Raubkunst

Die Nazis klauten Zuckerdosen

Blick in ein Puppenhaus, ein Objekt der Ausstellung "Raubkunst?" am MKG Hamburg
Blick in ein Puppenhaus, ein Objekt der Ausstellung "Raubkunst?" am MKG Hamburg © picture-alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Von Anette Schneider |
Der "Fall Gurlitt und die Raubkunst" hat die deutschen Museen aufgeschreckt. Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg nimmt diesen Schrecken zum Anlass, der Öffentlichkeit seine Provenienzforschung zu präsentieren.
Eine Suppenterrine. Zwei mittelalterliche Heiligenfiguren aus bemaltem Holz. Zwei große chinesische Vasen aus dem 17. Jahrhundert. Ein Puppenhaus von 1900. Ein alter, geschnitzter Stuhl. Diese und viele andere Objekte zeigt Provenienzforscherin Silke Reuther in zwei gewaltigen Vitrinen.
"Es sind eine Fülle von Einzelfällen, die wir vorstellen, ... die mit ganz bestimmten Zugangsgeschichten in Verbindung stehen. Oder wo wir Fragen haben, weil wir nicht wissen, wo die Sachen herkommen. Das vorzuführen ist uns ein Anliegen gewesen, um für einen offenen Umgang mit der Provenienzforschung zu werben."
Das ist eine erstaunliche Entwicklung. Noch vor wenigen Jahren hielten vor allem Kunstmuseen Informationen über mögliches Raubgut, Rückgabeforderungen, oder Prozesse eher zurück.
Doch, so betont auch Museumsleiterin Sabine Schulze:
"Wir müssen da einfach Aufklärungsarbeit leisten: Was wir tun. Dass wir etwas tun. Und wir möchten einfach Transparenz schaffen. ... Die Medien sind voll, aber ich habe das Gefühl, der interessierte Laie weiß eigentlich gar nicht so richtig weiß, um was es da geht. Wie aufwendig das ist. Wie jeder Fall anders liegt. Wie lange das oft dauert. Wie wir auch auf Zufälle angewiesen sind."
Die Ausstellung wählt dafür eine ungewöhnliche Form: Sie verzichtet auf die Präsentation historischer Dokumente, sie findet man nur im ausliegenden Katalog. Stattdessen erzählen lediglich Wandtexte die Geschichte der einzelnen Sammlungen, aus denen die ausgestellten Objekte stammen, und das, was man bisher über beides weiß.
Die prächtigen, tiefblauen chinesischen Vasen etwa stammen aus der Sammlung Reemtsma, die 1996 mit über 300 Objekten dem Haus geschenkt wurde. Klingt gut? Nicht mehr, wenn sich herausstellt, dass Reemtsma seine Sammlung zwischen 1934 und 1940 aufbaute.
"Und wenn man dann schaut, haben die Forschungsergebnisse sofort deutlich gemacht: Es sind also mindestens acht große Sammlungen gewesen, aus denen sich dieser Bestand speist."
Vornehmlich aus jüdische Sammlungen!
Man erfährt nichts von der Suche nach Besitzern
Einige Stücke konnten mittlerweile an ehemalige Besitzer oder Erben zurückgegeben werden. Andere, wie die beiden Vasen, wurden bei LOST ART gemeldet, einer Datenbank für geraubtes Kulturgut.
"Wir haben natürlich auch Erwerbungen aus jüdischem Umzugsgut, was hier im Hamburger Hafen beschlagnahmt worden ist. Wir haben Erwerbungen aus jüdischen Haushaltsauflösungen hier in Hamburg. Die Stadt hat dafür große Sondermittel zur Verfügung gestellt für diesen günstigen Erwerb. Und hier ist der damals amtierende kommissarische Museumsleiter Konrad Hüseler eben auch als Gutachter tätig gewesen. Unter dessen Ägide ist dort viel gekauft worden."
Leider erfährt man in der Ausstellung nichts über die Suche nach den Besitzern oder deren Nachkommen. Denn nicht immer hat man das Glück, dass die Anfrage eines Heimatforschers zu einer Riemenschneider-Madonna Recherchen auslöst, die gleich die Herkunftsfrage von 50 Objekten löst.
"Die Madonna und 49 weitere Objekte stammen aus der Sammlung Carl von Weinberg. Das ist jüdischer Besitz, der beschlagnahmt worden ist in Frankfurt, auf Museen aufgeteilt wurde, dann nach 45 im Collecting Point gesammelt wurde, restituiert wurde."
An der Enteignung des jüdischen Sammlers Weinberg wirkte der Frankfurter Kunsthändler Wilhelm Henrich mit, der nach 1945 für die Erben Weinbergs die Objekte an das Museum verkaufte!
"Wir haben aus dieser kunsthändlerischen Quelle auch noch 30 andere Sachen, wo wir gucken müssen, woher die kommen. Und da wissen wir wirklich nichts! Da gibt es Korrespondenz im Archiv, die ist nichtssagend, weil Henrich offensichtlich kein Interesse gehabt hat, die Informationen, woher die Sachen kommen, offen zu legen."
Eine Tonne Silber an Hamburger Museen
Immer neue haarsträubende Geschichten tun sich auf. Genauer: Bruchstücke von ihnen. Dieses Bruchstückhafte spiegelt sich eindrucksvoll in der Gestaltung der Vitrinen: Sie sind überzogen mit einer transparenten Folie, die aussieht, als sei das Glas zersplittert. Das assoziiert die Reichspogromnacht, die Verfolgung der Juden, um deren Besitz es hier geht. Gleichzeitig trifft man auf die Splitter auch in der Dauerausstellung: leuchtend-orange markieren sie dort Objekte, die aus den vorgestellten Sammlungen stammen. So fügen sich hier Bruchstücke zusammen, wird erahnbar, wie die zerschlagenen jüdischen Kunstsammlungen ausgesehen haben könnten.
Dass man damit landesweit noch immer erst am Anfang steht, verdeutlicht auf schockierende Weise ein großer alter Vitrinenschrank, der im Foyer des Museums steht: Er ist angefüllt mit Silber. Mit hunderten Bestecken, Suppenkellen, Zuckerdosen, die Nazis jüdischen Familien raubten. Ein Teil konnte nach 1945 restituiert werden. Eine Tonne Silber ging 1950 an die Hamburger Museen.
Silke Reuther: "Die Auflistung umfasst 58 Seiten. ... Es sind sechs große Vitrinen, ... Und es sind viele Umzugskartons, Holzkisten. Davon sind 30 Objekte überhaupt inventarisiert worden. ... Und das ist auch etwas, was sehr berührend ist: Dass diese Unmenge von Silber einfach so ein Schattendasein fristet. Das ist ein Stück Geschichte."
Informationen des MKG Hamburg zur Ausstellung "Raubkunst?"
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