Raus aus dem Elfenbeinturm
Die Erkenntnisse der Philosophie einem größeren, auch nicht-akademischen Publikum präsentieren, das ist das Ziel des Festivals phil.Cologne. Ein Gespräch mit dem Programmleiter Wolfram Eilenberger über die großen Fragen der Menschheit, ärgerliche Esoterik - und Peer Steinbrücks Suche nach Gerechtigkeit.
Ulrike Timm: Die Philosophie, die Liebe zur Weisheit, versucht die Welt und die menschliche Existenz zu deuten. Zugleich ist Philosophie etwas wunderbar Praktisches: Jedes Kind, das fragt, warum bin ich da, philosophiert, und an den berühmten, schlicht verkniffelten Fragen des großen Kant – was kann ich wissen, was darf ich hoffen, was soll ich tun – arbeiten wir uns ein Leben lang ab, vielleicht auch, ohne die vierte, die ganz große zu stellen: Was ist der Mensch? Wie gefragt Philosophie in einer immer komplexeren Welt ist, das zeigen viele populäre Bücher, Fernsehshows. Wir philosophieren gemeinsam im Café-Treffen, und von heute an bis zum 30. Juni auch die phil.Cologne, das ist die Schwesterveranstaltung zum etablierten Literaturfestival lit.Cologne, und die gibt es in diesem Jahr zum ersten Mal. Mit dabei ist Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des "Philosophiemagazins" und Programmleiter des Festivals. Willkommen!
Wolfram Eilenberger: Guten Tag!
Timm: Was ist denn die Grundidee? Auf welche Fragen hoffen Sie?
Eilenberger: Die Grundidee lässt sich durch das Motto des Festivals phil.Cologne eigentlich gut zusammenfassen, das lautet: "Die Suche hat begonnen." Und so ist es ein Festival, das keine Antworten gibt, sondern Fragen aufnimmt, Fragen stellt, und diese Fragen sind die Fragen, die unsere Existenz im ganz alltäglichen Sinne betreffen. Ich glaube, die Leitfrage unseres Festivals ist einfach die: Wie will ich leben? Das sind Fragen, die sich zum Beispiel mit konkret ethischen Problemen auseinandersetzen wie der Sterbehilfe oder auch der Empfängnisverhütung, aber auch Fragen des ästhetischen Lebens, zum Beispiel, welchen Platz die Kunst in unserem Leben haben wird, und vielleicht auch Bereiche, in denen man die Philosophie nicht vermutet, wie die Frage: Was macht Fußball eigentlich schön, und warum sind vier Milliarden Menschen dabei, ein Ballspiel zu sehen, was suchen sie in diesen Erfahrungen?
Timm: Das sind so schöne Fragen, Fragen, die sich natürlich auch andere Disziplinen stellen. Welchen tatsächlichen Wert hat denn philosophisches Denken, oder ist das per se schon die ganz falsche Frage?
Eilenberger: Ich glaube tatsächlich, dass dieses Festival verschiedene Funktionen erfüllt, und die erste und wichtigste wäre mir, dass man die Erfahrung des Philosophierens überhaupt macht und nachvollziehen kann, es wird ja immer gleich gefragt, wozu ist die Philosophie eigentlich gut? Es ist nur eine philosophische Antwort, zu sagen, es gibt Dinge, die an sich gut sind, wie das Flötespielen, das Klavierspielen oder das Spazierengehen. Und das Philosophieren ist auch eine Tätigkeit, die an sich gut ist, weil es eine schöne, bereichernde und inspirierende Erfahrung ist, und das wäre unser erstes Ziel, den Menschen zu vermitteln, dass das Leben mit Philosophie und mit dem Philosophieren ein schöneres, reicheres Leben ist.
Timm: Bei Ihnen selbst ist das ziemlich kompliziert, Herr Eilenberger, Sie sind ja Journasoph. Was ist das?
Eilenberger: Das ist wahr, als Chefredakteur des Philosophiemagazins bezeichnen wir uns als Journasophen, das heißt, dass wir uns als Mittler sehen zwischen der Sphäre der akademischen Philosophie, aus der wir kommen, und dem Journalismus im Sinne einer Vermittlungsleistung, die immer auf die Frage zielt, was haben die Erkenntnisse, die Gedanken, die Fragen, die derzeit in der Philosophie gestellt werden, für mein eigenes Leben produktiv zu bedeuten?
Timm: Heißt das, so ein richtiger Philosoph rümpft über einen Journasophen per se die Nase?
Eilenberger: Das sollte er, glaube ich, nicht, denn wenn wir an die Anfänge der Philosophie denken, Sokrates beispielsweise, dann war das auch ein Mensch, der von seinen eigenen Fragen geplagt unter die Leute mit den Menschen auf dem Marktplatz philosophierte, und die Vermittlungsleistung war immer eine sehr wesentliche für die Philosophie. Die Gefahr besteht immer, und derer sind wir uns auch bewusst, die Philosophie zu verflachen, sie teilweise auch zu missbrauchen. Andererseits sind die Erkenntnisse der Philosophie so wichtig, dass wir sie nicht nur in der Akademie belassen wollen.
Timm: Gucken wir uns das mal an: Wenn man Philosophie nun ganz praktisch im täglichen Leben verankern wird, dann kann man natürlich auch böse sagen, es gibt die Esoterik, es gibt die Lebenshilfe, es gibt die Ratgeberliteratur, es gibt die Werde-froh-Routine, und jetzt gibt es eben auch noch die praktische Philosophie.
Eilenberger: Ich glaube, was die Philosophie auszeichnet im Vergleich zu den von Ihnen genannten Gebieten, ist zum einen mal eine Ernsthaftigkeit. Philosophie ist etwas für Menschen, die ihre eigenen Fragen ernst nehmen und wissen, dass diese Fragen nicht mit einem einfachen Patentrezept beantwortet werden können. Also wenn Sie einen Menschen haben, dem Sie eine Frage stellen und der sagt, ich habe genau die Lösung für dein Problem, dann wissen Sie zumindest eines: Er ist kein Philosoph. Die Philosophie ist die Kunst des Fragens und des Öffnens. Und deswegen kann es nicht sein, dass eine Philosophie sich in eine Ratgeberposition begibt, und das streben wir wieder mit dem Magazin noch mit dem Festival an.
Timm: Jetzt haben sie philosophisch-virtuos meine Fragen insofern ein bisschen umkurvt, als dass doch diese praktischen Philosophiebücher in einer schlichten Buchhandlung neben Esoterik, Lebenshilfe und Werde-froh-Routine stehen.
Eilenberger: Teilweise stehen sie dort …
Timm: Das muss Sie doch ärgern?
Eilenberger: Es ärgert mich in der Tat, dass die Philosophiebücher sehr lange in sehr vielen Buchhandlungen bei der Esoterik standen. Ich habe das Gefühl, dass sie sich mittlerweile wieder einen eigenen Platz erobert haben und dass die Menschen auch ganz klar das Gefühl haben, dass die fragen, die sie haben, nicht in dieser oberflächlichen, unwissenschaftlichen und vielleicht auch nur ideologisch vernebelten Weise angegangen werden sollten, sondern dass das geleistet werden kann, was Aufklärung im wahren Sinne bedeutet: einen ernsten Umgang mit den Fragen des eigenen Lebens.
Timm: Dann docken wir uns doch mal ganz kurz an Immanuel Kant an: Was soll ich tun? Die Frage muss sich ein Politiker im Prinzip jeden Tag neu stellen, wenn er sich kümmert: Was soll ich tun, nach Fukushima, für mehr Nachhaltigkeit, wenn die Finanzmärkte ein turbulentes Eigenleben führen? Was soll ich tun? Gibt es eigentlich Politiker, die sich ausdrücklich philosophisch beraten lassen?
Eilenberger: Ich glaube, dass die Philosophen und die Politiker ein schweres Zusammenspiel derzeit haben, weil die Politiker zu Recht eine Scheu haben, von der Philosophie zu sprechen. Wenn Sie in den öffentlichen Raum gehen als Politiker und sagen, ich interessiere mich für Philosophie, dann werden Sie leicht als abgehoben, als elfenbeinturmartig, als verkopft gesehen. Tatsächlich ist es aber so, ich habe vor einer Woche ein sehr langes Gespräch mit Peer Steinbrück und Michael Sandel geführt, da sehen Sie schon, dass die Politiker, die wirklich verantwortungsvolle Entscheidungen treffen müssen, durchaus Interesse haben, darüber zu reflektieren, und die Frage, was soll ich tun, ist ja gar nicht davon zu lösen von der Frage beispielsweise, was ist gerecht. Und die Frage, was ist gerecht, ist keine politische Frage an sich, sondern eine, bei der man den Philosophen durchaus hören sollte.
Timm: Und was wollte Herr Steinbrück von Ihnen wissen?
Eilenberger: Nein, Herr Steinbrück sprach mit Herrn Sandel, einem amerikanischen Philosophen, der sich hauptsächlich mit den Fragen der Gerechtigkeit beschäftigt, und die beiden haben genau, wie wir das bei dem Festival auch tun wollen, eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis geschaffen. Herr Steinbrück ist ein Mensch, der in diesen Situationen als konkreten Entscheidungssituationen steht, und Herr Sandel ist ein Theoretiker, der über die Begriffe, die für Herrn Steinbrück wichtig sind, nachdenkt. Und so haben die beiden darüber gesprochen, was es bedeutet, einmal zu ergründen, was Gerechtigkeit ist, und zum Zweiten, was es bedeutet, diese Erkenntnisse politisch umzusetzen.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit dem Journasophen, also dem fortentwickelten praktischen Philosophen Wolfram Eilenberger. Heute startet die phil.Cologne, ein großes Festival der Philosophie. Wie muss ich mir das noch mal vorstellen? Unterhalten sich da Leute intelligent auf dem Podium und alle hören hingerissen zu, oder kann man sich da melden und sagen, was soll ich tun, wie soll ich leben, was ist mein Glück, und kriegt Antworten oder diskutiert miteinander?
Eilenberger: Wir haben ganz verschiedene Formate, wir haben sehr interaktive Formate, beispielsweise für Kinder und Schüler – das war uns in der Programmgestaltung ganz besonders wichtig, dass Schüler und Kinder einen großen Raum einnehmen –, wir haben auch eher lustige oder heitere Formate wie zum Beispiel einen Philosophy Slam, der sehr interaktiv ist. Wir haben Spaziergänge durch die Stadt Köln, die die Stadt als philosophischen Ort erlebbar werden lassen, aber es gibt auch Vorträge und vor allem ein Format, das für uns am wichtigsten ist, den Dialog. Und bei diesen Dialogen haben wir sehr darauf geachtet, dass immer ein Philosoph mit einem Nichtphilosophen spricht.
Wir lassen zum Beispiel Rüdiger Safranski mit dem Gefängnisarzt Joe Bausch darüber sprechen, was das Böse ist. Wir lassen einen Astronauten mit einem Kosmologen sprechen über die Bedeutung des Alls und seiner Weite. Das heißt, wir lassen nie zwei Philosophen aufeinander los, sondern immer einen Theoretiker und einen Praktiker, und hoffen so, dass wir die Lebensnähe und die Relevanz der Philosophie für alle spürbar werden lassen.
Timm: Das klingt so anregend wie uferlos. Besteht bei so einer Veranstaltung nicht auch die Gefahr, dass das ganz solide hartnäckige, bohrende, einsame, stille Denken auf der Strecke bleibt und die Philosophie doch verflacht?
Eilenberger: Ich glaube, wir sollten so ein Festival nicht als Philosophie im eminenten Sinne bezeichnen, sondern als eine Einladung, als eine Art trojanisches Pferd, wenn Sie so wollen. Wenn wir es erreicht hätten, dass die Menschen, die noch keinen Kontakt mit der Philosophie hatten und sich immer dafür interessierten, zu diesen Veranstaltungen kommen und nach Hause gehen und sagen, so habe ich darüber noch nie nachgedacht, da waren interessante Denkanstöße dabei, dann hätten wir alles erreicht, was wir wollen. Und wenn diese Menschen dann zu Hause den Impuls aufnehmen und sich weiter mit Philosophie beschäftigen wollen, dann, glaube ich, haben sie etwas sehr schönes in ihr Leben aufgenommen.
Timm: Was hoffen Sie denn als Ergebnis dieses Festivals, dass die Leute tatsächlich Kant lesen oder dass sie inspiriert vom großen Sokrates über die Marktplätze stromern und miteinander diskutieren? Was soll das sein?
Eilenberger: Ich glaube, ich erhoffe mir das Gleiche für die Menschen, was ich mir selbst von der Auseinandersetzung mit der Philosophie jeden Tag als Jugendlicher oder als Schüler erhofft habe, dass sie mir die Augen öffnet für das, was um mich herum ist, und dass sie mir neue Perspektiven auf das zeigt, was ich immer schon zu kennen glaubte.
Timm: Herr Eilenberger, wir müssen es noch mal ganz konkret festmachen. Es gibt eine Veranstaltung, bei der ich Sie unbedingt als Gast vermute: Was macht Fußball schön, ist die Frage. Sie haben in der zweiten finnischen Fußballdivision gespielt und sind Philosoph und Feldspieler, da müssten Sie die Antwort haben oder schwer nach ihr dürsten. Was macht Fußball schön?
Eilenberger: Ja, das ist eine Frage, die wir Gunter Gebauer, dem führenden deutschen Sportphilosophen, und Volker Finke, dem ehemaligen Trainer des SC Freiburg, stellen. Und ich glaube, die Frage selbst beinhaltet schon einen philosophischen Anstoß, denn beim Fußball geht es nicht nur ums Gewinnen oder ums Verlieren, es gibt dort einen ästhetischen Reiz. Und was dieser ästhetische Reiz ist, das wollen wir ergründen. Ich glaube, es hätte sehr viel damit zu tun, dass wir in unserem Leben Erfahrungen machen, die der Fußball in anderer Weise inszeniert und uns davon entlastet, mit der Unverfügbarkeit des Lebens direkt konfrontiert zu sein, und dann schauen wir uns das im Stadion an und sehen, da passieren Dinge, die wir nicht kontrollieren, aber wir können sie genießen, weil sie schön inszeniert sind.
Timm: Mich würde interessieren, was ein gestandener Trainer dazu sagt.
Eilenberger: Das werden wir genau auf der phil.Cologne rausfinden, und das ist genau die Frage, die wir auch stellen würden. Wir können uns theoretisch sehr viel ausdenken – wie sieht das denn eigentlich dann auf dem Feld aus –, und dieser Konnex, diese Verbindung, die interessiert uns, und so kann auch populäre Philosophie funktionieren.
Timm: Was zählt, ist auf dem Platz, und das gilt die nächsten Tage auch für die phil.Cologne. Zum ersten Mal findet das Philosophiefestival in Köln statt. Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des "Philosophiemagazins" und Programmleiter des Festivals war vorab unser Gast. Vielen herzlichen Dank für den Besuch im Studio!
Eilenberger: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wolfram Eilenberger: Guten Tag!
Timm: Was ist denn die Grundidee? Auf welche Fragen hoffen Sie?
Eilenberger: Die Grundidee lässt sich durch das Motto des Festivals phil.Cologne eigentlich gut zusammenfassen, das lautet: "Die Suche hat begonnen." Und so ist es ein Festival, das keine Antworten gibt, sondern Fragen aufnimmt, Fragen stellt, und diese Fragen sind die Fragen, die unsere Existenz im ganz alltäglichen Sinne betreffen. Ich glaube, die Leitfrage unseres Festivals ist einfach die: Wie will ich leben? Das sind Fragen, die sich zum Beispiel mit konkret ethischen Problemen auseinandersetzen wie der Sterbehilfe oder auch der Empfängnisverhütung, aber auch Fragen des ästhetischen Lebens, zum Beispiel, welchen Platz die Kunst in unserem Leben haben wird, und vielleicht auch Bereiche, in denen man die Philosophie nicht vermutet, wie die Frage: Was macht Fußball eigentlich schön, und warum sind vier Milliarden Menschen dabei, ein Ballspiel zu sehen, was suchen sie in diesen Erfahrungen?
Timm: Das sind so schöne Fragen, Fragen, die sich natürlich auch andere Disziplinen stellen. Welchen tatsächlichen Wert hat denn philosophisches Denken, oder ist das per se schon die ganz falsche Frage?
Eilenberger: Ich glaube tatsächlich, dass dieses Festival verschiedene Funktionen erfüllt, und die erste und wichtigste wäre mir, dass man die Erfahrung des Philosophierens überhaupt macht und nachvollziehen kann, es wird ja immer gleich gefragt, wozu ist die Philosophie eigentlich gut? Es ist nur eine philosophische Antwort, zu sagen, es gibt Dinge, die an sich gut sind, wie das Flötespielen, das Klavierspielen oder das Spazierengehen. Und das Philosophieren ist auch eine Tätigkeit, die an sich gut ist, weil es eine schöne, bereichernde und inspirierende Erfahrung ist, und das wäre unser erstes Ziel, den Menschen zu vermitteln, dass das Leben mit Philosophie und mit dem Philosophieren ein schöneres, reicheres Leben ist.
Timm: Bei Ihnen selbst ist das ziemlich kompliziert, Herr Eilenberger, Sie sind ja Journasoph. Was ist das?
Eilenberger: Das ist wahr, als Chefredakteur des Philosophiemagazins bezeichnen wir uns als Journasophen, das heißt, dass wir uns als Mittler sehen zwischen der Sphäre der akademischen Philosophie, aus der wir kommen, und dem Journalismus im Sinne einer Vermittlungsleistung, die immer auf die Frage zielt, was haben die Erkenntnisse, die Gedanken, die Fragen, die derzeit in der Philosophie gestellt werden, für mein eigenes Leben produktiv zu bedeuten?
Timm: Heißt das, so ein richtiger Philosoph rümpft über einen Journasophen per se die Nase?
Eilenberger: Das sollte er, glaube ich, nicht, denn wenn wir an die Anfänge der Philosophie denken, Sokrates beispielsweise, dann war das auch ein Mensch, der von seinen eigenen Fragen geplagt unter die Leute mit den Menschen auf dem Marktplatz philosophierte, und die Vermittlungsleistung war immer eine sehr wesentliche für die Philosophie. Die Gefahr besteht immer, und derer sind wir uns auch bewusst, die Philosophie zu verflachen, sie teilweise auch zu missbrauchen. Andererseits sind die Erkenntnisse der Philosophie so wichtig, dass wir sie nicht nur in der Akademie belassen wollen.
Timm: Gucken wir uns das mal an: Wenn man Philosophie nun ganz praktisch im täglichen Leben verankern wird, dann kann man natürlich auch böse sagen, es gibt die Esoterik, es gibt die Lebenshilfe, es gibt die Ratgeberliteratur, es gibt die Werde-froh-Routine, und jetzt gibt es eben auch noch die praktische Philosophie.
Eilenberger: Ich glaube, was die Philosophie auszeichnet im Vergleich zu den von Ihnen genannten Gebieten, ist zum einen mal eine Ernsthaftigkeit. Philosophie ist etwas für Menschen, die ihre eigenen Fragen ernst nehmen und wissen, dass diese Fragen nicht mit einem einfachen Patentrezept beantwortet werden können. Also wenn Sie einen Menschen haben, dem Sie eine Frage stellen und der sagt, ich habe genau die Lösung für dein Problem, dann wissen Sie zumindest eines: Er ist kein Philosoph. Die Philosophie ist die Kunst des Fragens und des Öffnens. Und deswegen kann es nicht sein, dass eine Philosophie sich in eine Ratgeberposition begibt, und das streben wir wieder mit dem Magazin noch mit dem Festival an.
Timm: Jetzt haben sie philosophisch-virtuos meine Fragen insofern ein bisschen umkurvt, als dass doch diese praktischen Philosophiebücher in einer schlichten Buchhandlung neben Esoterik, Lebenshilfe und Werde-froh-Routine stehen.
Eilenberger: Teilweise stehen sie dort …
Timm: Das muss Sie doch ärgern?
Eilenberger: Es ärgert mich in der Tat, dass die Philosophiebücher sehr lange in sehr vielen Buchhandlungen bei der Esoterik standen. Ich habe das Gefühl, dass sie sich mittlerweile wieder einen eigenen Platz erobert haben und dass die Menschen auch ganz klar das Gefühl haben, dass die fragen, die sie haben, nicht in dieser oberflächlichen, unwissenschaftlichen und vielleicht auch nur ideologisch vernebelten Weise angegangen werden sollten, sondern dass das geleistet werden kann, was Aufklärung im wahren Sinne bedeutet: einen ernsten Umgang mit den Fragen des eigenen Lebens.
Timm: Dann docken wir uns doch mal ganz kurz an Immanuel Kant an: Was soll ich tun? Die Frage muss sich ein Politiker im Prinzip jeden Tag neu stellen, wenn er sich kümmert: Was soll ich tun, nach Fukushima, für mehr Nachhaltigkeit, wenn die Finanzmärkte ein turbulentes Eigenleben führen? Was soll ich tun? Gibt es eigentlich Politiker, die sich ausdrücklich philosophisch beraten lassen?
Eilenberger: Ich glaube, dass die Philosophen und die Politiker ein schweres Zusammenspiel derzeit haben, weil die Politiker zu Recht eine Scheu haben, von der Philosophie zu sprechen. Wenn Sie in den öffentlichen Raum gehen als Politiker und sagen, ich interessiere mich für Philosophie, dann werden Sie leicht als abgehoben, als elfenbeinturmartig, als verkopft gesehen. Tatsächlich ist es aber so, ich habe vor einer Woche ein sehr langes Gespräch mit Peer Steinbrück und Michael Sandel geführt, da sehen Sie schon, dass die Politiker, die wirklich verantwortungsvolle Entscheidungen treffen müssen, durchaus Interesse haben, darüber zu reflektieren, und die Frage, was soll ich tun, ist ja gar nicht davon zu lösen von der Frage beispielsweise, was ist gerecht. Und die Frage, was ist gerecht, ist keine politische Frage an sich, sondern eine, bei der man den Philosophen durchaus hören sollte.
Timm: Und was wollte Herr Steinbrück von Ihnen wissen?
Eilenberger: Nein, Herr Steinbrück sprach mit Herrn Sandel, einem amerikanischen Philosophen, der sich hauptsächlich mit den Fragen der Gerechtigkeit beschäftigt, und die beiden haben genau, wie wir das bei dem Festival auch tun wollen, eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis geschaffen. Herr Steinbrück ist ein Mensch, der in diesen Situationen als konkreten Entscheidungssituationen steht, und Herr Sandel ist ein Theoretiker, der über die Begriffe, die für Herrn Steinbrück wichtig sind, nachdenkt. Und so haben die beiden darüber gesprochen, was es bedeutet, einmal zu ergründen, was Gerechtigkeit ist, und zum Zweiten, was es bedeutet, diese Erkenntnisse politisch umzusetzen.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit dem Journasophen, also dem fortentwickelten praktischen Philosophen Wolfram Eilenberger. Heute startet die phil.Cologne, ein großes Festival der Philosophie. Wie muss ich mir das noch mal vorstellen? Unterhalten sich da Leute intelligent auf dem Podium und alle hören hingerissen zu, oder kann man sich da melden und sagen, was soll ich tun, wie soll ich leben, was ist mein Glück, und kriegt Antworten oder diskutiert miteinander?
Eilenberger: Wir haben ganz verschiedene Formate, wir haben sehr interaktive Formate, beispielsweise für Kinder und Schüler – das war uns in der Programmgestaltung ganz besonders wichtig, dass Schüler und Kinder einen großen Raum einnehmen –, wir haben auch eher lustige oder heitere Formate wie zum Beispiel einen Philosophy Slam, der sehr interaktiv ist. Wir haben Spaziergänge durch die Stadt Köln, die die Stadt als philosophischen Ort erlebbar werden lassen, aber es gibt auch Vorträge und vor allem ein Format, das für uns am wichtigsten ist, den Dialog. Und bei diesen Dialogen haben wir sehr darauf geachtet, dass immer ein Philosoph mit einem Nichtphilosophen spricht.
Wir lassen zum Beispiel Rüdiger Safranski mit dem Gefängnisarzt Joe Bausch darüber sprechen, was das Böse ist. Wir lassen einen Astronauten mit einem Kosmologen sprechen über die Bedeutung des Alls und seiner Weite. Das heißt, wir lassen nie zwei Philosophen aufeinander los, sondern immer einen Theoretiker und einen Praktiker, und hoffen so, dass wir die Lebensnähe und die Relevanz der Philosophie für alle spürbar werden lassen.
Timm: Das klingt so anregend wie uferlos. Besteht bei so einer Veranstaltung nicht auch die Gefahr, dass das ganz solide hartnäckige, bohrende, einsame, stille Denken auf der Strecke bleibt und die Philosophie doch verflacht?
Eilenberger: Ich glaube, wir sollten so ein Festival nicht als Philosophie im eminenten Sinne bezeichnen, sondern als eine Einladung, als eine Art trojanisches Pferd, wenn Sie so wollen. Wenn wir es erreicht hätten, dass die Menschen, die noch keinen Kontakt mit der Philosophie hatten und sich immer dafür interessierten, zu diesen Veranstaltungen kommen und nach Hause gehen und sagen, so habe ich darüber noch nie nachgedacht, da waren interessante Denkanstöße dabei, dann hätten wir alles erreicht, was wir wollen. Und wenn diese Menschen dann zu Hause den Impuls aufnehmen und sich weiter mit Philosophie beschäftigen wollen, dann, glaube ich, haben sie etwas sehr schönes in ihr Leben aufgenommen.
Timm: Was hoffen Sie denn als Ergebnis dieses Festivals, dass die Leute tatsächlich Kant lesen oder dass sie inspiriert vom großen Sokrates über die Marktplätze stromern und miteinander diskutieren? Was soll das sein?
Eilenberger: Ich glaube, ich erhoffe mir das Gleiche für die Menschen, was ich mir selbst von der Auseinandersetzung mit der Philosophie jeden Tag als Jugendlicher oder als Schüler erhofft habe, dass sie mir die Augen öffnet für das, was um mich herum ist, und dass sie mir neue Perspektiven auf das zeigt, was ich immer schon zu kennen glaubte.
Timm: Herr Eilenberger, wir müssen es noch mal ganz konkret festmachen. Es gibt eine Veranstaltung, bei der ich Sie unbedingt als Gast vermute: Was macht Fußball schön, ist die Frage. Sie haben in der zweiten finnischen Fußballdivision gespielt und sind Philosoph und Feldspieler, da müssten Sie die Antwort haben oder schwer nach ihr dürsten. Was macht Fußball schön?
Eilenberger: Ja, das ist eine Frage, die wir Gunter Gebauer, dem führenden deutschen Sportphilosophen, und Volker Finke, dem ehemaligen Trainer des SC Freiburg, stellen. Und ich glaube, die Frage selbst beinhaltet schon einen philosophischen Anstoß, denn beim Fußball geht es nicht nur ums Gewinnen oder ums Verlieren, es gibt dort einen ästhetischen Reiz. Und was dieser ästhetische Reiz ist, das wollen wir ergründen. Ich glaube, es hätte sehr viel damit zu tun, dass wir in unserem Leben Erfahrungen machen, die der Fußball in anderer Weise inszeniert und uns davon entlastet, mit der Unverfügbarkeit des Lebens direkt konfrontiert zu sein, und dann schauen wir uns das im Stadion an und sehen, da passieren Dinge, die wir nicht kontrollieren, aber wir können sie genießen, weil sie schön inszeniert sind.
Timm: Mich würde interessieren, was ein gestandener Trainer dazu sagt.
Eilenberger: Das werden wir genau auf der phil.Cologne rausfinden, und das ist genau die Frage, die wir auch stellen würden. Wir können uns theoretisch sehr viel ausdenken – wie sieht das denn eigentlich dann auf dem Feld aus –, und dieser Konnex, diese Verbindung, die interessiert uns, und so kann auch populäre Philosophie funktionieren.
Timm: Was zählt, ist auf dem Platz, und das gilt die nächsten Tage auch für die phil.Cologne. Zum ersten Mal findet das Philosophiefestival in Köln statt. Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des "Philosophiemagazins" und Programmleiter des Festivals war vorab unser Gast. Vielen herzlichen Dank für den Besuch im Studio!
Eilenberger: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.