Ratifizierung, Teil 1

Von Karl-Heinz Gehm |
Ratifizierung, Teil 1 - und doch, trotz opulenter 95-Prozent-Mehrheit für den "Vertrag über eine Verfassung für Europa" kokelte heute im Bundestag das europäische Feuerchen auf kleinster Flamme.
Mehr Begeisterung hätte der politischen Klasse bei der Ratifizierung sicherlich gut angestanden. Bedeutet doch dieses umfängliche Vertragswerk, wenn auch ein Konglomerat aus Verfassungsartikeln und Bestandteilen altbewährter Verträge, einen politischen Quantensprung für die Entwicklung Europas.

Doch ach - eine Sternstunde des Parlaments war das heute nicht im Bundestag. Eher eine Pflichtübung. Allzu viel "Blick zurück" war zu registrieren, viel Wahres natürlich, etwas Pathos, wenn zum Glück auch schaumgebremst, und eine Prise Wahlkampfgeplänkel, NRW macht's möglich und das Thema Türkei polarisiert immer. Dazu manch Besänftigendes für die eigenen Truppen. Beispielsweise Richtung CSU, die sich nicht gerade leicht getan hatte mit Verfassungsthema, fehlendem Gottesbezug und der Verlagerung von Zuständigkeiten Richtung Brüssel.

Was fehlte in dieser Debatte, von der Leidenschaft, vom Visionären gar ganz abgesehen, war schon die Zuversicht. Die Zuversicht für das Europa der Zukunft.

Europa als Chance in der globalen wirtschaftlichen Auseinandersetzung wurde zwar beschworen, unübersehbar aber war die Angst vor europabedingtem Lohndumping, Sozialabbau und Stellenexport, vor der Brüsseler Bürokratie und einer Schwemme künftiger EU-Richtlinien, geeignet, die Segnungen der Deutschland-AG vollends in den Orkus zu fegen.

Und bang vor dem, was dann passiert, wenn der Fall tatsächlich eintreten sollte, wenn die Franzosen also zum Monatsende in ihrem Referendum tatsächlich Nein sagen zum Verfassungsvertrag, wurde dieses Thema geradezu ausgespart.

Was fehlt an der Vollkommenheit des europäischen Hauses wurde kritisch angemerkt. Was dieses Haus aber seit den Römischen Verträgen seinen immer zahlreicher werdenden Bewohnern an Sicherheit und Stabilität, an Reichtum und Chancenvielfalt gewährt, welche komfortablen Voraussetzungen es für die Zukunft bietet, der Glaube an die Fortsetzung der europäischen Erfolgsgeschichte, der kam zu kurz.

Trotz einer überragenden Zustimmungsrate im Parlament, die in zwei Wochen, wenn der Bundesrat beim zweiten Teil der Ratifizierung das Vertragswerk wohl mit 100-prozentiger Zustimmung absegnen wird, noch getopt wird - Hochkonjunktur hat Europa derzeit nicht.

Das wissen alle Beteiligten. Und sie wissen auch, dass Volksbefragungen, befrachtet mit allerlei innenpolitischem Unmut, geeignet sind, das Verfassungswerk zu gefährden. Damit aber würde der Triumph der Kleinmütigen zur Krise Europas.