Reanimierte Ruinen

Von Klaus Englert |
Keine Kunden, keine Kredite, keine öffentlichen Bauaufträge - Barcelonas Architekten geht es schlecht. Aber in der Not haben sich junge Architekten und Künstler zusammengeschlossen, um die Ruinen von Barcelonas industrieller Blütezeit mit neuem Leben zu füllen.
Bankenkrise, Schuldenlasten, hohe Arbeitslosigkeit – das sind die Themen in den Berichten deutscher Medien über Spaniens Wirtschaft. Hin und wieder werden auch Hiobsbotschaften von Künstlern und Architekten verkündet. Dass diese Befürchtungen berechtigt sind, bestätigt Marta Domenech, eine junge Architektin aus dem katalanischen Girona. Unter spanischen Architekten – erläutert Domenech – habe längst der Exodus eingesetzt.

Marta Domenech: "Die Lage der Architekten in Spanien ist dramatisch, weil es keine privaten oder öffentlichen Bauaufträge mehr gibt. Und weil die Banken keine Kredite vergeben, trifft es die kleinen Büros besonders hart. Die Folge: 80 Prozent meiner Kollegen leben außerhalb von Spanien, die meisten in China oder Brasilien, viele in der Schweiz und einige auch in Deutschland."

Marta Domenech hatte Glück im Unglück. Zwar erhält auch sie keine Bauaufträge mehr, dafür bekam sie von der Universität Barcelona ein Promotionsstipendium, um über die Internationale Bauausstellung in Berlin 1987 zu forschen. Schließlich gründete sie mit anderen jungen Architekten die Gruppe MAP 13, die kürzlich einen öffentlichen Wettbewerb gewann: Auf dem Vorplatz der einstigen Textilfabrik Fabra i Coats errichteten sie – allerdings ohne Honorar - eine kleine multifunktionale Halle nach dem Vorbild traditioneller katalanischer Klinkergewölbe. Ihr Kollege David López ist davon überzeugt, dass die Halle von einem tiefen Umbruch in der spanischen Architektur zeugt:

"Sie wollen unbedingt bauen"
David López: "Natürlich geht es den Architekten und dem Bausektor schlecht. Trotzdem hat die Krise für die Architekten auch etwas Gutes bewirkt. Die jungen Architekten setzen auf ihre Phantasie, um mit geringstem Etat nützliche, neue Bauwerke zu schaffen. Diese gut ausgebildeten Leute besitzen ein erstaunliches Energiereservoir: Sie wollen unbedingt bauen. Sie entwickeln sehr interessante Projekte, mit preiswerten und nachhaltigen Materialien."

David López meint, die Zeit spektakulärer Kunsttempel und glitzernder Office-Tower sei endgültig vorbei. Barcelona müsse sich jetzt des historischen Bauerbes besinnen und die zahlreichen leer stehenden Fabriken umnutzen. Wie eben die Textilfabrik Fabra i Coats, die Anfang des 19. Jahrhunderts im industriellen Norden Barcelonas errichtet wurde:

David López: "Nachdem sich die Stadt immer mehr ausbreitete, befinden sich die Fabriken mittlerweile inmitten der Stadt. Heute müssen sie für ganz andere, für künstlerische Zwecke umgenutzt werden. Diese Möglichkeiten bietet auch Fabra i Coats."

Die renovierte Textilfabrik im nördlichen Barrio Sant Andreu ist das Vorzeigeprojekt der städtischen Initiative "Fábricas de Creación". Der renovierte Gebäudeteil verfügt immerhin über 12.000 Quadratmeter Grundfläche. Im Erdgeschoss wurde gerade die Ausstellungshalle "Centre d’Art Contemporani" eingeweiht. Für Musiker, Bildhauer und Schauspieler stehen in den oberen drei Geschossen Ateliers und Proberäume bereit. Maria kommt gerade von einer Probe mit der Theatergruppe Insectotropics:

Maria: "Wir sind froh, dass die Stadt Künstler unterstützt, denen selbst die nötigen Kapazitäten fehlen. Wir können in Fabra i Coats preiswert Probenräume anmieten. Hier gibt es professionelles Personal, ebenso stehen Akustik und Beleuchtungsanlagen zur Verfügung."

"Unser Ziel haben wir erreicht"
Ein anderes Beispiel von "Fábricas de Creación": Hangar.org. Das künstlerische Labor im aufstrebenden Stadtteil Poble Nou steht unter den Kreativen Barcelonas hoch im Kurs. Hangar gehörte einst zur florierenden Druckerei Can Ricart, mittlerweile gleicht sie einer Ruinenlandschaft. Direktorin Tere Badia, die vor einigen Jahren im ZKM Karlsruhe arbeitete, schätzt die Vorzüge des kürzlich erweiterten und renovierten Hangar:

Tere Badia: "Als die Künstler geeignete Räumlichkeiten suchten, stießen sie auf die ungenutzten Fabrikräume. Auf diese Weise entstand Hangar. Unsere Aufgabe ist: Den Künstlern preiswerte Ateliers und geeignete Technologien zur Verfügung zu stellen."

Die Kreativitätszentren Hangar und Fabra i Coats gehören zu den wichtigsten Kulturinvestitionen der Stadtverwaltung. Anders verhält es sich mit Barcelonas größtem Industriekomplex, der ebenfalls seit Jahrzehnten mehr und mehr verfällt: Can Battló, einst florierende Textilfabrik am südlichen Stadtrand, heute ein Bauwerk an der Schwelle des postindustriellen Zeitalters. Vor einiger Zeit haben der junge Architekt Carles Baiges und sein Team La Col damit begonnen, Teile der Fabrik in ein Kulturzentrum umzuwandeln. Diesmal ohne Unterstützung der Stadtverwaltung:

Carles Baiges: "Seit Langem wollten die Anwohner das Gebäude für sich nutzen. Unser Ziel haben wir erreicht und nun richten wir hier ein Kulturzentrum ein. Zusammen mit den Anwohnern des Barrios restaurieren wir gerade einen Teil der Fabrik. Kürzlich haben wir eine kleine Konzerthalle, eine Bibliothek und eine Bar eingebaut und jetzt kommen die Ateliers an die Reihe."

Barcelona durchlebt gerade die letzte Boomphase seiner spektakulären Kulturtempel: Leuchtturmprojekte wie Sagrada Familia, Designmuseum und Zaha Hadids Universität sollen unter allen Umständen fertig gestellt werden. Junge Architekten wie Carles Baiges, David López und Marta Domenech leiten derweil mit maßvollen Projekten die Zeit nach dem Immobilien-Rausch ein.
Mehr zum Thema