Ratgeber voller wohlfeiler Sprüche
Ratgeberbücher, die an dem bestehenden Schulsystem herumkritteln und vorgeben, die Patentlösung bereitzuhalten, gibt es meterweise. Auch Andreas Selcher reiht sich da ein. Leider verwickelt er sich permanent in Widersprüche und seine Ratschläge sind nichts weiter als gutgemeinte Allgemeinplätze.
Wenn alle Schulen so wären wie die meisten Sachbücher, die über sie geschrieben werden, müssten wir uns noch mehr Sorgen machen als ohnehin. Dass es viele Probleme im modernen Bildungswesen gibt, liegt auf der Hand: Familien, die nicht lernfreundlich oder gar nicht erziehen; bürokratisch gegängelte Stundenpläne; eine desorientierte Lehrerbildung; völlig übertriebene Erwartungen an das, was Unterricht leisten kann; eine ratlose aber reformwütige Bildungspolitik - und so weiter.
Nicht also, dass es sich nicht lohnen würde, über Verbesserungen der Schule nachzudenken. Doch seit einiger Zeit wird die Öffentlichkeit geradezu heimgesucht von Attacken auf das Schulsystem, auf Lehrer und auf ihre Art, Unterricht zu geben. Alles, heißt es, muss anders werden, so gut wie nichts stimmt an unseren Bildungseinrichtungen.
Der Wiener Unternehmensberater und ehemalige Landtagsabgeordnete Andreas Salcher hat den vielen Büchern dieser Art ein weiteres hinzugefügt. In Österreich, so hört man, wird viel darüber diskutiert. Dem Ton nach ist es vollmundig.
Salcher meint, dass die gute Schule nur eine Frage des politischen Willens sei. Erkenntnisprobleme sieht er nicht. Darum münden seine Ratschläge fast immer in Wendungen wie diese: "Lassen wir die Kinder selbst herausfinden, wie die Zukunft der Weltaussehen soll" oder "Jedes Kind hat das Recht auf maximale Förderung seines Bildungspotentials". Was das für unser Schulsystem konkret bedeutet? Hören wir einfach auf Erich Kästner, der sich in vielen seiner Bücher mit Schule auseinandergesetzt hat: "Es gibt nichts Gutes / außer: man tut es" oder auch "Nur die Besten dürfen Lehrer werden".
Sachbücher schreiben hingegen, das dürfen auch die weniger Guten, die sich nicht einmal darum kümmern, dass ihre Argumente zueinander passen. Die Schule sei in ihrem jetzigen Zustand ein Relikt teils der Industriegesellschaft, teils der Militärerziehung. Warum? Weil in ihr die Schüler nicht individuell unterrichtet würden, sondern standardisiert.
Dass es keine Erziehung ohne Standards gibt und dass das durch die Pisa-Studie aufgedeckte Problem gerade dort liegt, wo viele Schüler den Mindeststandard an Fähigkeiten nicht erreichen, ignoriert Salcher. Bei ihm soll sich die Schule zum Leben hin öffnen. Draußen im Leben aber gebe es keine Fächer, dort ist alles interdisziplinär. Also, meint Salcher mit vielen Reformpädagogen, dürfe auch in der Schule alles nicht so separiert unterrichtet werden. Außerdem sei Tanzen genau so wichtig wie Mathematik.
Zugleich aber singt er das Lob von Physik-, Medizin- und Chemienobelpreisträgern. Die Schüler sollen alle ihre Fähigkeiten entwickeln. Aber Salcher findet es falsch, wenn man Schülern, die in Deutsch gut, aber in Physik schlecht sind, im schwachen Fach zu verbessern sucht, anstatt sich auf ihre Begabungen zu konzentrieren.
Dass das auf dieselbe frühe Spezialisierung hinausläuft, die er andernorts als der sich ständig verändernden Gesellschaft unsachgemäß geißelt, begreift er nicht. Einerseits ist für ihn der Lehrer nicht das Zentrum des Unterrichts, sondern nur ein "erfahrener Weggefährte" der Schüler. 30 Seiten später ist es allerdings doch "ausschließlich die Fähigkeit des Lehrers, die jeden Tag darüber entscheidet, ob die Kinder die Welt ein bisschen besser verstehen". Wieder 30 Seiten später ist der "wichtigste Faktor die Eigeninitiative des Kindes". Zwischendurch heißt es aber auch, von den ersten drei Lebensjahren hänge in der Entwicklung das allermeiste ab, also sind die Familien entscheidend.
Oder nehmen wir die wenigen Passagen, die Salcher der Schule als Organisation widmet. Einerseits leide sie darunter, nicht steuerbar zu sein, weil es in ihr keine mit Macht ausgestatteten Hierarchien gebe. Darum komme sie den vielen Faulpelzen unter den Lehrern nicht bei.
Andererseits wird der Entstaatlichung von Schulen das Wort geredet, weil Salcher glaubt, dass die beste aller möglichen Organisationsformen die Firma ist. Denn dort sei stets der Kunde König. Abgesehen davon, dass das nur eine Phrase ist: Dummerweise sind bei der Erziehung die so angesprochenen "Kunden", die Schüler nämlich, an der Produktion mitbeteiligt, was die Sache erheblich komplizierter macht als in Banken oder Kaufhäusern.
Aber kompliziert darf es eben nicht sein in diesem Genre. Es bedarf klarer Feinde und einfacher Rezepte. Das Buch ist darum voller wohlfeiler Sprüche. Lernen muss Spaß machen. Lehrer müssen Helden sein. Die "vier ewigen Berufe sind Lehrer, Führer, Heiler und Priester". Lehrersein ist ein Trieb. Die Fähigkeit zu träumen gehört auf den Lehrplan. Die Schule darf ein Kind niemals brechen und dergleichen mehr.
Wenn der Leser tatsächlich so oft mit dem Kopf nicken würde, wie Salcher es ihm ansinnt, würde ihm schlecht. So aber wird der an praktischen Fragen der Unterrichtsverbesserung Interessierte das Buch nach ein paar Seiten aus der Hand legen.
Rezensiert von Jürgen Kaube
Andreas Salcher: Der talentierte Schüler und seine Feinde
Ecowin Verlag, Salzburg 2008
251 Seiten. 19,95 EUR
Nicht also, dass es sich nicht lohnen würde, über Verbesserungen der Schule nachzudenken. Doch seit einiger Zeit wird die Öffentlichkeit geradezu heimgesucht von Attacken auf das Schulsystem, auf Lehrer und auf ihre Art, Unterricht zu geben. Alles, heißt es, muss anders werden, so gut wie nichts stimmt an unseren Bildungseinrichtungen.
Der Wiener Unternehmensberater und ehemalige Landtagsabgeordnete Andreas Salcher hat den vielen Büchern dieser Art ein weiteres hinzugefügt. In Österreich, so hört man, wird viel darüber diskutiert. Dem Ton nach ist es vollmundig.
Salcher meint, dass die gute Schule nur eine Frage des politischen Willens sei. Erkenntnisprobleme sieht er nicht. Darum münden seine Ratschläge fast immer in Wendungen wie diese: "Lassen wir die Kinder selbst herausfinden, wie die Zukunft der Weltaussehen soll" oder "Jedes Kind hat das Recht auf maximale Förderung seines Bildungspotentials". Was das für unser Schulsystem konkret bedeutet? Hören wir einfach auf Erich Kästner, der sich in vielen seiner Bücher mit Schule auseinandergesetzt hat: "Es gibt nichts Gutes / außer: man tut es" oder auch "Nur die Besten dürfen Lehrer werden".
Sachbücher schreiben hingegen, das dürfen auch die weniger Guten, die sich nicht einmal darum kümmern, dass ihre Argumente zueinander passen. Die Schule sei in ihrem jetzigen Zustand ein Relikt teils der Industriegesellschaft, teils der Militärerziehung. Warum? Weil in ihr die Schüler nicht individuell unterrichtet würden, sondern standardisiert.
Dass es keine Erziehung ohne Standards gibt und dass das durch die Pisa-Studie aufgedeckte Problem gerade dort liegt, wo viele Schüler den Mindeststandard an Fähigkeiten nicht erreichen, ignoriert Salcher. Bei ihm soll sich die Schule zum Leben hin öffnen. Draußen im Leben aber gebe es keine Fächer, dort ist alles interdisziplinär. Also, meint Salcher mit vielen Reformpädagogen, dürfe auch in der Schule alles nicht so separiert unterrichtet werden. Außerdem sei Tanzen genau so wichtig wie Mathematik.
Zugleich aber singt er das Lob von Physik-, Medizin- und Chemienobelpreisträgern. Die Schüler sollen alle ihre Fähigkeiten entwickeln. Aber Salcher findet es falsch, wenn man Schülern, die in Deutsch gut, aber in Physik schlecht sind, im schwachen Fach zu verbessern sucht, anstatt sich auf ihre Begabungen zu konzentrieren.
Dass das auf dieselbe frühe Spezialisierung hinausläuft, die er andernorts als der sich ständig verändernden Gesellschaft unsachgemäß geißelt, begreift er nicht. Einerseits ist für ihn der Lehrer nicht das Zentrum des Unterrichts, sondern nur ein "erfahrener Weggefährte" der Schüler. 30 Seiten später ist es allerdings doch "ausschließlich die Fähigkeit des Lehrers, die jeden Tag darüber entscheidet, ob die Kinder die Welt ein bisschen besser verstehen". Wieder 30 Seiten später ist der "wichtigste Faktor die Eigeninitiative des Kindes". Zwischendurch heißt es aber auch, von den ersten drei Lebensjahren hänge in der Entwicklung das allermeiste ab, also sind die Familien entscheidend.
Oder nehmen wir die wenigen Passagen, die Salcher der Schule als Organisation widmet. Einerseits leide sie darunter, nicht steuerbar zu sein, weil es in ihr keine mit Macht ausgestatteten Hierarchien gebe. Darum komme sie den vielen Faulpelzen unter den Lehrern nicht bei.
Andererseits wird der Entstaatlichung von Schulen das Wort geredet, weil Salcher glaubt, dass die beste aller möglichen Organisationsformen die Firma ist. Denn dort sei stets der Kunde König. Abgesehen davon, dass das nur eine Phrase ist: Dummerweise sind bei der Erziehung die so angesprochenen "Kunden", die Schüler nämlich, an der Produktion mitbeteiligt, was die Sache erheblich komplizierter macht als in Banken oder Kaufhäusern.
Aber kompliziert darf es eben nicht sein in diesem Genre. Es bedarf klarer Feinde und einfacher Rezepte. Das Buch ist darum voller wohlfeiler Sprüche. Lernen muss Spaß machen. Lehrer müssen Helden sein. Die "vier ewigen Berufe sind Lehrer, Führer, Heiler und Priester". Lehrersein ist ein Trieb. Die Fähigkeit zu träumen gehört auf den Lehrplan. Die Schule darf ein Kind niemals brechen und dergleichen mehr.
Wenn der Leser tatsächlich so oft mit dem Kopf nicken würde, wie Salcher es ihm ansinnt, würde ihm schlecht. So aber wird der an praktischen Fragen der Unterrichtsverbesserung Interessierte das Buch nach ein paar Seiten aus der Hand legen.
Rezensiert von Jürgen Kaube
Andreas Salcher: Der talentierte Schüler und seine Feinde
Ecowin Verlag, Salzburg 2008
251 Seiten. 19,95 EUR