Die bewegte Frau
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Das Museum Tinguely in Basel und das Centre Pompidou in Metz widmen der vielseitigen Künstlerin Rebecca Horn eine große Werkschau. In Basel geht es um die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Maschine, in Metz um das Surrealistische in ihrem Werk.
1973 schnallte sich Rebecca Horn eine Maske vors Gesicht, die mit zwölf Bleistiften gespickt war. Mit heftigen Kopfbewegungen kratzte sie damit eine Zeichnung an die Wand, deren wilde Spuren sich als Ausdruck einer sprachlosen Wut deuten ließen. Im gleichen Jahr entwarf sie einen mit Bandagen am Körper befestigten Fächer aus weißem Stoff, der sich entfaltet, als wären der Frau ein Paar Flügel gewachsen.
Die Erfahrung der Isolation
Der Ursprung ihres Werks, das den Körper mal einschränkt und knebelt, mal erweitert und befreit, liegt in ihrer Biographie. Als Studentin hatte Rebecca Horn ungeschützt mit Polyesterabgüssen gearbeitet und sich dabei eine Vergiftung zugezogen, sagt Sandra Beate Reimann, die Kuratorin der Basler Ausstellung "Körperphantasien":
"Sie war lange, etwa ein Jahr im Sanatorium aufgrund einer Lungenkrankheit. Und aus dieser Erfahrung der Isolation heraus hat sie angefangen, sich mit ihrem Körper auseinanderzusetzen und dann auch Körperextensionen für Performer, für andere Personen zu entwickeln, mit denen man sich auf den eigenen Körper konzentriert, auf die Motorik, auf die Wahrnehmung, auf die Sinnesempfindung des Körpers."
Ihre Lieblingsthemen sind Fliegen und Flüchten
Federn und Flügel spielen in der Basler Schau zunächst eine große Rolle. Ihre Lieblingsthemen Fliegen und Flüchten übersetzt Rebecca Horn bald gerne in mechanisch bewegte Apparaturen. So wie ihre "Pfauenmaschine" von 1981 in aufreizend langsamer Balz ihr weißes Gefieder spreizt, schafft Horn immer wieder erotische Bilder mit poetischen Titeln. "Die Paradieswitwe" zum Beispiel: eine körpergroße Hülle aus schwarzen Federn, die sich öffnet und schließt und den Körper einer nackten Frau offenbart und wieder verbirgt.
Auf den nackten Leib müssen wir allerdings verzichten, auch bei dem sogenannten "Überströmer", bei dem ein nackter Mann auf einem gläsernen Podest verharrt, in ein Korsett aus transparenten Schläuchen gezwängt, durch die eine blutrote Flüssigkeit pulst. All das lässt sich nur anhand von Requisiten, Fotos oder Filmen nacherleben, nicht in Aktion. Ein Video von 1975 dokumentiert eine rebellisch radikale Performance, bei der sich die Künstlerin in einem gefährlich autoaggressiven Akt mit zwei Scheren gleichzeitig die langen Haare stutzt.
"Diese Themen, wie mit Flügeln geschlagen wird, wie sich Federn ausbreiten, wie Blut im Körper zirkuliert, das fand ich sehr spannend, wie dieses Thema sich bei ihr weiterentwickelt und man kann sagen, dass sie Bewegung von Menschen und Maschinen choreographiert."
Zittern, wippen, klappern, drehen und schwenken
In der Tat zittert und wippt, tänzelt und fächelt es in der ganzen Schau, es wird geklappert, gespreizt, gedreht und geschwenkt. Ein aufgeklappter Koffer flüchtet an einer Metallstange hinauf bis unters Dach, um dann doch wieder zurückzukehren. Eine vergebliche Reise. Und in einem anderen Raum hängt eine ganze Reihe altertümlicher Schreibmaschinen von der Decke, denen ein elektrischer Mechanismus klickende Töne in die Tasten tippt.
Gleich nebendran hängt eine einzelne Schreibmaschine an der Wand, "Erika" heißt das Modell. Frauensache offenbar, von der sich die Künstlerin buchstäblich distanziert, indem sie die Typenhebel mit überlangen Metallstäben von der Decke herab steuert.
Da gibt es Malmaschinen, die Farbe und Tinkturen verspritzen, Körperprothesen als Verlängerung von Armen und Fingern oder eine raumfüllende Installation: "Rio de la Luna" – Mondfluss – heißt sie. Quecksilber fließt wie flüssiges Mondlicht durch alchimistisch anmutende Apparaturen, durch Trichter, Schläuche, Röhren und Becken – ein magischer Kreislauf. An der Wand hängen zwei Glaskolben mit einer Violine, und ab und zu streicht der Bogen kurz mechanisch über die Saiten, einem Seufzer gleich.
Die in Metz gezeigten Werke eröffnen eine andere Perspektive auf das Werk, sagt Sandra Beate Reimann: "Die Ausstellung in Metz legt stärker den Fokus auf die Bezüge zum Surrealismus der Künstlerin, auf das Animistische, auf das Märchenhafte ihrer Kunst und fokussiert vor allem auf ihre Filme, die als Bühne für ihre Skulpturen fungiert haben."
Ein Werk zwischen Selbsterkundung und Verzweiflung
Die Schau in Metz dokumentiert Horns Schaffen im Dialog mit Werken von zwei Dutzend Künstlern wie Man Ray, Marcel Duchamp oder Max Ernst. Sie deckt Einflüsse auf und führt auch das reiche Bild- und Materialarchiv vor Augen, auf das die Künstlerin in ihrem Atelier zurückgreifen kann. Es ist ein Werk voller Symbole und Obsessionen, das schwankt zwischen körperlicher Selbsterkundung und Verzweiflung und das den weiblichen Körper offenbart in seiner Verletzlichkeit, aber auch als Waffe.
Und dass Rebecca Horn, diese bewegte Frau, seit einem Schlaganfall vor ein paar Jahren im Rollstuhl sitzen muss, teilweise gelähmt, ist eine bittere Ironie des Schicksals.