftlicher Gegenwartsdiagnosen, zur Demokratietheorie und Kritischen Theorie.
Neue Formen der Solidarität gesucht
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Rassismus nur als Problem am rechten Rand zu verstehen, verkennt den Kern des Problems. Denn Rassismus ist ein weitverzweigtes gesellschaftliches Phänomen. Was wir als Gegenmittel wirklich brauchen, sind neue Formen der Teilhabe, meint Robin Celikates.
Dass Deutschland jetzt einen "Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus" hat, das ist eine ziemlich deutsche Art einzugestehen, dass wir ein Rassismus-Problem haben.
Dass dabei aber überhaupt von Rassismus gesprochen wird, ist schon ein wichtiger Fortschritt. Und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen wurde rechter Terror lange Zeit als "Ausländerfeindlichkeit" und "Fremdenhass" und damit in Begriffen gefasst, die Teil des Problems sind, da sie die Opfer noch einmal als Ausländer oder Fremde vom nationalen "Wir" distanzieren. Zum anderen macht man es sich zu einfach, wenn Rassismus auf rechtsextreme Gewalt reduziert und damit suggeriert wird, rechte "Spinner" und "Chaoten" seien das Problem. Das ist eine Verharmlosung, die Rassismus pathologisiert und damit outsourct an den rechtsextremen Rand, mit dem man als "ganz normale Bürgerin" natürlich nichts zu tun haben will.
Rassismus ist mehr als ein Randphänomen
Wie aber soll man Rassismus denn sonst verstehen? Erstens kann man festhalten: Rassismus lässt sich nicht auf individuelle Absichten oder Einstellungen reduzieren, sondern ist ein soziales Phänomen. Es geht um soziale Wissens- und Handlungsformen – Institutionen, Diskurse und Praktiken –, die Menschen aufgrund zugeschriebener Merkmale wie Hautfarbe, Herkunft oder Kultur Gruppen zuordnen, diese abwerten und so Ausschluss und Benachteiligung legitimieren.
Daher wird auch von strukturellem oder systemischem Rassismus gesprochen. Konkrete Manifestationen reichen von racial profiling über den ungleichen Zugang zu Bildung, Wohnraum, Arbeit und die fehlende oder verzerrte Repräsentation in den Medien bis hin zur Frage von Leben und Tod.
Zweitens unterliegt Rassismus selbst historischen Veränderungen. So ist er keineswegs an den haltlosen Glauben an genetische Rassen gebunden; die Konstruktion des wesenhaft Eigenen und Anderen kann sich auch auf vermeintliche kulturelle Eigenheiten, religiöse Zugehörigkeit oder ethnische Herkunft stützen. Beispiel: die Neuformierung eines kulturalistischen Rassismus um die angebliche Bedrohung Europas durch den Islam.
Drittens reicht es, um "gegen Rassismus" zu sein, daher nicht, routinemäßig zur Verteidigung "unserer" Demokratie gegen die rechtsextreme Gefahr aufzurufen. Kulturen und Strukturen des Rassismus zu unterlaufen und zu delegitimieren, ist eine mühsame Aufgabe.
Gelebte Solidarität hilft
Dafür brauchen wir grundsätzlich neue Formen des solidarischen Zusammenlebens. Sie müssen Sorge tragen, dass die Lasten und Vorteile der sozialen Kooperation weniger einseitig verteilt sind. Dass Kulturen des Umgangs und des öffentlichen Austauschs entstehen, in denen die Realität der Migrationsgesellschaft zum Ausdruck kommt. Dass nicht nur symbolische, sondern auch politische und sozioökonomische Formen der Partizipation gegen das zutiefst antipluralistische und antidemokratische Phantasma einer homogenen Gemeinschaft – eines Wir mit festen Grenzen und klarer Identität – mobilisiert werden.
Das hieße konkret etwa: Migrantische Arbeit in Logistik, Pflege, Reinigung ist systemrelevant und muss als solche anerkannt und entlohnt werden. Alle, die dauerhaft hier leben, müssen politische Mitbestimmungsrechte, Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft und tatsächlich gleiche Chancen auf öffentliche Güter wie Bildung bekommen.
Und wir wollen nicht mehr aufgrund unseres Namens oder Aussehens ignoriert, anders behandelt oder gar bedroht werden, ohne dass sich die Mehrheit solidarisiert statt wegzuschauen.
Vielleicht ist ein Kabinettsausschuss vor diesem Hintergrund tatsächlich ein erster Schritt, echte politische Verantwortung zu übernehmen. Ein Ausschuss ist aber noch lange keine Veränderung sozialer Kulturen und Strukturen. Die Analyse schärfen und die politische Auseinandersetzung hartnäckig suchen, das sind die Gebote der Stunde.