Raum-Zeit-Skulpturen und Bastelarbeit

Von Gerd Brendel |
Als Kunstform rangiert die Performance zwischen Tanz und Theater. Sie kann ohne Worte auskommen, Stimme und andere Klangmittel aber auch gekonnt einsetzen. Was die Performance als Ausdrucksform leisten kann, das hat man in den Berliner Sophiensaelen genauer wissen wollen und deshalb vier Tage lang ein dichtes Programm mit Vorträgen, Screenings und Gesprächen absolviert.
"Auf das Unsichtbare, auf die Steine, den Ton und den Sand unter der Stadt! Cheers!"

Aufmunternd hält die australische Künstlerin Wietske Maas dem Besucher ein trübes Glas Wasser vor die Nase. "Steinwein" nennen sie und ihr Kollege Matteo Pasquinelli ihr Gebräu, dass sie aus märkischem Sand und Berliner Backsteinen destilliert haben. Die Apparatur steht im Hof der Sophiensäle in Berlin-Mitte. Milchig schimmert die Flüssigkeit in großen Glasballons, die aussehen wie aus einer Alchemistenküche.

"Unser Destilat feiert das 'Anorganische' und erinnert daran, dass zu unserem Leben nicht nur organische Materie gehört, sondern auch der Austausch mit dem Anorganischen."

Die Performance der beiden Künstler ist halb Abendmahl, halb alkoholfreie Weinprobe:

"Irgendwas passiert. Es ist anti-statisch."

- definiert die Künstlerin die Kunstform, der die Sophiensäle an diesem Wochenende ein ganzes Festival widmen. "Performance-plattform – Body affects"-

"Das Festival heißt body affects", erklärt Kuratorin Bettina Knaup.

"Und wir interessieren uns für Künstlerinnen,. die diesen affektiven Körper untersuchen – nicht im Sinne von Emotion, sondern der Körper. Der dialogisch mit der Welt in Beziehung steht, der ständig in Berührung und im Austausch ist."

In Beziehung zu toten Steinen oder zu unbelebten Objekten, wie in der Performance "Absolute Helligkeit" von Naoko Tanaka.

Wie von einem Orkan hochgewirbelt schweben Schubladen im Raum. Ihr Inhalt ergießt sich auf den Boden: Briefe, Holz, ein dicker Strahl schwarzer Flüssigkeit, zu Säulen erstarrt.

Tanaka steht in der Mitte . Mit einer Lampe am Ende einer langen Stange leuchtet sie ins Innere der Schubkästen. Die Holzsplitter werfen groteske Riesenschatten an die Wand und werden zu Höhlen, Zimmerfluchten und verwinkelten Treppenhäusern – Tanaka verwandelt die Möbeltrümmer in lebendiges Zaubertheater.

"Zeit und Raum zusammen zu gestalten, nicht getrennt, Zeitlichkeit und Räumlichkeit wie eine Skulptur."

So definiert die japanische Künstlerin "performance".

Wenn das Verhältnis belebter Körper/unbelebte Materie ein Schwerpunkt des Festivals ist, dann ist das Verhältnis Mensch/Tier der zweite Schwerpunkt. Eine Soziologin referiert über das Verhalten von Zirkustieren, ein Philosoph fordert mehr Rechte für Vierbeiner und die charismatische Allround-Künstlerin Antonia Baehr, eine Ururenkelin Bettina von Arnims, entführt ihr Publikum in die hermetische Welt einer "Frauchen"-"Hunde"-Beziehung. Wochenlang hat sie ihre Mutter und deren Hund beobachtet und aufgenommen.

"Also es geht um bricolage, auf Deutsch ist das Basteln, das Basteln einer Sprache, diese Sprache, die meine Mutter mit dem Hund spricht, aber auch der Hund mit ihr, ist ein Gebastel aus erfundenen Wörtern. Das hat mit interessiert."

Um die zusammengebastelte Mensch-Tier-Welt zu dokumentieren, ist Antonia Baehr selbst zur Bastlerin geworden. Tier und Menschenlaute kommen von selbst gepressten Schallplatten, die sie wie ein DJ scratcht und bearbeitet. Ein alter Overhead-Projektor wirft Kritzeleien an die Wand. Am Ende ruft, bellt und hechelt sie zehn Minuten lang eine Art Kurt-Schwitters-Ursonate für Frauchen und Hund.

Aktion, Alchemie, Raum-Zeit Skulptur und Bastelarbeit: das alles ist Performance. Im besten Fall wie bei Naoka Tanaka oder Antonia Baehr werden Alltagsdinge lebendig und Haustiere zu gleichberechtigten Helden einer verborgenen Choreografie.

Draußen im Hof der Sophiensäle tropft der Regen in die halb vollen Gläser mit "Steinwein" Irgendwo bellt ein Hund. Schatten tanzen über die alten Backsteine. Performances begleiten unseren Alltag eigentlich ständig. Nur brauchen wir meistens Performance-Künstler, damit wir sie auch wirklich schmecken, sehen, hören und wahrnehmen.