Über sein Buch hat Rayk Wieland auf dem "Blauen Sofa" anlässlich der Leipziger Buchmesse gesprochen.
Turbulent irrwitzige Duell-Groteske
06:30 Minuten
Rayk Wieland
Beleidigung dritten GradesKunstmann, München 2022353 Seiten
19,99 Euro
Ein Mann wird zu einem Duell aufgefordert – und was nach einer Story aus dem vergangenen Jahrhundert klingt, spielt in der Gegenwart, mitten im heutigen Berlin. Rayk Wielands Roman strotzt nur so vor Fabulierfreude und absurdem Hintersinn.
Was wie eine „ornithologische Räuberpistole“ beginnt, wenn Rayk Wieland eine „graue Allerweltstaube schräg über den grauen Allerweltshimmel“ schießen lässt, erst vergnüglich, dann kurzerhand von einem heranstürzenden Wanderfalken gepackt, in seinen Fängen zuckend und verendet, dann soll das einzig und allein ankündigen, dass im Folgenden noch einige Zeichen und Wunder passieren werden. Seine irrwitzige Groteske strotzt vor Fabulierfreude, mit feinem Gefühl für Absurdes und Witz.
Psychiater zum Duell aufgefordert
Denn zeitgleich bringt auf einer Berliner Polizeiwache ein Psychiater namens Oskar Markov eine Ungeheuerlichkeit zur Anzeige: Ein Unbekannter habe ihn zu einem Duell gefordert, an einen unbekannten Ort zu unbekannter Zeit.
Naturgemäß kann die überforderte Kommissarin den Psychiater nicht ernst nehmen, er solle dem Mann sagen, dass er gerade keine Zeit habe zum Totgeschossenwerden, es passe auch nicht in dieses Jahrhundert.
Aber Markov lässt sich nicht abwimmeln und so beginnt eine turbulente Groteske, die zu seinem Herausforderer, dem Antiquar Alexander Schill führt. Der sammelt nicht nur Steine von historisch verbrieften Duellorten, sondern hat über der Lektüre seiner ausufernden Duellbibliothek auch eine ausgeprägte „Duellmeise“ entwickelt, weshalb sich kurzerhand auch seine Freundin von ihm trennt und lieber den Psychiater Markov vorzieht.
So weit, so verrückt. Die „Verführung einer Frauenperson“ liegt also vor. Ein paar Irrwege und ein Auktionshaus weiter sind die Waffen ersteigert, ein Duell soll stattfinden.
Unzählige Protokolle und Augenzeugenberichte recherchiert
Das Interessante ist nun, dass Rayk Wieland diese irrwitzige, ganz und gar gegenwärtige Geschichte mit einem historischen Duell verbindet, das letzte seiner Art auf deutschen Boden. Mit spürbarem Vergnügen: lässig, mit Spott und allzu gegenwärtig. Wie sich in Hohenlychen, dem ehemaligen Vorzeigelazarett der Nazis, an einem Oktobertag 1937 zwei SS-Leute gegenüberstanden: Auf der einen Seite der SS-Hauptsturmführer Strunk, unerschrockener Kriegsberichterstatter des „Völkischen Beobachters“ und Hitlers Lieblingskorrespondent.
Ihm gegenüber der Hallodri Krutschinna, Adjutant des Reichsjugendführers Baldur von Schirach, der die Unverschämtheit besaß, sich von ihm im Bett seiner Frau auf einem Leopardenfell erwischen zu lassen. Dreimal muss Feuer gerufen werden, bis ausgerechnet der vermeintlich unerschütterliche Strunk fällt.
„So könnte es gewesen sein. Man ist auf Spekulationen angewiesen“, lässt Wieland das Duell Revue passieren. Unzählige Protokolle und Augenzeugenberichte hat er recherchiert, kaum ein Detail lässt er aus; auch nicht den anschließenden Militärball, an dem u.a. die geladene NS-Regisseurin Leni Riefenstahl bedauert, das Duell nicht gefilmt zu haben. Selbst die perfiden Karrieren führt Wieland fort, die die Duellbeteiligten später im "Dritten Reich" in den Vernichtungslagern gehen werden.
Schnittpunkt zwischen Barbarei und Zivilisation
Aber Rayk Wieland wäre nicht ein ausgefuchster Satiriker („Ich schlage vor, dass wir uns küssen“, 2009 u.a.), wenn er nicht auf absurdesten Abwegen diese historische Duellerzählung immer wieder mit seiner Geschichte in der Gegenwart verweben würde. Nicht nur die Wehrmachtskiste der Duellanten taucht später mal in Wolgograd, dann wieder in Berlin auf, auch die Irrwege des Leopardenfells sind erstaunlich.
Wielands Duell-Karussell dreht sich weiter, bis schließlich die beiden „modernen“ Duellanten Schill und Markov im Berliner Spreetunnel die gleichen Pistolen in den Händen halten, wie einst Strunk und Krutschinna.
So leichtfüßig und vergnüglich sein neuer Roman „Beleidigung dritten Grades“ ist, so konsequent wohnt ihm der Schrecken inne. Wenn Rayk Wieland auf rund 350 Seiten die alte Kulturtechnik des Duells umkreist, dann um der Frage nachzugehen, was an dessen Stelle getreten ist. Was früher als Beleidigung galt, ist heute gang und gäbe. Aber wie verhält man sich heute in Fällen von Verrat und Loyalitätsmissbrauch?
Es ist letztlich dieser Schnittpunkt zwischen Barbarei und Zivilisation, der seinen Roman in diesen Wochen des Krieges in der Ukraine erschreckend aktuell macht. Man möchte Wielands russischstämmigem Adjutanten gern das Schlusswort überlassen: „Im Gespräch mit Wort kann man finden Antwort. Im Gespräch mit Kugel nicht mehr.“