Raumfahrt

Anflug zur Kometenlandung

Von Dirk Asendorpf |
Schweifsterne beflügeln die menschliche Fantasie schon seit Urzeiten. Sie gelten als Unglücksboten – könnten aber auch vor Jahrmilliarden das erste Wasser und die Bausteine für das Leben auf die Erde gebracht haben. 1986 hatte die europäische Giotto-Sonde erste Nahaufnahmen eines unförmigen, pockennarbigen Klotzes geliefert, als sie in hohem Tempo am Kometen Halley vorbeirauschte. In diesem Jahr steht nun das erste echte Rendezvous bevor. Am 20. Januar beginnt die europäische Rosetta-Sonde mit ihrem Landeanflug auf den Kometen Churyumov-Gerasimenko.
Höchste Zeit zum Aufwachen! Für die Rosetta-Sonde gehen zweieinhalb Jahre Winterschlaf zu Ende. Am Montag beginnt die entscheidende Phase einer der ehrgeizigsten – und mit Gesamtkosten von einer Milliarde Euro auch teuersten – Missionen der europäischen Raumfahrt. Auf ihrem verschlungenen Weg zum Kometen Churyumov-Gerasimenko musste Rosetta sich dreimal von der Erde und einmal vom Mars zusätzlichen Schwung holen. Dann verließ sie das innere Sonnensystem und wurde bis hinaus auf die Jupiter-Umlaufbahn getragen. Paolo Ferri ist im Darmstädter Kontrollzentrum für ihre Steuerung verantwortlich.
"Wir waren so weit weg von der Sonne, dass sogar unsere High-Tech-Solarsegel nicht genug Energie liefern konnten, um das Raumfahrzeug zu betreiben. Wir mussten fast alle Systeme abschalten, die Sonde in Rotation versetzen und alleine lassen. Seit dem 8. Juni 2011 haben wir kein Signal mehr erhalten. So etwas machen wir wirklich nicht gerne. Am 20. Januar wird diese Phase enden."
Rosetta ist dann zwar immer noch sehr weit von der Sonne entfernt, doch wenn die Berechnungen stimmen, müsste sie genug Solarenergie auffangen können, um aus der Winterstarre zu erwachen und ein erstes Lebenszeichen zu senden.
"Leider ist die Erde dann auf der anderen Seite der Sonne und Rosetta ungefähr 800 Millionen Kilometer von uns entfernt. Alle Kommandosignale, obwohl sie ja mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind, werden deshalb 45 Minuten in jede Richtung benötigen."
Aus der Umlaufbahn herauskatapultiert
Begonnen hatte die lange Reise vor zehn Jahren auf der Startrampe des europäischen Weltraumbahnhofs im südamerikanischen Kourou. Es war das erste Mal, dass die europäische Ariane-Rakete eine Sonde aus der Erdumlaufbahn hinauskatapultierte. Dafür war sie mit zusätzlichem Schub ausgestattet worden.
Der Start verlief perfekt, allerdings erst im zweiten Versuch. Der erste war 13 Monate zuvor im letzten Moment abgeblasen worden, weil es Zweifel an der Zuverlässigkeit der neuen Trägerrakete gab. Rosetta kam zurück in eine klimatisierte Halle.
Dort musste die Sonde vom Format eines Smart-Kleinwagens umgebaut werden. Denn der ursprünglich angepeilte Komet Wirtanen war nun nicht mehr zu erreichen. Und der Weg zu Churyumov-Gerasimenko verlief näher an der Sonne. Rosetta bekam einige genau berechnete Silberstreifen auf ihre schwarze Außenhaut, um einen Teil der Strahlung zu reflektieren und so eine Überhitzung zu verhindern. Und weil „Chury“, wie das neue Ziel im Projektteam gerne genannt wird, mit seinem Durchmesser von drei bis fünf Kilometern viermal so groß ist wie Wirtanen, musste Rosetta auch für die damit verbundene höhere Anziehungskraft vorbereitet werden. Claude Berner war dafür zuständig.
"Wir mussten die Beine des Landegeräts anpassen, denn die Landegeschwindigkeit wird höher sein. Ansonsten haben wir an der Hardware fast nichts verändert, aber die Software mussten wir für den veränderten Ablauf der Mission umschreiben. Das waren ganz schön viele Aktivitäten."
Das Projekt wurde akribisch dokumentiert
Und sie wurden akribisch dokumentiert. Denn der Erhalt des Wissens ist bei einem derartigen Langzeitprojekt eine der größten Herausforderungen. Die ersten Vorstudien waren Mitte der 80er Jahre erstellt worden, damals noch in Kooperation mit der Nasa. Nachdem die ausgestiegen war, begann die Europäische Weltraumagentur ESA mit der Detailplanung. Gerhard Schwehm war als wissenschaftlicher Projektleiter von Anfang an dabei.
"Wir haben die Instrumente 1996/1997 ausgesucht. Und wir haben hier bei der Esa eigentlich von dem früheren Projektteam, all die Leute, die sind eigentlich jetzt schon im Ruhestand. Ich muss ja jetzt leider auch in die Pension, also gerade bevor die Mission zum Höhepunkt kommt – und werde aber die nächsten zwei Jahre dann als Berater das Team hier unterstützen."
Damit auf die Detailkenntnisse der Entwickler jederzeit zurückgegriffen werden kann, haben sie noch vor ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben ausführliche Interviews zu jedem einzelnen Instrument an Bord gegeben.
"Die haben uns beschrieben, wie es kalibriert wurde, wie es funktionieren soll, haben auch beschrieben wo eigentlich Probleme auftauchen könnten. Das haben wir also festgelegt auf Videos und digital dazu so ein Frage-und-Antwort-System eingeführt, dass also wenn irgendwelche Schlagworte genannt werden, können wir sofort auf die Dokumente zurück gehen und schauen: Gibt’s da Möglichkeiten wenn ein Problem auftauchen sollte, dass man das auf Grundlage der Information, die da noch vorhanden ist, löst. Das ist ein schwieriges Unterfangen das so zu machen, aber da haben wir eigentlich alles gemacht, um sicherzustellen, dass dieses Knowhow doch über die Jahrzehnte gewahrt wird."
Sonde muss extrem abgebremst werden
Jetzt, 30 Jahre nach der Idee und zehn Jahre nach ihrem Start setzt Rosetta zum Landeanflug an. Noch ist die Sonde neun Millionen Kilometer von Chury entfernt, doch direkt nach dem Ende der Tiefschlafphase soll sie das schwache Licht des noch inaktiven Kometen am schwarzen Himmel suchen, anpeilen und Kurs nehmen. Mit knapp 3000 Kilometern pro Stunde rast Rosetta dann auf ihr Ziel zu, bis Juli muss die Sonde auf Schrittgeschwindigkeit abgebremst und wenige Kilometer vor dem Kometen gestoppt werden. Paolo Ferri:
"Von August bis Oktober werden wir sehr komplexe Manöver um den Kometen herum fliegen um ihn kennenzulernen. Bisher wissen wir ja noch nicht einmal genau, wo er sich befindet – aber das werden wir bis dahin ja herausgefunden haben. Und wir wissen auch nicht, wie er aussieht. Wir haben Modelle, aber die sind nicht gut genug, um ihn zu umkreisen. Wir müssen seine genaue Form, sein Schwerefeld, seine Oberflächenstruktur kennen und alles über das Gemisch aus Gas und Staub herausfinden, das ihn umgibt. Wenn wir zum ersten Mal um ein völlig unbekanntes Objekt herumfliegen, müssen wir sehr sehr vorsichtig sein."
Zwar hat die Kometenwissenschaft seit dem Start der Rosetta-Sonde einiges dazugelernt. 2005 manövrierte die Nasa-Mission deep impact einen Kupferkegel in die Flugbahn des Kometen Tempel 1. Beim Aufprall riss er einen 200 Meter breiten Krater in die watteweiche Oberfläche. Und 2006 brachte die ebenfalls von der Nasa gestartete Stardust-Sonde etwas Staub aus dem Schweif des Kometen Wild-2 zurück zur Erde. Doch Gerhard Schwehm bezweifelt, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse auf Churyumov-Gerasimenko übertragen werden können.
"Wenn man die Kometen, die man aus der Nähe bisher beobachtet hat, wenn man die schön in einer Reihe zeigt, dann zeigt sich einfach, dass die alle anders aussehen. Also da gibt’s doch gewaltige Unterschiede zwischen den Kometen. Das ist eine der neuen Erkenntnisse, dass da ne große Vielfalt herrscht."
Keine Ahnung von der Oberflächenbeschaffenheit
Alle bisherigen Kometen-Beobachtungen wurden mit Teleskopen oder im rasend schnellen Vorbeiflug gewonnen. Rosettas Rendezvous ist eine Premiere. Schon nach wenigen Minuten wird die Sonde mehr Zeit in direkter Nähe eines Schweifsterns verbracht haben als alle anderen Missionen zuvor.
"Wir haben keine Ahnung über die Oberflächenbeschaffenheit, das kann von sehr weichem Material, also wie Neuschnee oder noch weicher zigarettenaschenartig bis zu relativ hartem, porösem Eis mit Staub – die ganze Palette sein. Rosetta wird Anfang August in einen Orbit um den Kometen einschwenken und dann mit den Kameras vom Orbit hoch aufgelöste Bilder machen."
Stephan Ulamec ist besonders darauf angewiesen. Denn er gehört zum Kölner Team des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, das den Höhepunkt der Rosetta-Mission geplant hat: Die Landung. Philae heißt das 100 Kilo schwere Labor, das Rosetta Mitte November aus drei Kilometern Höhe auf die Kometenoberfläche hinunterschubsen soll. Damit es wegen der fast vollständig fehlenden Gravitation nicht wie ein Pingpongball abprallt, geschieht das im Schneckentempo. Und drei Teleskopbeinchen sollen das Aufsetzen dämpfen.
"Wir haben wirklich eine relativ große Landeungenauigkeit. Und das bedeutet wiederum, dass wir ein relativ großes Areal auf dem Kometen finden müssen – etwa einen Quadratkilometer – das relativ angenehmes Terrain für eine Landung vorweist. Des Weiteren haben wir Anker-Harpunen, die bei der Landung geschossen werden und den Lander verzurren auf dem Boden. Und dann haben wir noch so Art Schrauben in den Füßen, die auch 'ne gewisse Verankerung bieten sollten. Wenn die Oberfläche wirklich halbwegs flach ist, dann hat er sehr gute Chancen zu landen. Wenn das ne ganz böse zerfurchte Oberfläche mit großen Eisbrocken und in den Himmel stehenden Eiszapfen ist, dann ist das Risiko entsprechend höher."
Noch ist die Sonde Rosetta im Winterschlaf
Mindestens zwei Tage – wenn die Solarzellen nicht schnell zustauben sogar drei bis vier Monate lang – soll Philae dann klären, woraus der Komet genau besteht und ob er tatsächlich neben Eis und Staub auch Mineralien und organisches Material aus der Frühzeit des Universums mit sich führt.
"Da werden also Proben genommen mit dem Bohrer, die werden in einem Öfchen platziert, die Öfchen erhitzen die Proben, die Gase die aufsteigen, werden dann mit Massenspektrometern und Gaschromatographen untersucht. Zum anderen haben wir auch mehrere Kameraköpfe, wir werden also ein Panoramabild von der Landestelle gewinnen, eine Kamera, die nach unten schaut, die schon im Anflug Bilder von der Oberfläche macht. Wir haben ein Magnetometer, wir haben akustische Sensoren in den Füßen, wir haben ein Radarinstrument, wo man mit Mikrowellen zwischen Lander und Orbiter Radarwellen hin- und herschicken und dadurch den Kometenkern scannen und den inneren Aufbau messen kann."
Während all diese Experimente ablaufen wird Chury sich der Sonne nähern. Dabei steigt seine Temperatur langsam an, Gas entweicht, reißt Staub von der Kometenoberfläche mit und bildet den typischen, bis zu 100 Millionen Kilometer langen Schweif. Von der Erde wird er mit bloßem Auge nicht zu sehen sein, doch Rosetta kann ihn aus nächster Nähe unter die Lupe nehmen.
Vorausgesetzt die Sonde erwacht tatsächlich aus dem Winterschlaf. Als moralische Unterstützung hat die PR-Abteilung der ESA ein ganzes Weckerbataillon auf ihrer Website platziert und einen Wettbewerb mit Weckruf-Videos ausgelobt.