"Juristisch sehr vage"
Die Konfiszierung der Gemälde des Kunstsammler Cornelius Gurlitt sei "auf sehr dünnem Eis erfolgt". Das sagt der langjährige Feuilleton-Chef der Welt, Peter Dittmar, der die Reaktion der Behörden für nicht angemessen hält.
Ute Welty: Die Anwälte des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt gehen in die Offensive. Offiziell haben sie die Rückgabe der Bilder ihres Mandanten gefordert, offiziell haben sie Beschwerde eingereicht gegen die Beschlagnahme und offiziell ist eine Website Online gegangen, die die Haltung und die Argumentation Gurlitts wiedergeben soll. Diese Website hat auch das Interesse von Peter Dittmar hervorgerufen, Autor, Reporter und lange Jahre Feuilleton-Chef bei der Welt. Guten Morgen!
Peter Dittmar: Guten Morgen.
Welty: Was halten Sie von dieser Seite?
Dittmar: Es ist das erste Mal, dass es eine Seite gibt, wo praktisch ein Betroffener sich zu Wort meldet. Sonst sind es natürlich immer die Rechtsanwälte, die Restitutionsforderungen vertreten, die an die Öffentlichkeit gehen und die natürlich besser argumentieren können als die Juristen oder die Staatsanwälte oder die Untersuchungsbehörden, die zur Schweigepflicht verpflichtet sind.
Welty: Aber Gurlitts Anwälte sind an dieser Seite beteiligt. Welches Interesse verfolgen sie?
Dittmar: Die müssen ja praktisch die Interessen Gurlitts vertreten und die sind in dem Fall, weil die ganze Geschichte juristisch sehr wage ist, wie sich ja bei den ganzen Meldungen, die jetzt so nach und nach hinterher rauskommen, herausgestellt hat – die Beschlagnahme ist eine sehr wage Geschichte und auf sehr dünnem Eis erfolgt und auch die Eigentumsfragen, wem gehören die Bilder, dass viele Bilder wirklich Eigentum von Gurlitt sind -, sind eigentlich nicht angemessen dem, dass man in einer Steuergeschichte sozusagen eine halbe Wohnung ausräumt.
Welty: Es geht ja letztlich um die Frage, Sie haben es angesprochen, ob es sich bei den Bildern aus der Sammlung Gurlitt um Raubkunst handelt aus der Zeit des Nationalsozialismus, und dem trägt die Seite Rechnung, indem man ein Anspruchsformular abrufen kann. Ist das Flucht nach vorn in Panik, oder welches Kalkül steckt dahinter?
"Sich vorher mit den Anwälten geeinigt"
Dittmar: Nein. Es ist ja so: Bei dem Fall, zum Beispiel was Gurlitt hat versteigern lassen, den Löwenbändiger von Beckmann, der hat auf der Auktion 725.000 Euro gebracht, und er hatte sich vorher mit den Anwälten von den Erben von Flechtheim geeinigt, dass er einen Anteil kriegt und die Erben einen Anteil. Das heißt, es ist in dem Fall so geteilt worden, soweit ich gehört habe, dass er 400.000 bekommen hat und an die Erben sind 325.000 Euro gefallen. Zumindest in dem Fall ist er bereit gewesen, dass es öffentlich wurde und dass bekannt war, dass es ein Raubkunstwerk ist, dass er den Erlös teilt. Denn man darf ja nicht vergessen, dass der Wertzuwachs der Bilder ein historischer Wertzuwachs ist. Beckmann wurde zu der Zeit … zum Beispiel 1933 hat an die Berliner Galerie, was jetzt die staatlichen Museen in Berlin sind, hat er ein Gemälde verkauft für tausend Mark. Seine höchsten Preise waren damals etwa 4000 Reichsmark.
Welty: Das ist ein gewaltiger Unterschied zu den Preisen, die heute gezahlt werden.
Dittmar: … die heute gezahlt werden.
Welty: Welche Rolle spielen in diesem Geschäft denn dann die Rechtsanwälte und die Kanzleien, die so was betreuen?
Dittmar: Da gibt es eine Reihe von Spezialkanzleien, wobei wir den Unterschied sehen müssen zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Recht.
Welty: Inwieweit?
"Interessant, teure Fälle zu vertreten"
Dittmar: In Deutschland dürfen Rechtsanwälte nicht auf Erfolgshonorar arbeiten. Ein Rechtsanwalt darf nicht sagen, wenn ich Erfolg habe, kriege ich die Hälfte von dem Geld, was rauskommt. Das ist aber in Amerika üblich. Amerika kennt die Beteiligung der Rechtsanwälte, die bis 50 Prozent geht, und deswegen ist natürlich für die Rechtsanwälte interessant, teure Fälle zu vertreten. Für die ist kein Bild interessant, was 2000 Euro einbringt, sondern das sind immer die großen Fälle mit Millionen-Beträgen.
Welty: Wie würden Sie die Sammlung Gurlitt nach dem, was man bislang weiß, in diesem Zusammenhang einschätzen?
Dittmar: Das ist schwer zu beurteilen jetzt. 700.000 für eine Papierarbeit im Grunde genommen ist schon ein ganz ordentlicher Preis. Aber ein Großteil der Bilder, die er hat, sind ja Grafiken und Zeichnungen, die natürlich längst nicht …
Welty: Die laufen nicht so gut?
Dittmar: Ach wo, die längst nicht die Preise bringen. Diese Milliarde, von der im "Focus“ die Rede war, das ist eine reine Fantasiezahl.
Welty: Das alles, was wir jetzt besprochen haben in den letzten Minuten, was bedeutet das dann für das Geschäft mit der Kunst und für die Kunst an sich?
Dittmar: Das ist schwer zu sagen. Die Sachen, die von Museen restituiert werden, wandern in aller Regel…
"Gezwungen, die Sachen zur Auktion zu geben"
Welty: "Zurück gegeben werden an die ehemaligen …"
Dittmar: …die ehemaligen Besitzer zurück. Das sind ja oft die Erben und wie zum Beispiel im Fall Flechtheim ist es der Großneffe, der als Erbe jetzt auftritt. Das ist schon oft die zweite Generation nach den ursprünglichen Besitzern. Die sind meist gezwungen, die Sachen zur Auktion zu geben. Das hängt damit zusammen, dass die meisten Emigranten sind, im Ausland wohnen, dort amerikanische Anwälte beauftragen, die dort auf Erfolgshonorar agieren, und wenn sie ein Bild zurück bekommen, nehmen wir an, Köln hat ja zurückgegeben dieses Bild von Tilla Durieux, was Kokoschka gemalt hat, das wird auf drei Millionen geschätzt. Wenn Sie reich sind, können Sie dem Rechtsanwalt, der das erfochten hat, können sie die anderthalb Millionen – in der Regel sind 50 Prozent in Amerika üblich – können sie die anderthalb Millionen dem in die Hand geben. Aber wer hat schon so viel Geld? Infolgedessen sind Sie selbst, wenn restituiert wird und Sie das Bild eigentlich behalten möchten, gezwungen, es zu verkaufen.
Welty: Besitz als Last – der Fall Gurlitt aus der Sicht von Peter Dittmar, langjähriger Feuilleton-Chef der Welt. Ich danke sehr für Ihre Einschätzungen.
Dittmar: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.