Die Digitalisierung sei nicht mehr aufzuhalten, sagt Recklings Kollegin Cora Grass, ebenfalls von "Cloud&Heat". Deshalb sei es notwendig, die daraus entstehende Abwärme dann auch zu nutzen. Hören Sie hier unser Gespräch mit ihr.
Rechenzentren
Bau des neuen Westville-Viertels: Die Wohnungen sollen mit Abwärme eines benachbarten Rechenzentrums beheizt werden. © picture alliance/dpa / Julia Cebella
Riesiges Potenzial für Abwärmenutzung
06:32 Minuten
Mit ihren 60 Rechenzentren gilt die Region Rhein-Main neben London als wichtigster Datenverarbeitungsstandort in Europa. Sie verbrauchen mehr Energie als der Frankfurter Flughafen. Doch die Abwärme dieser Energiefresser birgt auch Chancen.
Er ragt am Rande das Bankenviertels in der Innenstadt von Frankfurt am Main in den Himmel: Der Turm der früheren Zentrale der Europäischen Zentralbank, die vor einigen Jahren in einen Neubau gezogen ist. Wie ein Hotel hat hier im siebten Stock des Hochhauses nun ein Rechenzentrum Platz gefunden. Es konnte auf der alten Bank-Büroetage untergebracht werden. Der Raum mit den schrankhohen Rechnern wird betrieben vom Dresdner Unternehmen „Cloud&Heat“, für das Stefan Reckling arbeitet.
„Mit den Schränken, die Sie hinter mir sehen, wird das ganze Gebäude ganzjährig beheizt und mit Warmwasser versorgt.“
So werden allein in der ehemaligen Zentrale der EZB jährlich rund 500 Tonnen CO2 eingespart. Doch dabei dürfe es nicht bleiben, betont Ingmar Kohl. Der Wirtschaftsingenieur leitet die sogenannte „Stabsstelle Fernwärme“ der Mainova AG. Das Unternehmen ist einer der größten regionalen Energieversorger in Deutschland mit rund einer Millionen Kundinnen und Kunden. Mainova befindet sich zu 75 Prozent im Besitz der Stadt Frankfurt.
Kühlwasser als Träger für Abwärme
Die Firma will die Abwärme von Rechenzentren künftig auch in größerem Umfang in seinem rund 300 Kilometer umfassenden Fernwärmenetz nutzen. Träger für die Abwärme ist das Kühlwasser der Rechenzentren, dass sich durch die Abwärme aufheizt. Das etwa 30 Grad warme Wasser muss jedoch erst auf mindestens 90 Grad erhöht werden.
„Und das ist auch das Temperaturniveau, was wir in absehbarer Zeit brauchen. Diese Temperaturdifferenz muss jetzt überbrückt werden und da bieten sich tatsächlich Wärmepumpen an“, erklärt Ingmar Kohl.
Die Wärmepumpen erwärmen das Wasser aus den Rechenzentren dann so, dass es mit 90 Grad oder mehr in die Fernwärmeleitungen geleitet werden kann, ohne dass es dort einen Temperaturverlust gibt. Die Wärmepumpen werden am besten mit Strom aus regenerativen Energien betrieben, so Ingmar Kohl.
„Man kann ja aus einem Kilowatt Strom drei, teilweise vier, fünf oder sechs Kilowattstunden Wärme machen. Und wenn das unter dem Einsatz von erneuerbarem Strom geschieht, dann ist das natürlich eine tolle Sache fürs Klima.“
60 Rechenzentren in Region Frankfurt am Main
In der Region Frankfurt am Main stehen bereits rund 60 Rechenzentren. Rhein-Main gilt neben London als wichtigster Datenverarbeitungsstandort in Europa und als der mit den aktuell zweitgrößten Wachstumsaussichten in der Weltregion Europa-Naher Osten-Afrika.
Alle Rechenzentren in Frankfurt am Main zusammengenommen haben einen größeren Energieverbrauch als der Frankfurter Flughafen. Das Potenzial für Abwärmenutzung ist also riesig.
„Wir haben die Abwärme-Potenziale hier auch untersucht. Da gibt es übrigens auch eine sehr gute Basis von der Stadt Frankfurt mit dem Abwärme-Kataster“, sagt Ingmar Kohl vom Kommunalen Energieversorger Mainova.
Doch um das Abwärme-Potenzial der Rechenzentren zu nutzen, muss von Luft- auf Wasserkühlung der Rechner umgestellt werden. Denn bei der Luftkühlung wird die erwärmte Luft in der Regel in die Außenluft abgegeben. Das erwärmte Wasser wiederum kann direkt zum Heizen von Räumen verwendet werden. Doch bei der Wasserkühlung seien die Betreiber der Rechenzentren oft noch zögerlich.
„Wasser und Elektrizität passen nicht uneingeschränkt zueinander. Deswegen kann ich das gar nicht verübeln“, sagt Ingmar Kohl.
Wasserkühlung spielt wichtige Rolle
Im Podcast „Digitalgespräch“ der TU Darmstadt schildert jedoch Thomas Ludwig vom Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg, dass dort schon seit längerem Wasserkühlung eine wichtige Rolle auch beim Energiesparen spielt.
„Zum Beispiel haben wir so etwas das nennt sich Hochtemperatur-Flüssigkeitskühlung. Da können wir die Rechner durch durchströmende Flüssigkeit kühlen. Früher hat man Rechner immer nur luftgekühlt. Aber Luftkühlung ist sehr, sehr ineffizient. Und bei dieser Flüssigkeitskühlung, bei dieser Hochtemperaturvariante sogar, da ist es uns erlaubt, dass wir mit bis zu 40 Grad Kühlflüssigkeit in diese Rechner hineingehen. Und dann kommt die Flüssigkeit vielleicht mit bis zu 50 Grad raus und wir müssen es halt auf 40 Grad runterbringen. Und in Hamburg, hier bei uns auf dem Dach, hatte es noch nie mehr als 38,5 Grad. Das heißt, wir können das Absenken der Temperatur passiv erreichen.“
Die heiße Flüssigkeit werde einfach aufs Dach gepumpt, die Umgebungsluft wird über langsam drehende Ventilatorenblätter herangeführt und damit werde das Wasser auf die vorgeschriebenen 40 Grad und weniger heruntergekühlt und laufe dann wieder in den Rechner rein, so Thomas Ludwig. Damit wird auch möglichst wenig Abwärme in die Umwelt abgegeben. Es entsteht beinahe ein geschlossener Kühlkreislauf, so Thomas Ludwig.
„Mit dieser Methode spart man sich die ansonsten sehr energiehungrigen Kühlanlagen. So eine Kühlanlage, um diese IT zu kühlen, die kann leicht nochmal 30 bis 50 Prozent des Stromverbrauchs der Rechner hinzufügen, so dass man dann 1,3 bis 1,5 so hohe Stromkosten hat. Und bei dieser Hochtemperatur-Flüssigkeitskühlung, da liegt der Zusatzaufwand für die Kühlung vielleicht bei 4 Prozent.“
Wasserwärme wird im Hausinnern genutzt
Beim Rechenzentrum im ehemaligen EZB-Gebäude in der Frankfurter Innenstadt wird das warme Wasser jedoch nicht auf dem Dach gekühlt, sondern direkt im Hausinneren genutzt, um andere Büroetagen oder das Hotel mit Wärme zu versorgen. Auch eine gute Lösung, findet Ingmar Kohl von Mainova.
„Wenn es lokale Möglichkeiten gibt, im Sinne der Energieeffizienz hier eigene Potenziale zu nutzen, dann kann das eigentlich nur sehr positiv als zusätzliche Maßnahme gewertet werden. Wenn man das schafft, mit solchen Maßnahmen seine eigene Wärmeleistung zu reduzieren, dann ist das auch ein sehr positiver Beitrag für die Wärmewende hier in Frankfurt.“
Ein paar Kilometer westlich der Frankfurter Innenstadt – immer noch im Stadtgebiet der Mainmetropole. Hier entsteht das Neubauquartier Westville, dass mit der Abwärme aus einem benachbarten Rechenzentrum versorgt werden soll. Das Quartier umfasst 1300 Wohnungen für rund 3000 Menschen. In Skandinavien gibt es zwar Projekte solcher Größenordnungen schon – aber für Deutschland ist das Westville-Projekt bisher einmalig. Entwickelt wird es ebenfalls von der Mainova AG.
„Durch den Einbezug der Abwärme von Rechenzentren in unseren Netzverbund“, sagt Heidi Göbel-Stahl. Die ist beim Kommunalen Energieversorger als Vertriebsmanagerin für die Wärme zuständig. Ihr Kollege Ingmar Kohl unterstreicht noch einmal die Bedeutung dieses bundesweit bisher einmaligen Projektes für einen umweltschonenden Wärmemix in der Mainmetropole.
„Man merkt einfach dort, dass diese Verknüpfung, die dort entstanden ist, zwischen der Fernwärme auf der einen Seite und dann der Abwärme und den Wärmepumpen auf der anderen Seite, dass das die sinnvollste Maßnahme war an der Stelle.“
Ein reines dezentrales Konzept wie im alten Hauptsitz der Europäischen Zentralbank oder beim Deutschen Klimarechenzentrum wäre im Frankfurter Neubaugebiet Westville nicht realisierbar gewesen, so Ingmar Kohl. Die Wärmewende in der Großstadt braucht aus seiner Sicht einen Ideen- und Technikmix.