"Real-Surrealismus" in Russland

Milo Rau im Gespräch mit Dieter Kassel |
Milo Rau arbeitet an einem Film über den Prozess gegen die Band "Pussy Riot", wollte nach Moskau reisen - und bekam kein Visum. Das zeige die Verschärfung der Lage auch für die Opposition in Russland, meint der Schweizer Regisseur.
Dieter Kassel: Der Schweizer Theatermacher Milo Rau ist ziemlich bekannt geworden mit Stücken wie "Hate Radio" oder "Breiviks Erklärung", und er hat im März dieses Jahres besonders viel Aufsehen erregt – mit seiner Inszenierung "Die Moskauer Prozesse", mit der er drei echte Gerichtsverfahren, in denen es um Kunstzensur und Kirche ging, nachgestellt hat. Einer davon war der gegen die Aktivistinnen von "Pussy Riot". Zurzeit arbeitet Milo Rau an einem Dokumentarfilm zu eben diesem Thema, deshalb wollte er erneut nach Moskau reisen, aber er darf nicht: Das russische Generalkonsulat in Bonn hat ihm kein Visum erteilt. Deshalb sitzt er jetzt in Köln für uns am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Rau!

Milo Rau: Guten Tag!

Kassel: Hat Ihnen die russische Einwanderungsbehörde auch Gründe genannt für das Einreiseverbot?

Rau: Gründe habe ich persönlich nicht gehört, es wurde auch nicht geantwortet auf die Anfragen meiner Produktionsfirma und mir. Was ich wiederum gehört habe, war vom Visumszentrum, dass sich dort folgendes Gespräch abgespielt habe: Also erstens wurde gesagt, ja, warum kriegen wir den Pass zurück ohne Visum? Dann wurde gesagt, ja, Herr Rau steht auf einer Liste, der kann nicht einreisen. Und dann wurde gesagt, ja, und was ist der Grund dafür? Und da wurde gesagt, ja, dann geben Sie doch mal seinen Namen ein in Google und gucken Sie mal, was da rauskommt, dann wissen Sie, warum.

Kassel: Das ist ja schon relativ offen. Es hat ja schon bei dieser Theaterinszenierung im März eine mehrstündige Unterbrechung gegeben wegen angeblicher Schwierigkeiten mit dem Visum. War das reiner Zufall, dass sich das damals am Ende doch irgendwie klären ließ?

Rau: Das war natürlich …, ein Grund war: Es war ja eine Gerichtsperformance, die ich eigentlich gemacht habe, so eine dreitägige Gerichtsverhandlung mit richtigen Anwälten über die Prozesse gegen Künstler, die ich wieder aufgenommen habe, und ich hatte deshalb professionelle Juristen auf der Bühne. Und ich habe dann diese Beamten von der Migrationsbehörde oder von der Ausländerbehörde auf die Bühne gebeten und dann haben wir uns ihre Untersuchungspapiere mal angeguckt. Dann hat sich natürlich auch gezeigt, dass mein Visum sehr wohl in Ordnung war, also ich hatte eine Arbeitserlaubnis und alles. Also das hat sich alles als eigentlich aus der Luft gegriffen herausgestellt, einfach nur als Alibi-Grund, um das mal zu unterbrechen, was dann aber dank meiner Juristen nicht gelungen ist.

Kassel: Sie waren ja auch schon vor der Inszenierung logischerweise mehrmals in Russland, um zu recherchieren, um mit Menschen zu reden. Gab es da eigentlich jedes Mal irgendwelche Schwierigkeiten oder ging das sonst gut mit dem Visum?

Rau: Nee, ich hatte nie Schwierigkeiten, also ich reise seit 2010 eigentlich regelmäßig nach Russland, sehr oft, das wäre jetzt, glaube ich, das siebte oder achte Mal gewesen. Und das war das erste Mal, dass man mich nicht einreisen ließ. Ich denke, die Gründe liegen auf der Hand, auch wenn ich denke, dass sie nicht rechtens sind und dass sie, wie soll ich sagen, dass das nicht das richtige Vorgehen ist. Ich hatte aber nie vorher irgendein Problem oder auch nur den Hinweis darauf, dass es ein Problem geben könnte, es begann eigentlich im März erst.

Kassel: Das Besondere an Ihrer Inszenierung, es gab einige besondere Dinge daran, die Länge allein schon, aber das Besondere war auch, dass Sie ja keine Schauspieler auf dieser Bühne, auf diesem auf der Bühne aufgebauten Theatersaal hatten im Sacharow-Zentrum, sondern echte Protagonisten, und eben nicht nur die eine Seite: Es gab ja nicht nur die Künstlerinnen, die Oppositionellen, Sie hatten auch einen putintreuen Moderator und einfach Leute von der anderen Seite. Und damals habe ich an einigen Stellen gelesen über diese Inszenierung, es könnte dadurch ein Dialog, ein Gespräch in Gang kommen, zum Beispiel zwischen kritischen Künstlern und der russisch-orthodoxen Kirche. Ist das in irgendeiner Form passiert?

Rau: Ich denke, im Rahmen dieser drei Tage auf jeden Fall. Also ich erinnere mich noch sehr gut, dass mir der Leiter des Sacharow-Zentrums, der freundlicherweise den Gerichtsschreiber gespielt hatte, dass er mir sagte: Also all diese Priester, all diese Angehörigen auch von sehr rechts stehenden, regierungsnahen Organisationen sogar – er würde sich in einem surrealen Traum fühlen, dass diese Menschen jemals ins Sacharow-Zentrum kommen, also an den Ort des Teufels fast schon. Und dass sie auch noch bereit sind, drei Tage zu diskutieren. Das war eigentlich, wie soll ich sagen, das war eigentlich eine Form von Surrealismus, von Real-Surrealismus.

Dann diese Attacke der Migrationsbehörde und dann auch der Kosaken hat eigentlich dazu geführt, dass es dann noch mehr Gespräche darüber gab. Ich war dann in vielen, vielen Talkshows und so weiter, und es gab wieder sehr viele Gespräche zwischen den Fronten, und es sah wirklich für einen Moment so aus, zumindest ein bisschen, als würde da was in Gang kommen. Aber ziemlich schnell darauf kamen die neuen Gesetze gegen Homosexuelle, gab es neues Vorgehen gegen Künstler und auch natürlich andere zivilgesellschaftlich engagierte Gruppierungen, und das war schnell wieder vorbei.

Kassel: Was heißt denn das für die Künstler, mit denen Sie auch Kontakt haben, die da vielleicht Hoffnung geschöpft haben, eine Hoffnung, die jetzt wieder zerstört wurde?

Rau: Ja, also ich denke, dass auch sie und ich, dass wir erstaunt sind über dieses Vorgehen, also jetzt gerade über diese Visumsgeschichte, dass die Einreise nicht möglich ist. Und wir hoffen, wie gesagt, dass das einfach sich, na ja, klärt, oder dass es immerhin ein klares Coming-out gibt über die Gründe, die meines Erachtens auf der Hand liegen, also dass es immerhin da eine Offenheit gibt.

Weil mein Stück handelte eigentlich davon, dass ich beispielsweise, wenn Katja und Pussy Riot" diese Aktion in der Kirche gemacht haben, diesen Auftritt mit dem Punkpryer, war das natürlich eine politische Aktion gegen Putin, konstruiert wird aber ein juristisches Problem daraus und dann gibt es einen Prozess. Ähnlich ist das hier. Ich will einen Dokumentarfilm machen über Russland, konstruiert wird ein Visumsvergehen, es wird mir kein Visum ausgestellt und es wird eigentlich von der Ebene, auf die es gehört, nämlich auf die der politischen Debatte, auf eine andere gebracht, auf die der Kriminalität. Und das ist, denke ich, das Problem.

Kassel: Wir reden hier heute Nachmittag im Deutschlandradio Kultur mit dem Schweizer Theater- und eben auch Filmemacher Milo Rau über sein Projekt, das wollen wir jetzt mal tun, Herr Rau, den Film, der ja eigentlich auch der Anlass war für Sie, noch mal nach Moskau jetzt fahren zu wollen, was Sie nicht dürfen, weil Ihnen das Visum verweigert wurde. Was für ein Film ist das eigentlich? Ist das das abgefilmte Theaterstück einfach nur?

Rau: Ja, also ich denke, ich habe diese Performance natürlich mit sechs Kameras aufzeichnen lassen. Ich habe da geguckt, das wirklich alles mitzuverfolgen. Ich habe aber vorher mehrere Monate bereits gedreht mit den Protagonisten, man sieht auch die ganzen Hintergründe dieser Performance, also man lernt eigentlich das, was man sieht, und was vielleicht schwieriger auch zu verstehen ist, lernt man auf ganz vielen anderen Ebenen auch zu verstehen. Also dieses Abbild Russlands in einem Gerichtssaal lernt man sehen, indem man halt die Hintergründe noch sieht, die man in der Performance selber nicht gesehen hat. Das ist gewissermaßen ein Dokumentarfilm über das Projekt, das aber noch mal neue Türen öffnet, die im Projekt selber …, die man verstehen kann, die aber natürlich vielleicht auch unsichtbar geblieben wären.

Kassel: Ist der Film jetzt eigentlich in irgendeiner Art und Weise gefährdet dadurch, dass Sie nicht noch mal nach Russland dürfen?

Rau: Also ich denke, dass natürlich die letzte Abteilung, wo ich wirklich noch mal über die Folgen auch sprechen wollte der Produktion, und auch darüber, was in den letzten sechs Monaten sich, wie gesagt, noch mal verschärft hat im politischen Klima, das ist natürlich schwieriger einzufangen. Gleichzeitig wird natürlich dieses Visumsproblem, diese Einreiseverweigerung selber jetzt zum Thema des Films. Also der Film handelt ja auch über die Verfertigung einer Performance und der Reaktion, die der russische Staat darauf gezeigt hat. Also da ist auch die erste Attacke der Behörde ist eine Szene des Films, und wie soll ich sagen, auf eine gewisse Hinsicht reichert der Film sich dadurch an und zeigt etwas, worüber man vielleicht sonst nur gesprochen hätte, faktisch. Andererseits fehlen natürlich dann Dinge. Doch ich denke, dieses Fehlen ist sehr symptomatisch. Und deshalb, auf eine sehr seltsame Weise gehört das beinahe zum Film.

Kassel: Für Sie ist es ärgerlich, dass Sie nicht wieder hin dürfen. Ist es für die Künstlerinnen – Sie haben Katja erwähnt, eine der "Pussy Riot"-Damen, die mit Ihnen mitgewirkt haben an diesem Stück –, ist es für die gefährlich, die Lage, wie sie sich es jetzt entwickelt hat?

Rau: Gefährlich, denke ich, nicht, also es ist ein gefährliches Zeichen, wobei es vorher schon sehr viele andere gefährlichen Zeichen gab. Wie gesagt, also einem deutschen Künstler wurde, soweit ich weiß, bisher noch nicht die Einreise verweigert und auch nicht einem Schweizer Künstler. Und das zeigt einfach die Verschärfung in der Lage. Also wenn es zu einem Punkt kommt, wo einem, ich denke, so schlechte PR egal wird, da kann man schon sagen, dass die Situation ein bisschen außer Kontrolle geraten ist. Was hier wiederum "Pussy Riot" angeht, muss ich sagen, lassen sich die Realität, also dass zwei davon im Lager sind, das ist natürlich das hauptsächliche Problem und nicht, dass ein Regisseur wie ich, der hier im Westen lebt, nicht einreisen kann.

Kassel: Nun hat man ja leicht, wenn man von außen auf Russland guckt, das Gefühl: Wenn man Künstlerin oder Künstler ist in Russland, dann ist man automatisch in der Opposition, ist man automatisch putinkritisch. Ist das so?

Rau: Auf gar keinen Fall, und ich denke, das ist auch ein Punkt, der in meinem Film interessant ist. Wir haben da viele Künstler drin, die in unseren Augen Staat-Künstler wären. Die sehr gute Künstler sind, nebenbei bemerkt, die aber absolut auf der Linie der Regierung sind. Also das ist im Theaterbereich so, im Bereich der darstellenden Kunst. Es gibt auch andere. Ich denke aber, dass das kein Kampf innerhalb der Kunst ist, sondern es ist ein politischer Kampf. Und natürlich gibt es Künstler, die andere politische Ausrichtungen haben, so wie das, ich sage mal, im Naziregime auch so war, dass durchaus gute Künstler, durchaus respektable Philosophen, zumindest eine Zeit lang zum Regime standen. Das sagt eigentlich über die Kunst nicht viel aus.

Kassel: Es gibt ja eigentlich zwei westliche Regierungen, die jetzt eingreifen könnten, nachdem Ihnen das Visum verweigert wurde. Zum einen natürlich die Schweizer, weil Sie Schweizer Staatsbürger sind, aber ja auch die deutsche Bundesregierung, weil sie beim Generalkonsulat Russlands in Bonn ja eigentlich den Antrag gestellt haben. Glauben Sie, dass Ihnen da politisch geholfen werden wird?

Rau: Derzeit glaube ich es nicht. Also ich habe mir überlegt, nachzusuchen, ich werde das auch noch tun. Es gab da verschiedene Aufrufe. Ich weiß nicht, ob daraus jetzt ein diplomatischer Zwischenfall gemacht werden will oder nicht, wobei es in meinen Augen einfach objektiv gesehen einer ist, also unabhängig von meiner Person. Es gibt bilaterale Abkommen, die wurden gebrochen ohne Grund. Na ja, also ich hoffe schon, dass es zumindest dann oft Protest gibt, dass so was eigentlich nicht geht.

Kassel: Der Theater- und Filmemacher Milo Rau darf nicht mehr nach Russland, aber seinen Film, "Die Moskauer Prozesse", wird es trotzdem geben. Im kommenden Jahr soll er dann zunächst mal auf einigen Festivals gezeigt werden. Herr Rau, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Rau: Herzlichen Dank!

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