Neue Protestsongs nach Ferguson
Soul-Größen wie Lauryn Hill oder Alicia Keys haben als erste mit Songs auf Ferguson reagiert. Musiker beziehen Stellung in der Debatte um rassistische Gewalt weißer Polizisten in den USA. Bei der künstlerischen Qualität ist noch Luft nach oben.
Ausschnitt Common/John Legend, "Glory":
"That’s why we walked through Ferguson with our hands up... Glory…"
So klingt ein – naja – Protestsong, wenn Hollywood seine ganze Bombast-Maschinerie anschmeißt: "Glory" von Common und John Legend, die Gospel-Schmetter-Arie aus dem Film "Selma" wurde gerade Golden-Globe-prämiert und Grammy-nominiert.
Einige Erben der Black Power-Bewegung sind gut vertreten in der Film- und Musikindustrie der USA. Und so kommt der Film über die Selma-nach Montgomery-Märsche gegen die Diskriminierung schwarzer US-Bürger vor fast 50 Jahren zur rechten Zeit, um die jüngsten Märsche auf den Straßen von Ferguson, New York und anderen US-Städten zu unterstützen.
Der Filmsong mit seinen Zeilen "Deshalb marschieren wir durch Ferguson/ mit unseren Händen oben", dieser Song erschien fast zeitgleich mit der Aufforderung des schwarzen Musikers Questlove sich neue Protestlieder auszudenken: "Wir brauchen neue Dylans, neue Public Enemys, neue Ideen", postete der Drummer der HipHop-Band The Roots. Musikerkollegen wie Frank Ocean, Nelly und LL Cool J hatten sich zuvor schon ähnlich geäußert.
"Songs mit echtem Spirit"
Erste Songs als Reaktion auf Ferguson kamen von großen schwarzen Soul-Damen wie Lauryn Hill – oder Alicia Keys, die hier die Gewalt überall beklagt und fragt: "Weißt du eigentlich, wer du bist?"
Ausschitt Alicia Keys, "We gotta pray":
"Violence everywhere… Do you know who you are?… We gotta pray…"
"Wir sollten beten" – diese Aufforderung von Alicia Keys erscheint dann vielen Aktivisten doch als zu braves Gospel-Gehabe. Und in der Musikszene spiegeln sich jetzt noch einmal die Konflikte, die die Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre schon gespalten hatte: In die einen, die beten und hoffen. Und die anderen, die marschieren. Und dann war und ist da ja noch die Gewaltfrage: Damals personifiziert in Martin Luther King und seinen gewaltfreien Aktionen - und den nicht immer friedfertigen Absichten eines Malcolm X, der bis heute vor allem in der HipHop-Szene als Idol verehrt wird.
Nicht festgelegt hat sich dazwischen Tom Morello, Gitarrist der Rockband Rage against the machine, wenn er von Protestszenen mit Gasmasken auf den Straßen von Ferguson singt:
Ausschnitt Tom Morello, "I'm marching on Ferguson":
"I’m marching on Ferguson… I'm marching tonight… ohohohoho! …"
Solche einfachen Protestsongs mit Refrains zum Mitgröhlen sind schnell gemacht. Aber sowas hatte Questlove wohl eigentlich nicht gemeint bei seiner Forderung nach einer neuen Ära des Protestsongs. Hatte er doch weiter formuliert: "Ich meine wirklich erzählte Geschichten, Songs mit Fragen und Lösungen, mit echtem Spirit."
Er selbst war als Mit-Produzent des neuen Albums von Neo-Soul-Stars D'Angelo beteiligt, als dieser sein erstes Werk nach 15 Jahren wegen der Ferguson-Proteste im Dezember überraschend veröffentlichte.
Im Stile der klassischen 60er-Jahre-Protest-Arien klingt dagegen der Songwriter Ari Herstand , wenn er Straßenszenen mit Gewehren und Tränengas beschreibt und sich mit den getöteten Schwarzen solidarisiert:
Ausschnitt Ari Herstand, "I Am Mike Brown":
"The cops had… machine guns… tear gas… I am Mike Brown… Every man who never had a chance…"
Originalgesänge von der Straße bisher am ergreifendsten
Auch wenn das schon ein bisschen nach Bob Dylan klingt – die ganz großen künstlerischen Entwürfe für neue Protestsongs, die brauchen wohl einfach etwas Zeit. Das war beim Vietnamkrieg so und zuletzt bei 9/11.
Auch Paul McCartney hatte ja schon zu Weihnachten verkündet, an Songs in Reaktion auf Ferguson zu schreiben. Bisher Fehlanzeige. Lassen wir den Künstlern also Zeit.
Ausschnitt Gospel-Gesang auf der Straße:
"We shall not be moved... marching down for justice… We shall not be moved…"
Und so bleiben die Originalgesänge von der Straße bisher die authentischsten und vielleicht ergreifendsten musikalischen Zeugnisse der Protestsong-Renaissance.
Den dort meist gesungenen hat sich Tarantino-Schauspieler Samuel L. Jackson für eine Netz-Aktion genommen. Und fordert die Promis auf, doch mal diesen Song nachzusingen statt sich Eiskübel über den Kopf zu gießen:
Ausschnitt Samuel L . Jackson: "We Ain't Gonna Stop Till People Are Free"
Und das haben in den vergangenen Wochen schon einige getan. Weniger Promis als sich das Samuel L. Jackson vielleicht erhofft hatte. Aber es sind längst nicht nur Laien-Künstler, die ihre Version des Ferguson-Straßen-Protestsongs ins Netz stellen: Soul-Musiker Charles L., die R'nB-Gruppe Dru Hill und gleich eine ganze Musical-Company:
Ausschnitt Diverse, "We Ain't Gonna Stop Till People Are Free"