Die Politikwissenschaftlerin Hadija Haruna-Oelker lebt und arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Hauptsächlich ist sie für den Hessischen Rundfunk tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Jugend und Soziales, Migration und Rassismusforschung. Haruna-Oelker ist Preisträgerin des ARD-Hörfunkpreises Kurt Magnus 2015.
Der Täter ist bedeutungslos
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Der Terroranschlag von Hanau war absehbar, beklagt Hadija Haruna-Oelker: Deutschland dürfe rechter Gewalt nicht weiter mit Gleichgültigkeit begegnen. Die Politologin fordert, den Blick stärker auf die Opfer und ihre Angehörigen zu richten.
Müssen wir erst getötet werden, damit etwas passiert? Mit diesem "wir" meine ich alle die migrantisierten, rassifizierten, nicht-weißen Menschen in Deutschland.
In nur einer Nacht werden mehr von ihnen umgebracht, als der NSU es in sieben Jahren tat. Und das nach den Angriffen in Halle, Chemnitz und all den anderen Orten, denen kein Hashtag gewidmet wurde.
Rechte verüben in Deutschland regelmäßig Gewalt. Alleine zwischen Januar und August 2019 rund 542 Mal. Nur wenige Taten erregen große Aufmerksamkeit. Aber wie kann es sein, dass in der vergangenen Woche berichtet wird, dass eine Gruppe Rechtsextremer "Moscheenmassaker" in zehn Bundesländern nach dem Vorbild von Christchurch plante und ein spürbares, gesellschaftliches Entsetzen ausbleibt?
Kapitel "rechte Terrorzelle" – einfach abgehakt
Wo waren die Talkshows, die großen Debatten in den Feuilletons, Stellungnahmen von Politikerinnen- und Politikerseite? Wäre es bei einem von Islamisten geplanten Anschlag anders gekommen? Bestimmt.
Liegt es vielleicht auch an einer emotionalen Distanz vieler Medien, die die Debatten bestimmen? Vielleicht. Angriffe auf Moscheen oder nicht weiße Menschen: Was geht uns das an?
So wurde, anstatt sich mit den Rechtsterroristen zu beschäftigen, das Kapitel einfach abgehakt. Die Sicherheitsbehörden haben gute Arbeit gemacht. Es ist nichts passiert. Und jetzt: Hanau.
Menschen mit Rassismuserfahrung haben nicht das Privileg, das zu ignorieren, was in Hanau und all den anderen Städten passiert ist. Rechter Terror greift gezielt eine große Zahl an Menschen in Deutschland an, die es zu schützen gilt.
Mit zweierlei Maß gemessen
Es geht auch um ein Gefühl von zweierlei Maß, das diese Menschen wahrnehmen, weil ihre Sorgen nicht ernst genommen werden. Sie sprechen darüber, dass sie, ihre Freunde oder Vereine, in denen sie aktiv sind, bereits Morddrohungen erhalten haben; dass sie sich nicht sicher fühlen in diesem Land, weil die Gefahr immer realer wird, immer näher rückt; dass sie Angst davor haben, was der rechte Terror noch anrichten wird. Und Angst vor der nächsten Verharmlosung.
Es ist jetzt entscheidend, dass das Problem des rechten Terrors endlich ernst genommen wird. Auch, weil er zahlenmäßig mehr Menschen bedroht als jede andere Form von Extremismus in diesem Land.
Es waren Menschen, keine Fremden, die sterben mussten. Es war keine Fremdenfeindlichkeit, sondern Rassismus. Er tötet. Diejenigen, die davon betroffen sind und diejenigen, die sich für eine demokratische Grundordnung einsetzen und sich gegen Hass und Hetze positionieren.
Sprache schlägt inzwischen in Gewalt um. Deshalb sollten wir nicht darüber sinnieren, wie psychisch krank der Täter von Hanau war.
Rassistische Terminologien haben eine Vorgeschichte
Denn seine rassistisch und politisch motivierte Tat macht ihn samt seiner Gesinnung zu einem rechtsextremen Terroristen. Nichts anderes würden wir analysieren, wenn es um Extremisten mit anderen Hintergründen ginge. Ihr Verhalten ist niemals klar und niemals rational zu verstehen.
Radikalisierung hat viele Gesichter. Der Täter von Hanau schloss sich rassistischen Terminologien an. Sie haben eine lange Vorgeschichte. Verschwörungstheorien und völkisches Denken sind gerade im rechten und rassistischen Spektrum mehr als populär und verbreiten sich weltweit.
So wünsche ich mir, für die nächsten Tage und Wochen vermehrt den Blick auf die Opfer und ihre Nachkommen zu richten - nicht auf den Täter. Die Tat gehört aufgeklärt, seine Motive eingeordnet und in den Kontext gesetzt. Aber bitte so, dass dessen Rassismus nicht einfach nur spektakulär reproduziert wird und er zur Fratze des Bösen wird, der von Rechten gefeiert werden kann.
Der Täter ist bedeutungslos. Was zählt, sind wir.