Reaktion auf Coronademos in Berlin

„Nicht pauschal urteilen, aber klare Grenzen ziehen“

07:34 Minuten
Polizisten und Demonstranten stehen sich gegenüber.
In Berlin stehen sich Demonstranten, die sich gegen die Coronamaßnahmen wenden, und die Polizei gegenüber. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Simon Teune im Gespräch mit Julius Stucke |
Audio herunterladen
Warum laufen so viele Menschen neben Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern? Die Frage stellt sich nach der eskalierten Coronademonstration in Berlin erneut. Die Erfahrungen mit Pegida könnten jetzt helfen, meint Protestforscher Simon Teune.
Reichsbürger und Rechtsextreme auf den Stufen des Reichstagsgebäudes in Berlin: Die eskalierte Demonstration gegen die Coronapolitik und die Frage, was nun folgt, wird die Öffentlichkeit noch eine Weile beschäftigen.
Die einen sagen jetzt, wie der "Zeit"-Journalist Bernd Ulrich: bei aller unschönen Symbolik solle man die Bilder des Wochenendes nicht zu hoch bewerten und die "Proportionen wahren". Anders sieht es Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Er findet diese Bilder "nicht nur verabscheuungswürdig, sondern angesichts der Geschichte dieses Ortes geradezu unerträglich."

"Die schrillen Töne sind sehr laut"

Eine Frage stellt sich nach diesem Wochenende besonders dringlich: Warum gehen Menschen, die ihre Meinung äußern wollen, gemeinsam mit Rechtsextremen auf die Straße?
Simon Teune vom Institut für Protest und Bewegungsforschung findet durchaus, dass sich diese Frage auch die Demonstranten vom Wochenende stellen sollten. Immerhin würden sie dort zusammen laufen mit "Menschen mit Umsturzfantasien" und solchen, die meinen, "dass wir in einer Diktatur leben", so der Soziologe.
Insgesamt fällt es Teune jedoch schwer, sich ein abschließendes Urteil zu den Demonstrationen zu bilden, weil "die schrillen Töne doch sehr laut sind". Für ihn sei es nicht nachvollziehbar, wie man auf Grundlage der Coronamaßnahmen auf die Idee komme, die Bundesrepublik mit dem NS-Regime oder der DDR gleichzusetzen. "Und ich verstehe auch nicht, wie man glaubt, zusammen mit Neonazis oder mit Putin-Fans auf einer Demonstration das Grundgesetz verteidigen zu können."

Die extreme Rechte hat geschlossen aufgerufen

Teune glaubt, die Pandemie habe viele Menschen verunsichert. Für einige sei die Welt offenbar ins Wanken geraten – "da haben sich die Koordinaten verschoben". Andere würden sich schon seit einiger Zeit nur noch selbst bestätigen in ihrer Ablehnung gegen die Institutionen oder gegen den Journalismus. "Die Kommunikation findet in geschlossenen Kreisen statt, und jeder, der die dort geltenden Grundannahmen in Frage stellt, ist potenziell schon ein Feind."
Festzuhalten sei, dass die extreme Rechte geschlossen zu dem Protest aufgerufen habe und auch sehr zahlreich vertreten gewesen sei. Entsprechend kann Teune Menschen, die mit Rechtsextremen tatsächlich nichts zu tun haben wollen, aber die ökonomischen oder psychologischen Folgen der Pandemie kritisieren wollten, nur raten, eigene Demonstrationen zu organisieren – und zwar so, "dass sich Menschen mit Umsturzfantasien nicht eingeladen fühlen".
Das gehe zum Beispiel über eine klarere Thematisierung der Inhalte und eine Abgrenzung gegenüber Rechtsextremen und antisemitischen Verschwörungserzählungen. So eine Abgrenzung könne man auch durchsetzen und die Ordner der Demonstration entsprechend schulen. "Wenn das von vornherein klar ist, wird es auch deutlich unattraktiver für die extreme Rechte, dort aufzutauchen."

"Es hilft nicht, alle als Nazis zu bezeichnen"

Schon seit Pegida gehen zunächst gemäßigte Bürger mit Rechtsextremen auf die Straße. Ebenso in Chemnitz im Jahr 2018. In allen Fällen habe über die Kritik, die es von außen an diesen Versammlungen gab, eine Radikalisierung stattgefunden. Die Gemäßigteren seien dadurch nicht mehr auf die Demonstrationen gegangen. Andere fühlten sich erst angezogen. Durch diese Radikalisierung seien die Proteste sehr wirkmächtig geworden, sagt Teune.
Wichtig sei es nun, "nicht pauschal zu urteilen über die Leute, die auf so einer Demonstration sind, aber auch gleichzeitig eindeutig Grenzen zu ziehen gegenüber Verschwörungserzählungen, gegenüber Antisemitismus und Rassismus. Und wenn man das klar hat, hat man schon eine ganze Menge gewonnen. Es hilft, glaube ich, nicht viel, alle Leute, die auf so einer Demonstration sind, als Nazis oder als Idioten zu bezeichnen, das geht an der Sache vorbei."
(sed)
Mehr zum Thema