Raum für eigene Reflexionen
Lange Zeit war Tomas Tranströmer in Deutschland ein Geheimtipp. Seine Gedichte waren nur einem kleinen Kreis bekannt, genau wie seine Prosaskizze "Die Erinnerungen sehen mich". Der Verleger Michael Krüger hat sich der Skizze angenommen und sie mit Gedichten eingelesen.
Am Anfang geht es in diesem Hörbuch still zu. Der Hörer scheint einen verlassenen Saal zu betreten, der sich nur langsam mit Klängen füllt: Buchstabe für Buchstabe, Satz für Satz. Michael Krüger nimmt jedes Wort des schwedischen Dichterfreundes Tomas Tranströmer sorgsam auf, tastet es mit seinen Atemzügen ab, bevor er es freigibt.
"'Mein Leben'. Wenn ich diese Worte denke, sehe ich einen Lichtstreifen vor mir. Bei näherer Betrachtung hat der Lichtstreifen die Form eines Kometen, mit Kopf und Schweif ... Ich bin jetzt weit im Kometenschweif drinnen, ich bin sechzig Jahre alt, da ich dies schreibe."
Krügers Stimme ist geräumig. Sie bietet genug Platz für ein Dichterleben, das 1931 im Stockholmer Stadtteil Söder beginnt.
"Die Anschrift lautet: Swedenborgsgatan 33. Papa ist noch bei der Familie, wird sie aber bald verlassen. Der Umgangston ist recht 'modern' - von Anfang an sage ich zu meinen Eltern du."
Nach dem Besuch der Volksschule Katarina Norra wechselt Tranströmer auf die "Höhere allgemeine Lehranstalt für Knaben". Und wird im Lateinunterricht beim Übersetzen von Horaz erstmals mit den "Bedingungen der Poesie" konfrontiert.
"Durch die Form konnte etwas angehoben werden. Die Raupenfüße waren weg, die Flügel entfalteten sich ... nach dem Abitur schrieb ich zwei Gedichte in sapphischem Metrum. Das eine war 'Ode an Thoreau' - später verschlankt zu 'Fünf Strophen an Thoreau', nachdem ich die jugendlichsten Teile gestrichen hatte."
Eine wunderbare Idee, diese Ode des jugendlichen Dichters nun auch hören zu können.
"Keiner glaubt dem, der einen Geysir gesehn; vom steinernen Brunnen geflohen wie Thoreau, geht er und kann dann tief im Grün seines Innern verschwinden, listig, voll Hoffnung."
Krüger gibt sich der Leichtigkeit des Versmaßes hin, das der Übersetzer Hanns Grössel für die deutsche Fassung bewahrt hat. Nun wird klar, warum neben dem Prosatext und der frühen Ode noch weitere poetische Kostproben des reifen Dichters ausgewählt wurden. Sie werden in einem schwedisch-deutschen Zwiegespräch präsentiert.
"Die fünf Streicher spielen. Ich gehe durch laue Wälder nach Hause, der Boden federt unter mir, ich ringele mich zusammen wie ein Ungeborenes, schlummre, rolle schwerelos in die Zukunft hinein, spüre plötzlich, dass die Pflanzen Gedanken haben."
Respekt und Neugier bestimmen die innere Haltung des Sprechers, der zwischen den Zeilen viel mehr entdeckt als die Wörter zu sagen imstande sind. Krüger inszeniert Tranströmers Texte nicht. Mit sensibel wie sinnvoll gesetzten Atempausen verschafft er dem Hörer Raum für eigene Reflexionen. Mitunter scheint ein nachdenkliches Lächeln auf seinen Lippen zu liegen. Zum Beispiel wenn die Kindheit als ein uns allen bekanntes Universum hervortritt, in dem weder Zeit noch Raum herrschten.
"Insekten, vor allem Käfer, sammelte ich, als ich elf Jahre alt geworden war und ungefähr bis zum Ende meines fünfzehnten Lebensjahres ... Ständig war ich auf Exkursionen unterwegs. Ein Leben in frischer Luft ohne den geringsten Gesundheitsaspekt ... aber ich nahm viele Erlebnisse von Schönheit in mich auf, ohne davon zu wissen."
Tranströmer spricht von der Magie des Erinnerns. Verborgenes wird sichtbar, das weit über die eigene biografische Linie hinausführt. Er verwickelt den Hörer in einen Dialog. Und plötzlich wird klar, dass jedes Wort - schwedisch oder deutsch - ein Erinnerungsspeicher ist, in dem es um die menschliche Existenz geht.
"Mitten im Leben geschieht's, dass der Tod kommt und am Menschen Maß nimmt. Diesen Besuch vergisst man, und das Leben geht weiter. Doch im Stillen wird der Anzug genäht."
Besprochen von Carola Wiemers
Tomas Tranströmer: Die Erinnerungen sehen mich
Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel
Gelesen von Michael Krüger.
Ungekürzte Lesung, 2 CDs, 109 Minuten,
Hörbuch Hamburg, Hamburg 2011, 12,99 Euro
"'Mein Leben'. Wenn ich diese Worte denke, sehe ich einen Lichtstreifen vor mir. Bei näherer Betrachtung hat der Lichtstreifen die Form eines Kometen, mit Kopf und Schweif ... Ich bin jetzt weit im Kometenschweif drinnen, ich bin sechzig Jahre alt, da ich dies schreibe."
Krügers Stimme ist geräumig. Sie bietet genug Platz für ein Dichterleben, das 1931 im Stockholmer Stadtteil Söder beginnt.
"Die Anschrift lautet: Swedenborgsgatan 33. Papa ist noch bei der Familie, wird sie aber bald verlassen. Der Umgangston ist recht 'modern' - von Anfang an sage ich zu meinen Eltern du."
Nach dem Besuch der Volksschule Katarina Norra wechselt Tranströmer auf die "Höhere allgemeine Lehranstalt für Knaben". Und wird im Lateinunterricht beim Übersetzen von Horaz erstmals mit den "Bedingungen der Poesie" konfrontiert.
"Durch die Form konnte etwas angehoben werden. Die Raupenfüße waren weg, die Flügel entfalteten sich ... nach dem Abitur schrieb ich zwei Gedichte in sapphischem Metrum. Das eine war 'Ode an Thoreau' - später verschlankt zu 'Fünf Strophen an Thoreau', nachdem ich die jugendlichsten Teile gestrichen hatte."
Eine wunderbare Idee, diese Ode des jugendlichen Dichters nun auch hören zu können.
"Keiner glaubt dem, der einen Geysir gesehn; vom steinernen Brunnen geflohen wie Thoreau, geht er und kann dann tief im Grün seines Innern verschwinden, listig, voll Hoffnung."
Krüger gibt sich der Leichtigkeit des Versmaßes hin, das der Übersetzer Hanns Grössel für die deutsche Fassung bewahrt hat. Nun wird klar, warum neben dem Prosatext und der frühen Ode noch weitere poetische Kostproben des reifen Dichters ausgewählt wurden. Sie werden in einem schwedisch-deutschen Zwiegespräch präsentiert.
"Die fünf Streicher spielen. Ich gehe durch laue Wälder nach Hause, der Boden federt unter mir, ich ringele mich zusammen wie ein Ungeborenes, schlummre, rolle schwerelos in die Zukunft hinein, spüre plötzlich, dass die Pflanzen Gedanken haben."
Respekt und Neugier bestimmen die innere Haltung des Sprechers, der zwischen den Zeilen viel mehr entdeckt als die Wörter zu sagen imstande sind. Krüger inszeniert Tranströmers Texte nicht. Mit sensibel wie sinnvoll gesetzten Atempausen verschafft er dem Hörer Raum für eigene Reflexionen. Mitunter scheint ein nachdenkliches Lächeln auf seinen Lippen zu liegen. Zum Beispiel wenn die Kindheit als ein uns allen bekanntes Universum hervortritt, in dem weder Zeit noch Raum herrschten.
"Insekten, vor allem Käfer, sammelte ich, als ich elf Jahre alt geworden war und ungefähr bis zum Ende meines fünfzehnten Lebensjahres ... Ständig war ich auf Exkursionen unterwegs. Ein Leben in frischer Luft ohne den geringsten Gesundheitsaspekt ... aber ich nahm viele Erlebnisse von Schönheit in mich auf, ohne davon zu wissen."
Tranströmer spricht von der Magie des Erinnerns. Verborgenes wird sichtbar, das weit über die eigene biografische Linie hinausführt. Er verwickelt den Hörer in einen Dialog. Und plötzlich wird klar, dass jedes Wort - schwedisch oder deutsch - ein Erinnerungsspeicher ist, in dem es um die menschliche Existenz geht.
"Mitten im Leben geschieht's, dass der Tod kommt und am Menschen Maß nimmt. Diesen Besuch vergisst man, und das Leben geht weiter. Doch im Stillen wird der Anzug genäht."
Besprochen von Carola Wiemers
Tomas Tranströmer: Die Erinnerungen sehen mich
Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel
Gelesen von Michael Krüger.
Ungekürzte Lesung, 2 CDs, 109 Minuten,
Hörbuch Hamburg, Hamburg 2011, 12,99 Euro