Poptrend Re-Issues
Wiederveröffentlichungen auf Vinyl lohnen sich inzwischen auch für kleinere Labels. © picture alliance / Zoonar
Wie uns die Musikindustrie Altes für neu verkauft
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In der Coronakrise boomt das Geschäft mit Wiederveröffentlichungen. Die Hits von vorgestern sind sogar zu Investitionsobjekten geworden. Um uns alte Platten ein weiteres Mal schmackhaft zu machen, bedient sich die Popindustrie einiger Tricks.
Bisher waren es vor allen Dingen die Klassiker der Popgeschichte, die immer wieder neu aufgelegt wurden – als kostspieliges Boxset oder als Re-Issue im Vinyl-Format. Im Coronajahr 2021 sind es aber auch Bands und Acts abseits der Beatles und der Stones, die erneut in besonderer Form in den Läden stehen. Denn das Geschäft mit den Wiederveröffentlichungen lohnt sich inzwischen auch für die kleineren Player der Branche.
Maurice Summen, Chef des Berliner Indie-Labels Staatsakt, sagt: „Wir haben jetzt, Stand heute, doppelt so viele Vinyl-Verkäufe wie vor der Pandemie.“ Für ihn war das der Grund, weshalb er alte Alben der Staatsakt-Band Ja, Panik noch einmal auf Vinyl veröffentlicht hat. Jeweils 1000 Exemplare pro Album hat er pressen lassen. Diese seien schon so gut wie verkauft, sagt er.
Plattenfirmen und Labels richten ihr Geschäft neu aus
Summen ist längst nicht der Einzige, der sein Geschäftsmodell nicht mehr ausschließlich auf Neuerscheinungen ausgerichtet hat. Auch das britische Independent-Label Domino hat das Geschäft mit den sogenannten Musikkatalogen für sich entdeckt. Anne Haffmans, Geschäftsführerin für Domino Deutschland, erklärt den Strategiewechsel: „Als ich 1994 angefangen habe, für die Vermarktung von Musik zu arbeiten, war mein Ziel, dass ich an irgendjemanden eine CD oder eine Vinyl verkaufe. Und das war's.“
Heute müsse sie sich zusätzlich darum kümmern, dass auch die alten Alben ihres Labels gehört werden. Dabei geht es nicht nur darum, die Vinyl-Fangemeinde zu bedienen. Auch bei Streamingdiensten ist die Nachfrage nach alten Songs enorm. Dabei gelte aber eine Besonderheit: „Neuheit ist das wichtigste Kriterium“, sagt Haffmans. Denn vor allem darauf springen die Streaming-Algorithmen an, die zur Verbreitung der Songs essenziell sind.
Nostalgie boomt - auch auf Streaming-Plattformen
Neu heißt im Streaming-Sinne aber nicht, dass es sich um eine komplett neue Komposition handeln muss. Eine leicht veränderte Version oder ein Bundle, etwa ergänzt durch eine Live-Aufnahme, reicht aus, um bei den Algorithmen als neu durchzugehen. Auch das erklärt die Flut an mittelmäßigen Konzertmitschnitten und Demoversionen.
Der Hype um alte Songs und Alben hängt wohl stark mit der Pandemie zusammen. Nostalgie-Playlists erfreuen sich zurzeit großer Beliebtheit. Sich an einer Vergangenheit ohne omnipräsentes Virus erwärmen zu können – das scheint ein großes Bedürfnis zu sein. Maximilian Kolb vom Label BMG sagt, dass 70 Prozent der Songs des Musikunternehmens, die bei Streamingdiensten abgerufen werden, keine Neuheiten seien. Was in der Terminologie der Branche bedeutet, dass sie älter als zwei Jahre sind, also aus Vor-Corona-Zeiten stammen.
Mit den Archiven der Popmusik lässt sich viel Geld verdienen. Das zeigt sich auch darin, dass zuletzt immer wieder Superstars der Branche die Rechte an ihren Songs verkaufen.
Songrechte sind das neue Gold
Hierzu zählen Bob Dylan, Shakira, Tina Turner oder die Red Hot Chili Peppers. Die Käufer bei diesen Millionen-Deals sind Musikverlage oder neuerdings auch Investmentfonds wie Hipgnosis. Merck Mercuriadis, britisch-kanadischer Gründer des Unternehmens, sieht in Popsongs ein Investitionsgut wie Gold oder Öl.
Aber damit das Öl fließt, müssen die alten Songs natürlich beworben und gehört werden. Und das geht am besten mit Wiederveröffentlichungen. Mit Re-Issues von Liedern, die uns an unsere Jugend erinnern – oder zumindest an eine Zeit ohne Corona.