Neue Wohnideen für Berlin
Berlin braucht also dringend neuen Wohnraum. Ebenerdig werden die Freiflächen jedoch knapp. Dafür ist auf den Dächern noch Platz: Ein paar Start-up-Unternehmer in Berlin haben Konzepte entworfen, wie die Dächer von Wohnhäusern, Parkdecks und Supermärkten bebaut werden könnten.
Simon Becker und Andreas Rauch betreten das Flachdach eines Gebäudes in der Innenstadt. Über ihnen der Himmel, unter ihnen Berlin. Platz wäre hier genug, um ihre Idee zu realisieren – ein Haus auf dem Haus.
Becker: "Von der Höhe ist es gut, es ist nicht zu hoch, es ist anleiterbar für die Feuerwehr, es ist vorbereitet, es hat eine Absturzsicherung, es gibt einen Bodenbelag, also es ist kein Dach, das mit viel Aufwand vorbereitet werden muss, dass man drauf gehen kann, dass man drauf bauen kann…"
Rauch: "… man müsste es statisch prüfen, ob es zulässig wäre, das Ding hierhin zu stellen, das heißt neue Träger einziehen, die die Lastverteilung über die tragenden Wände ableitet, und dann wird das Ding angeliefert mit Kran und hochgehoben."
"Das Ding", von dem die beiden Architekten schwärmen, ist ein Minimalhaus, das sie entworfen haben. Bisher nur am Computer und als 1:50-Modell aus Holz. Doch sie sind überzeugt von ihrer Idee, haben deshalb vor einem Dreivierteljahr ein Start-Up-Unternehmen gegründet, um per Crowdfunding Geld zu sammeln für den Prototyp.
Klein, minimalistisch und mobil soll das Haus sein, das sie bauen wollen. Wie eine transportable Kabine aus Holz, Grundfläche: knapp 25 Quadratmeter, Wohnfläche: fast genauso viel. Darin eine flexible Versorgungseinheit, die ausreichend Komfort bietet für den Single-Haushalt – wie der Blick auf die Computeranimation zeigt.
Rauch: "Das ist jetzt ein Foto vom Giebelfenster aus gesehen in diesen Wohnbereich: ganz am Anfang ist die Tür, der eigentliche Eingang zur Cabin, gleich beim Eingangsbereich geht links hoch ne Treppe, diese Treppe führt mich auf die Empore, auf das Bett, unter diesem Bett ist das Badezimmer mit Dusche, hat alle Einrichtungen, die man braucht: Waschmaschine, Toilette und Badezimmerspiegel, und am Ende dieses Moduls ist die Küche."
Schwierige Baugenehmigungen für Minihäuser
Das eigene Häuschen über den Dächern der Stadt – viele träumen davon, nur wenige realisieren es. In Großstädten wie München und Berlin sind in den vergangenen Jahren etliche Penthouses entstanden. Simon Becker und Andreas Rauch wollen mit ihrem Konzept jedoch genau die Flachdächer erobern, die für den herkömmlichen Dachgeschossausbau zu schwierig, nicht lukrativ genug sind: Plattenbauten, Park- und Kaufhäuser, alte Industriegebäude.
Insgesamt seien 50.000 Wohnungen auf den Dächern Berlins möglich, heißt es in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Doch so verführerisch das Wohnkonzept mit dem Minihaus klingt, so schwierig ist es, eine Baugenehmigung dafür zu erhalten.
Becker: "Die Dächer sind ja da. Aber wem gehört das Dach? Wie kann ich den ansprechen? Was kann ich ihm anbieten, dass ich sein Dach benutzen kann? Wie gehe ich mit den Bewohnern, die im Haus schon leben, um? Wenn ich denen oben was draufsetze, muss ich denen was anbieten, oder nicht?"
Dazu kommen Denkmalschutz- und Brandschutzverordnungen, Fluchtwege und Absturzsicherung. Schon der Zugang zum Dach, der erst geschaffen werden muss, kann ein Problem sein. Fragen wie die nach Statik und Versorgungsleitungen für Strom und Wasser sind da vergleichsweise leicht zu klären. Hürden gibt es jedenfalls viele, Simon Becker aber ist sicher, dass sie noch im Laufe dieses Jahres ihren Prototyp bauen und auf ein Berliner Dach stellen werden.
Becker: "Wir haben Zugriff auf im Moment zwölf Dachflächen, die jetzt im Einzelfall geprüft werden, da sind wir gerade mitten im Prozess quasi der statischen Prüfung und im nächsten Schritt der Genehmigungsplanung. Zum Beispiel haben wir gesprochen mit einer größeren Supermarktkette, wenn die hören, sie können hier Flächenpotenziale verpachten, es gibt ein kleines Plus im Geldbeutel, dann sagen die: 'ja, machen wir. Wenn wir da keine Scherereien mit haben, und es ist ein sicheres Projekt', dann sind die mit im Boot."
Das Wohnkonzept richtet sich vor allem an "digitale Nomaden", wie die Architekten ihre potenziellen Kunden nennen. An Menschen, die viel unterwegs sind, und Lust auf ein Zuhause auf Zeit haben. Vier bis sechs Wochen würde es dauern, das erste Minimalhaus fertigen zu lassen. 60- bis 100.000 Euro soll es kosten – je nach Ausstattung. Macht 2400 bis 4000 Euro pro Quadratmeter. Sozialer Wohnungsbau ist das nicht. Kaufinteressenten aber hätten sie genug, sagen sie. Und sind überzeugt: es wird einen Run auf Berlins Dächer geben.
Becker: "Ja, definitiv. Auf jeden Fall. Der Preis für ne Dachfläche wird dementsprechend auch steigen, aber das ist ganz normal, wenn sich ein neuer Markt irgendwie auftut, wir können kaum über Konkurrenz sprechen, weil jeder andere, der sich mit dem Thema beschäftigt, das Thema eigentlich nur beflügelt."
Hotel auf oberstem Parkdeck
Im Berliner Bezirk Lichtenberg ist das Wohnkonzept der Zukunft schon Realität. Hier steht ein erster Prototyp – ein Hotelmodul auf dem obersten Deck einer Parkgarage.
"Stellen Sie sich einfach vor, Sie kommen hier in den Hotelflur rein,…"
Warme Farben empfangen den Besucher, aus dem angedeuteten Flur geht es schnurstracks ins Zimmer.
"… und ab hier beginnt im Prinzip das Hotelerlebnis, wie man es auch erwarten würde…"
Großes Doppelbett, kleines Bad mit Dusche und WC, Fernseher, Kühlschrank, Mikrowelle. Und hinter dem Vorhang ein prächtiges Panorama.
"… hier haben Sie einen wunderschönen Ausblick auf den Alexanderplatz, in der Ferne, man kann sich jetzt sehr gut vorstellen, dass auf dem obersten Parkdeck von nem Parkhaus auch ein Hotel sehr gut funktioniert, genau: das ist unser Hotelzimmer, unser Prototyp."
Schlafen statt parken, heißt hier die Devise. Nicht in einem Minimalhaus, sondern in einem Hotelmodul. Größe und Bauweise sind vergleichbar. Skypark nennt Björn Hiss das Konzept. Die Grundidee: die einzelnen Hotelzimmer werden im Modularbauverfahren seriell hergestellt und können anschließend in beliebiger Anzahl neben- und übereinander montiert werden. Wie Container auf einem Schiff. Das garantiert größtmögliche Flexibilität. Ein wichtiger Aspekt, weil der Hotelbetreiber den Grund und Boden, auf dem die Module stehen, für einen begrenzten Zeitraum pachten kann.
"Wir haben dann geschaut, wo in Städten die größten Potenziale an ungenutzten Flächen sind. Und kamen dann eben auf die Möglichkeit, oberste Parkdecks zu überbauen, die Flächen, die in der Stadt am allerseltensten von Autos angefahren werden, weil Parkhäuser sich von unten nach oben auffüllen und die obersten Freidecks in der Regel die am seltensten angefahren Flächen im Parkhaus sind, und somit in innerstädtischen Lagen Flächen für ein Hotel zur Verfügung standen, die wir ganz konsequent gesucht und auch gefunden haben."
Wohnungen auf Parkhäusern kaum möglich
Statisch sei das alles kein Problem, fügt er hinzu. Insbesondere Parkhäuser aus den 1980er- und 90er-Jahren verfügten über ausreichende Reserven. Auch die Versorgungsstränge für Wasser und Strom seien in der Regel leicht zu installieren, Fluchtwege und Absturzsicherungen meist schon vorhanden. Deshalb war es ein Leichtes, das Mustermodul auf dem Parkdeck in Berlin-Lichtenberg zu errichten. Björn Hiss blickt optimistisch in die Zukunft.
"Unser erstes Projekt wird im Laufe dieses Jahres in Berlin realisiert, wir gehen davon aus, dass wir das Gebäude selbst im Sommer, Spätsommer so weit ertüchtigt haben, dass auf das vorbereitete Parkdeck dann das Modulgebäude aufgebracht werden kann und spätestens Anfang nächsten Jahres an einen Hotelbetreiber übergeben werden kann. Das sind knapp 150 Zimmer, die wir da realisieren, auch der Pachtvertrag mit dem Hotelbetreiber ist an der Stelle schon unterschrieben, und jetzt erwarten wir die Baugenehmigung im ersten Quartal dieses Jahres."
Eine gewagte Perspektive – die Personalprobleme in den Berliner Bauämtern sind groß. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beurteilt das Projekt grundsätzlich positiv, würde sich aber statt neuer Hotels mehr Wohnungsbau wünschen. Geht in diesem Fall nicht, sagt Björn Hiss, Parkhäuser sind im Bebauungsplan als Gewerbeflächen eingetragen.
"Das heißt man kann auf so einem Center oder auf so einem Parkhaus in der Regel keine Wohnungen realisieren, in Ausnahmen geht das, das haben wir in manchen Projekten schon geprüft und andiskutiert mit den Behörden, aber in den allermeisten Fällen ist nur eine gewerbliche Nutzung, also zum Beispiel ein Büro oder eben ein Hotel als Beherbergungsbetrieb gewerbliche Nutzung vorgesehen, und deswegen auch nur ein Hotel möglich."
Sicher: auch hier gibt es noch Bedarf – angesichts von mehr als 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr in der Hauptstadt. Aber schöner wäre es, wenn man mit Hilfe der Dächer auch den Wohnungsbau ankurbeln könnte. Die Zeiten, in denen Arbeiten und Wohnen strikt getrennt waren, sind längst vorbei. Die Dächer bieten jedenfalls noch reichlich Potenzial für neue Wohnkonzepte.