Mehr zu "Real Magic" auf der Seite der Zeche Zollverein und zu Forced Entertainment auf der Website der Gruppe
Ein Fest der Schauspielerei im Zollverein Essen
Ein Moderator, ein Kandidat und ein Gegenkandidat - fertig ist das Ensemble einer Quizshow, deren geringer Inhalt immer und immer wieder aufs Neue gespielt wird. Mit diesem simplen Konzept schafft die Gruppe Forced Entertainment tatsächlich "Real Magic". Unsere Kritikerin ist begeistert.
Nach Magie sieht das nicht aus in der alten Backsteinhalle auf der Zeche Zollverein in Essen. Ein schäbiges Stück Kunstrasen, drei Stühle, ein Mikrofon. Im Hintergrund liegen ein paar abgetragene Kostüme herum: ein plüschiger Küken-Overall in quietschgelb, ein Abendkleid aus Goldlamée, eine riesige Clownshose mit Hosenträgern.
"Real Magic" kommt ins Spiel mit den drei Performern Claire Marshall, Richard Lowdon und Jerry Killick - alle drei schon lange mit von der Partie bei Forced Entertainment. Vor über 30 Jahren hat sich die Gruppe in Sheffield gegründet um den Regisseur und Autor Tim Etchells, der auch "Real Magic" zusammen mit dem Kollektiv entwickelt hat. Längst ist die Gruppe vom Geheimtipp zum Top Event der europäischen Theaterszene geworden. Sie zeigt ihre aus Schauspiel, Tanz, Performance und Comedy gemixten theatralischen Künste auf Festivals weltweit. Vor einigen Wochen ist "Forced Entertainment" für ihre innovative Arbeit der International Ibsen-Award verliehen worden, eine Art Nobelpreis des Theaters.
Forced Entertainment begeistert Publikum mit Witz und Tempo
Die große Kunst von Forced Entertainment ist es, aus nichts etwas zu machen. Kleine, scheinbar banale Textbausteine, alltägliche Situationen werden solange gedreht, gewendet, ausgeleuchtet, bis vom schrillen Unsinn bis zum philosophischen Tiefsinn alles sichtbar wird, was darin stecken könnte. Mit Witz und Tempo und einem unbändigen schauspielerischen Furor fesseln die Akteure das Publikum an ihre szenischen Gedankenspiele.
Das alles gelingt auch bei "Real Magic"; das im Tanzzentrum Pact Zollverein seine Uraufführung erlebte. Seit Jahren ist das Theaterhaus eine Art Wahlheimat für die britischen Performer, die hier neue Stücke zu Ende proben und zur Uraufführung bringen. "Real Magic" setzt den Rahmen einer billigen kommerziellen Gameshow aus dem Fernsehen. Ein Moderator, ein Kandidat und ein Gegenspieler, der die Aufgabe stellt. Die ist reichlich absurd: Der Kandidat soll mit drei Versuchen einen Begriff erraten, an den sein Gegenüber angeblich gerade denkt. Für das Publikum wird das Wort auf einer Tafel hoch gehalten. Der Kandidat rät dreimal falsch. Die Spieler tauschen die Rollen.
In den knapp anderthalb Stunden von "Real Magic" wird diese Versuchsanordnung gefühlte 50 Mal durchgespielt - die falschen Antworten sind immer gleich, die Redefloskeln des Moderators aus, die angeblich gedachten Begriff ebenfalls. Die Satire auf alberne Fersehshows ist leicht zu erkennen. Allmählich enthüllt sich auch eine tiefere Dimension, die manches zu denken gibt.
"Real Magic" grenzt tatsächlich an Zauberei
Warum glauben eigentlich die Kandidaten immer wieder, es sei möglich, die Gedanken anderer Leute zu lesen? Warum lernen wir nicht aus Fehlern? Warum folgen wir starren Regeln, die in völlig unproduktive Kreisläufe führen? Und bald merkt man, dass dieser Abend mehr mit Becketts "Warten auf Godot" zu tun hat als mit Jauchs "Wer wird Millionär". Mit den simplen Mustern des kommerziellen TV-Programms an solche existentiellen Fragen zu rühren, das grenzt schon an Zauberei.
"Real Magic" ereignet sich aber an diesem Abend auch, weil man der wirklichen Zauberei zuschauen kann, die in jeder gelungenen Theaterszene steckt: der Verwandlung eines Schauspielers in eine Figur und eines Texts in eine Szene. Claire Marshall, Richard Lowdon und Jerry Killick machen das mit einer Phantasie und einer Spielfreude, die einfach unerschöpflich scheinen. Sie können die immer gleichen Quizfragen spielen wie ein Seelendrama von Tschechow oder wie eine Clowsnummer, wie eine miese Intrige oder einen zärtlichen Flirt, in überdrehtem Zeitraffertempo oder als absurdes Endspiel. Immer wieder starten sie neu vom Nullpunkt des Rollentauschs und schaffen aus dem Nichts eine Figur, einen Kontext, über den man immer weiter spekulieren möchte. Aber schon beginnt die nächste Runde, die Illusionsmaschine Theater arbeitet auf Hochtouren, man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Ein Fest der Schauspielerei.