Raubkopierendes Wunderkind?
Gerade von den Feuilletons gefeiert als Literaturwunder und eindrucksvollstem Coming-of-Age-Roman der Nullerjahre, hat er eine heftige Debatte um Urheberrecht und Originalität im digitalen Zeitalter ausgelöst: "Axolotl Roadkill" - der Debütroman der 17-jährigen Helene Hegemann.
"Axolotl Roadkill" - dieser Titel zwingt zusammen, was Mifti, die Erzählerin, fast zerreißt: Sie ist eine Art Axolotl, ein Lurch, der nie das Larvenstadium verlässt, also nie erwachsen wird. Und zugleich ein "roadkill", wie ihr Bruder sagt, ein überfahrenes Tier. Die 16-jährige Mifti ist noch ein Kind und doch schon fast tot.
Mifti ist frühreif, sexbesessen und drogenabhängig. Und ebenso intelligent, einsam und verletzlich. Sie verweigert die Schule, torkelt durch Berlin, besäuft sich ununterbrochen und kotzt sich dann die Seele aus dem Leib. Ihre älteren Geschwister, mit denen sie wohlstandsverwahrlost in einer vermüllten Luxus-Flat lebt, sind fast so durchgeknallt wie sie. Ihre psychopathische Mutter ist tot und ihr Vater ein ebenso depressives wie reiches "Arschloch". Miftis Horror-Welt besteht aus kaputten Typen und kaputten Träumen, ihr Credo: "Ich bin wild aufgewachsen und will wild bleiben."
"Axolotl Roadkill" ist ein böses, brutales, bitteres Buch. Eine Geröllhalde aus Tagebucheintragungen, Mails, Briefen und banalen Dialogen, aus albtraumartigen Szenen und schmerzhaften Selbstanalysen. Miftis Monolog spiegelt ihr Leben, sein Sound wummert dumpf. Vulgär und aggressiv stürzt er auf den Leser zu, ist voller Schimpfwörter und Slangausdrücke. So zornig, so zynisch hat uns lange kein Autor, keine Autorin mehr seine/ihre und unsere kaputte Welt um die Ohren gehauen.
Doch man kann im Sprachmüll auch Funde bergen: irrwitzig-komische Bilder, glasklare Sätze, die das bizarre Geschehen höchst intelligent reflektieren, hingerotzte Sprüche, durch die eine totale Verzweiflung schimmert und Wutausbrüche, die in ihrer Hellsichtigkeit kaum auszuhalten sind. Helene Hegemann sowie ihre Figur Mifti sind die ebenso hypersensiblen wie hochintelligenten Beobachterinnen einer sehr gefährdeten Generation.
Gerade von den Feuilletons gefeiert als Literaturwunder und eindrucksvollstem Coming-of-Age-Roman der Nullerjahre, hat er eine heftige Debatte um Urheberrecht und Originalität im digitalen Zeitalter ausgelöst: Axolotl Roadkill - der Debütroman der 17-jährigen Helene Hegemann.
Dieses Buch zu lesen macht keinen Spaß. Leser über 30 sollten sich davor hüten, warnte Maxim Biller in der "FAS". Und Leser unter 30 – interessieren die sich für ihre verwahrlosten Altersgenossen? Interessant ist vor allem folgendes Phänomen: Da macht mal wieder, nach Alina Bronsky oder Charlotte Roche, eine junge Autorin mit einer mehr als bizarren Story Furore, wird hoch gepuscht und bejubelt, zum Star gekürt und durch die Medien geschleppt. Und man fragt sich: Wem nutzt das mehr, den Verlagen oder den angehenden Schriftstellerinnen?
Zu tun hat dieser Hype wohl auch mit einer wachsenden Durchlässigkeit des literarischen Marktes, die vor Jahren begann, als mehrere belletristische Verlage ein eigenes Jugendbuchprogramm aufbauten. In Konkurrenz dazu entwickelten Jugendbuchverlage Programme für junge Erwachsene.
Autoren schreiben immer öfter für Kinder, Jugendliche und für Erwachsene. Die Grenzen zwischen "Alt und Jung" verschwinden, was Verlage, Autoren, Protagonisten und Leser betrifft. Die "All age" - Welle rollt an. Welche Rolle Helene Hegemann in Zukunft darin spielen wird, muss ihr zweites Buch zeigen.
Dass nun der Plagiatsvorwurf erhoben wird, weil die Autorin ganze Passagen ihres Buches abgeschrieben haben soll, ist ein Teil des Phänomens Hegemann. Ihr Spruch "Originalität gibt’s sowieso nicht, nur Echtheit", ist ebenso naiv wie poetologisch zu verstehen. Man kann den Fall juristisch oder moralisch betrachten, wichtig ist aber, wenn man über Literatur redet, nur die Frage, ob die wirklich bedrängenden Passagen selbst geschrieben oder abgekupfert sind.
Besprochen von Sylvia Schwab
Helene Hegemann: Axolotl Roadkill
Ullstein Verlag, Berlin 2010. 204 Seiten, 14,95 Euro.
Mifti ist frühreif, sexbesessen und drogenabhängig. Und ebenso intelligent, einsam und verletzlich. Sie verweigert die Schule, torkelt durch Berlin, besäuft sich ununterbrochen und kotzt sich dann die Seele aus dem Leib. Ihre älteren Geschwister, mit denen sie wohlstandsverwahrlost in einer vermüllten Luxus-Flat lebt, sind fast so durchgeknallt wie sie. Ihre psychopathische Mutter ist tot und ihr Vater ein ebenso depressives wie reiches "Arschloch". Miftis Horror-Welt besteht aus kaputten Typen und kaputten Träumen, ihr Credo: "Ich bin wild aufgewachsen und will wild bleiben."
"Axolotl Roadkill" ist ein böses, brutales, bitteres Buch. Eine Geröllhalde aus Tagebucheintragungen, Mails, Briefen und banalen Dialogen, aus albtraumartigen Szenen und schmerzhaften Selbstanalysen. Miftis Monolog spiegelt ihr Leben, sein Sound wummert dumpf. Vulgär und aggressiv stürzt er auf den Leser zu, ist voller Schimpfwörter und Slangausdrücke. So zornig, so zynisch hat uns lange kein Autor, keine Autorin mehr seine/ihre und unsere kaputte Welt um die Ohren gehauen.
Doch man kann im Sprachmüll auch Funde bergen: irrwitzig-komische Bilder, glasklare Sätze, die das bizarre Geschehen höchst intelligent reflektieren, hingerotzte Sprüche, durch die eine totale Verzweiflung schimmert und Wutausbrüche, die in ihrer Hellsichtigkeit kaum auszuhalten sind. Helene Hegemann sowie ihre Figur Mifti sind die ebenso hypersensiblen wie hochintelligenten Beobachterinnen einer sehr gefährdeten Generation.
Gerade von den Feuilletons gefeiert als Literaturwunder und eindrucksvollstem Coming-of-Age-Roman der Nullerjahre, hat er eine heftige Debatte um Urheberrecht und Originalität im digitalen Zeitalter ausgelöst: Axolotl Roadkill - der Debütroman der 17-jährigen Helene Hegemann.
Dieses Buch zu lesen macht keinen Spaß. Leser über 30 sollten sich davor hüten, warnte Maxim Biller in der "FAS". Und Leser unter 30 – interessieren die sich für ihre verwahrlosten Altersgenossen? Interessant ist vor allem folgendes Phänomen: Da macht mal wieder, nach Alina Bronsky oder Charlotte Roche, eine junge Autorin mit einer mehr als bizarren Story Furore, wird hoch gepuscht und bejubelt, zum Star gekürt und durch die Medien geschleppt. Und man fragt sich: Wem nutzt das mehr, den Verlagen oder den angehenden Schriftstellerinnen?
Zu tun hat dieser Hype wohl auch mit einer wachsenden Durchlässigkeit des literarischen Marktes, die vor Jahren begann, als mehrere belletristische Verlage ein eigenes Jugendbuchprogramm aufbauten. In Konkurrenz dazu entwickelten Jugendbuchverlage Programme für junge Erwachsene.
Autoren schreiben immer öfter für Kinder, Jugendliche und für Erwachsene. Die Grenzen zwischen "Alt und Jung" verschwinden, was Verlage, Autoren, Protagonisten und Leser betrifft. Die "All age" - Welle rollt an. Welche Rolle Helene Hegemann in Zukunft darin spielen wird, muss ihr zweites Buch zeigen.
Dass nun der Plagiatsvorwurf erhoben wird, weil die Autorin ganze Passagen ihres Buches abgeschrieben haben soll, ist ein Teil des Phänomens Hegemann. Ihr Spruch "Originalität gibt’s sowieso nicht, nur Echtheit", ist ebenso naiv wie poetologisch zu verstehen. Man kann den Fall juristisch oder moralisch betrachten, wichtig ist aber, wenn man über Literatur redet, nur die Frage, ob die wirklich bedrängenden Passagen selbst geschrieben oder abgekupfert sind.
Besprochen von Sylvia Schwab
Helene Hegemann: Axolotl Roadkill
Ullstein Verlag, Berlin 2010. 204 Seiten, 14,95 Euro.