Rausch, Entgiftung, Rückfall

Rezensiert von Kim Kindermann |
"Heute blau, morgen blau und übermorgen wieder", mit diesen Worten beginnt Simon Borowiak sein neues Buch "Alk". Einem, wie der Untertitel sagt, fast medizinischem Sachbuch zum Thema Alkohol, das für alle geschrieben wurde, die schon mal einen zuviel heben. Und das sind ziemlich viele: Zehn Millionen Menschen greifen allein in Deutschland regelmäßig zu Bier, Wein oder Schnaps.
"Im Zuge einer Entwöhnungstherapie las ich mich durch Regalbretter von Alkoholismus-Literatur. Und wurde zunehmend unwillig. Die Fachbücher waren mir zu fachlich, die Bücher von Betroffenen zu betroffen und die Bücher von Nicht-Betroffenen zu anmaßend. Also beschloss ich anmaßend, das ultimative Alk-Buch zu schreiben. Fachlich fundiert, aber verständlich: geschrieben von einem Betroffenen ohne Betroffenheit. Und das alles im Dienste von Aufklärung, Verständnis, Naturwissenschaft und Komik." Schreibt Simon Borowiak im Vorwort zu seinem Buch "Alk", diesem fast medizinischen Sachbuch.

Und tatsächlich: Alk wird diesen selbst gesteckten Zielen, diesen hohen selbst gesteckten Zielen mehr als gerecht. Denn "Alk" ist nicht nur ein sachkundiges Buch voller Fakten, sondern bietet dem Leser eine Innenansicht, die deutlich macht: Hier hat jemand geschrieben, der wirklich aus - stellenweise bitterer - Erfahrung weiß, worum es beim Thema Alkohol geht. Und obwohl das bei weitem nicht immer lustig ist, hat der Autor, der früher für das Satireblatt Titanic schrieb und mit dem Buch "Frau Rettich, die Czerny und ich" erfolgreich war, nie den Blick für Komik verloren.

Einen Rausch etwa vergleicht Borowiak gerne mit einer "Art neutraler Wirtshausschlägerei". Wie er überhaupt dazu neigt, körperliche Reaktionen auf Alkohol vereinfacht darzustellen, um so den Leser da abzuholen, wo er steht, nämlich am Nullpunkt. Ausführlich taucht Simon Borowiak also ein in die Welt des Alks: Er nennt die offiziellen Definitionen für Alkoholismus, die er für Quatsch hält, und bietet daher als Alternative sein leicht eingängiges Boro-Schema an, in dem die verschiedenen Trinker-Typen entweder in Hobby-Trinker, Amateur, Profi, Vollprofi oder Ehrenamtlich einteilt werden.

Darüber hinaus werden die unterschiedlichen Methoden zur Alkohol-Entwöhnung vorgestellt, was besonders einprägsam ist, weil Simon Borowiak hier immer von seinen persönlichen Entzugsgeschichten berichtet. Und so wird dann auch schon mal gekotzt, gezittert und geschwitzt. Er erzählt von Angstzuständen, Unruhattacken, Schwächegefühlen und Krampfanfällen genauso offen wie von den stellenweise fiesen Behandlungsmethoden auf einigen Suchtstationen, wo sich das Pflegepersonal gerne mal auf Kosten der entzuggeschüttelten Trinker aufspielt und ihnen ein Beruhigungsmittel vorenthält.

Harter Tabak ist das, denn Simon Borowiak schreckt vor nichts zurück, schreibt kritisch über die Rolle der Partner und nimmt seine Leser schließlich auch noch zu den Sitzungen der Therapiegruppe mit, wo jeder Teilnehmer mehr oder weniger erfolgreich bis zum Schluss versucht, sein Selbstbild zu retten. Erbarmungslos zieht er dabei sämtliche Erklärungen und Lebensgeschichten durch den Kakao. Verlacht die schicke Hausfrau, die auf die hohen Leberwerte angesprochen, immer behauptet nie mehr als einen Piccolo getrunken zu haben und der tollkühne Versuch eines Mannes, der von seinem Chef zum Zwangsentzug geschickt wurde, seine Flasche Korn auf eine Flasche Bier zu reduzieren, kommt auch nicht besser weg.

Gekonnt macht Simon Borowiak damit klar: Der Trinker ist immer der andere! Oder anders gesagt: Alkoholiker sind überall zu finden, in jeder Gesellschaftsschicht und eben nicht nur - wie das Klischee es will - auf der Parkbank. Zumal der Übergang vom locken Hobbytrinker zum Vollprofi fließend ist und man sich schnell in Bereiche hinein trinkt, die längst nicht mehr harmlos sind. Dabei hebt Simon Borowiak nie den moralischen Zeigefinger, sondern gibt auf seine ihm eigene Art dem Leser die wichtigsten Informationen rund zum Thema Alkohol an die Hand. Das zu lesen macht tatsächlich Spaß, selbst wenn es hoch wissenschaftlich wird (ja auch das macht der Autor), denn alle Kapitel sind unterbrochen von kleinen Infokästen, schrägen Dialogen und Zeichnungen oder realsatirischen Beispielen aus dem Alkoholikeralltag.

Simon Borowiak ist ein geniales Buch gelungen, ein eben fast medizinisches Sachbuch, das nicht trocken über das Thema Alkohol schreibt, sondern den Leser mitnimmt auf (s)eine ganz persönliche Reise. Eine Reise, die sich lohnt, denn am Ende der 174 Seiten hat man das Gefühl, tatsächlich alles über Rausch, Entgiftung, Rückfall, Trinkmotive und Behandlungsformen - kurz alles über Alk - zu wissen. Und das ist eine ganz Menge! Tatsächlich ist hier ein Buch geschrieben worden, das sich lohnt gelesen zu werden, denn egal ob man Genusstrinker, Profi-Trinker, Arzt, Therapeut, Winzer, Angehöriger, Getränkelieferant oder Hirnforscher ist, man kommt immer auf seine Kosten.


Simon Borowiak: Alk. Fast ein medizinisches Sachbuch
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M., 2006
174 Seiten, 14,90 Euro