Rebecca Solnit: "Die Dinge beim Namen nennen"
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Bettina Münch und Kirsten Riesselmann
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019
320 Seiten, 22 Euro
Wütende Worte einer US-Feministin
05:59 Minuten
Was tun in einem Land, das von einem Egomanen regiert wird und durch Ideologien zerrissen scheint? Die US-amerikanische Feministin Rebecca Solnit nutzt in "Die Dinge beim Namen nennen" die Macht der präzisen Sprache - gegen die Kultivierung von Zorn.
Vielleicht ist man schon ein wenig müde und vielleicht hört man auch schon weg, wenn wieder einmal ein Buch erscheint, das die Zustände im Land des Donald Trump kritisiert. Weil man denkt, man wisse schon alles über dieses gespaltene Land, das von einem wütenden Egomanen regiert wird und dessen politische Klasse bis ins Mark korrumpiert scheint? Spätestens dann empfiehlt sich die Lektüre des Essaybandes unter dem Titel: "Die Dinge beim Namen nennen" der amerikanischen Autorin und Journalistin Rebecca Solnit.
"Wenn es um düstere Themen geht, betrachte ich den Akt des Benennens als eine Art Diagnose. Auch wenn nicht alle diagnostizierten Krankheiten heilbar sind, ist man ... deutlich besser gerüstet, sich entsprechende Gegenmaßnahmen zu überlegen". So beginnt ihre Analyse des amerikanischen Krankheitsbildes – und sie macht zuerst etwas sehr Altmodisches: Sie rückt die Bedeutung von Sprache in den Vordergrund.
Diagnose einer "Ideologie der Isolation"
Wenn Sprache Bewusstsein prägt, dann hat sich laut Solnit schon am Beispiel der Präsidentschaftsdebatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump am 9. Oktober 2016 gezeigt, zu welchen Methoden der künftige Präsident greifen würde: Unflätige Beschimpfungen, dauerndes Unterbrechen, aggressive Körperhaltung mit dem Ziel, die politische Gegnerin als unfähig und inferior zu degradieren. Die von Trump gezeigte Frauenfeindlichkeit bezeichnet Rebecca Solnit als systemisch für die US-amerikanische Gesellschaft: "Die Frauenfeindlichkeit war überall, sie kam von rechts und von links, mit Clinton im Mittelpunkt der Angriffe, und sie griff auf Frauen des gesamten politischen Spektrums über".
Als ein weiteres Krankheitsbild diagnostiziert Solnit die – wie sie es nennt – "Ideologie der Isolation". Gemeint ist die weithin verbreitete Vorstellung, Amerika basiere allein auf den Grundwerten der individuellen Freiheit und Verantwortung. Anders ausgedrückt: Wenn es dir schlecht geht, bist du selbst schuld. Steuern sind überflüssig und das Tragen von Waffen ist ein Grundrecht. "Die neue Rechte hasst den Staat", schreibt sie und zieht eine direkte Linie, mitunter abenteuerlich formuliert, zu den Leugner des Klimawandels, allen voran Donald Trump. Da sie staatliches Handeln – zum Beispiel die Beschlüsse von Klimagipfeln – als Beschneidung individueller Freiheiten verachten, sei der "Klimawandel ein Trojanisches Pferd, das gebaut wurde, um den Kapitalismus abzuschaffen und ihn durch eine Art Öko-Sozialismus zu ersetzen".
Beschreibung einer "Industrie des Zorns"
In ihrem besten und klügsten Artikel beschäftigt sich Rebecca Solnit mit der Kultivierung des Zorns, die in den USA fast schon leidenschaftlich betrieben wird und deren prominenteste Verfechter die "angry white men" sind. Sie beschreibt einen wütenden Präsidenten, aggressive TV-Shows, enthemmte Social Media-Plattformen, - all dies formiert sich zu einer "Industrie des Zorns", die übrigens sowohl im linken wie im rechten Lager zuhause ist. Und auch hier wieder ihr feministischer Ansatz: Männlicher Zorn ist legitimiert. "Wenn Frauen zornig sind, wird ihnen das als charakterlicher Makel ausgelegt".
Trotz origineller Aufsätze fehlt dem Essayband allerdings ein roter Faden. Rebecca Solnit seziert mit spitzer Feder, findet pointierte Wendungen, stellt bekannte Tatsachen (Frauenfeindlichkeit des Präsidenten) in Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Entwicklungen (Kultivierung des Zorns), aber die Gemeinsamkeit erschöpft sich dann in der Floskel: "Die Dinge beim Namen nennen".