Fankultur im Schatten des Brauseclubs
RB Leipzig verpflichtet Stars und gilt als Favorit auf den Bundesliga-Aufstieg, das lockt die Massen an. Traditionsvereins- und Fußball-Idealisten widersetzen sich dem Hype um den 2009 von Red Bull initiierten Club. Ihnen geht es um eine authentische Fankultur.
"Herzlich Willkommen in Leipzig, liebe Fußballfreunde!"
Oktober 1983. In Leipzig steht eines der vielen deutsch-deutschen Europapokalduelle an: Der 1. FC Lok empfängt im UEFA-Cup den Bundesligisten Werder Bremen – und gewinnt.
"Man hört Otto Rehhagel bis hier oben schreien, weil es auch relativ ruhig ist im Stadion. Er treibt seine Mannschaft nach vorne. Aber jetzt ist Platz da für Lok Leipzig – und da ist das 1:0!"
Solche Sternstunden sind lange her. 1991 wird Lok in VfB Leipzig umbenannt, nach nur 12 Jahren ist dieser jedoch Pleite. Ende 2003 stellt sich der 1. FC Lok neu auf – in der 11. Liga. Mittlerweile ist der Klub Tabellenführer in der 5. Spielklasse.
Zu den Heimspielen kommen etwa 3000 Zuschauer, für Fünftliga-Verhältnisse eine beachtliche Zahl. Es ist vor allem die Tradition, die auch heute noch jüngere Anhänger für den Verein begeistert. Einer von ihnen ist Adrian Böhler, er ist Mitglied einer Lok-Ultragruppe.
"Zum Verein gekommen bin ich durch meinen Vater, der mich zu einem VfB-Spiel mitgenommen hat im Jahr '96. Aber auch zu Lokomotive Leipzig habe ich dann – natürlich aufgrund der langen Tradition, aufgrund der vielen Erfolge von früher – auch sehr schnell eine Liebe entwickelt."
Lok kann sich auf langjährige Fans verlassen
Für Böhler besteht die Lok-Fankultur nicht nur im Anfeuern der eigenen Mannschaft. Er sieht seine Ultragruppe auch als Botschafter des Vereins. So gibt die Gruppe ein Fanmagazin heraus, dazu setzt sie sich für eine tolerante Atmosphäre im Stadion ein – auch, um den Einfluss rechter Hooligans einzudämmen, die dem Verein in den letzten Jahren geschadet haben.
"Das ist ein Image, das dem Verein anhaftet, und was man so leicht nicht wieder wegbekommt. Es ist gesellschaftlich deshalb enorm wichtig, dass wir hier bei Lok einfach einen Grundkonsens schaffen können an Toleranz, an Antirassismus."
Doch ebenso wichtig sei es, neue Anhänger für Lok zu gewinnen, die man sonst an den ungeliebten Konkurrenten RB Leipzig, den Zweitliga-Tabellenführer, verlieren könnte.
"Wir versuchen uns stark dafür zu machen, dass auch junge Leute wieder Bock kriegen, hier zu Lok Leipzig zu gehen – und nicht ins Zentralstadion."
Verlassen kann sich Lok zudem auf seine langjährigen Fans. Auf André Göhre etwa, der dem Club seit 40 Jahren die Treue hält. Er führt heute ehrenamtlich Stadionführungen durch und betont die wichtige Rolle, die aktive Fans beim Fünftligisten einnehmen.
"Ohne die Fans würde es den Verein nicht mehr geben. Man hat Spendeneinnahmen von über 200.000 Euro von Fans, die ihr letztes Hemd gegeben haben. Ehrenamtlich sind momentan circa 250 Leute im Stadion tätig, die dem Verein viele Kosten ersparen. Unter dem neuen Präsidium wird dem Fan viel zurückgegeben. Der Verein ist auf einem richtig guten Weg, mit seinen Fans wieder den Aufstieg in den Profifußball zu schaffen."
"Wir sind der subkulturelle Kiez-Club"
Neben RB und Lok gibt es in der Stadt noch den ganz anderen Verein, den Roten Stern Leipzig, der 1999 aus dem Geist des Punkrocks heraus gegründet wurde. Hier sind die Fans die Macher. Jede Woche diskutieren Mitglieder und Sympathisanten in einem Plenum über die Vereinspolitik. Dabei bringen sich alle basisdemokratisch ein, erklärt Conrad Lippert, der seit 2009 beim Klub dabei ist.
"Es wird versucht, im Konsensprinzip zu entscheiden. Das heißt – so lange Diskussionen zu führen, bis die Entscheidung für alle tragbar bleibt. Wir wollen, dass nicht jemand über andere hinweg entscheidet, sondern dass man selbst entscheiden und die Stimme erheben kann."
Politisch stehen die Anhänger des Roten Sterns klar links – Diskriminierungen jeglicher Art haben für sie nicht nur im Fußball nichts zu suchen. Untermauert wird dies auch durch aktives Gestalten außerhalb des Platzes, betont Adam Bednarsky, einer der Gründer des Roten Sterns.
"Was wir machen, ist genau dieses zivilgesellschaftliche Engagement, was ja immer wieder eingefordert wird, auch vom Sport. Wir wollen unsere Leute durchaus motivieren, Projekte umzusetzen. Das heißt nicht bloß, dass wir ordentlich Fußball spielen, das heißt auch, dass hier mal irgendwie eine Party oder eine politische Veranstaltung organisiert wird."
Für sein gesellschaftliches Engagement wurde der Rote Stern bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Fußballerisch bietet der Verein, dessen erste Herrenmannschaft in der 7. Liga spielt, traditionelle Fanromantik, gepaart mit einer klaren politischen Aussage. Deshalb sehe man sich nicht als Konkurrent zu anderen Leipziger Vereinen wie etwa RB, versichert Conrad Lippert.
"Also, wir sind der subkulturelle Kiez-Club, und wir haben unsere eigene Vereinsidentität. Das heißt, die Leute kommen aus anderen Gründen zu uns – weil für uns das Herz des Fußballs eben im Amateursport schlägt. Grundsätzlich verlieren wir eigentlich nicht wirklich Fans an RB. Im Gegenteil, wir sind der Gegenpol."